DEVISENWOCHE

Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben

Von Ulrich Leuchtmann *) Börsen-Zeitung, 4.2.2014 Seit einigen Wochen stehen die Währungen vieler Schwellenländer unter Druck. Zu den stärksten Verlierern zählt die türkische Lira. Letzte Woche hat die türkische Zentralbank (Türkiye Cumhuriyet...

Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben

Von Ulrich Leuchtmann *)Seit einigen Wochen stehen die Währungen vieler Schwellenländer unter Druck. Zu den stärksten Verlierern zählt die türkische Lira. Letzte Woche hat die türkische Zentralbank (Türkiye Cumhuriyet Merkez Bankasi, TCMB) einen Befreiungsschlag versucht. Sie erhöhte den Spitzenrefinanzierungssatz von 7,75 % auf 12 % und den Repo-Satz von 4,5 % auf 10 %. Die folgende Erholung der Lira währte trotzdem nur wenige Stunden.Denn die Währungen der Schwellenländer (Emerging Markets, EMs) werten ab, weil die US-Notenbank begonnen hat, die Geldpolitik zu normalisieren. Obwohl sie zunächst nur langsam und vorsichtig ihre Wertpapierkäufe reduziert, sind mit diesem Schritt Zinserhöhungen auf absehbare Zeit möglich geworden.Vor diesem Hintergrund wird die – gemessen am heimischen Inflationsniveau – seit langem extrem lockere Geldpolitik vieler Zentralbanken der EM von den Märkten nun anders beurteilt. Lange Zeit schwächte diese Politik die eigenen Währungen nicht, da die großen Zentralbanken der Industrieländer unisono ihre Zinsen auf null gesenkt hatten und zusätzliche “unkonventionelle Maßnahmen” ergriffen, was als Nebeneffekt auch ihre Währungen schwächte. Vor Jahresfrist drohte sogar noch ein “Währungskrieg”, da der Aufwertungsdruck auf viele EM-Währungen zu stark schien. Länder wie Brasilien stemmten sich gegen als übertrieben empfundene Aufwertungen. Kehrtwende der FedDie Kehrtwende der Fed löste keine kontinuierlichen und graduellen Abwertungen der EM-Währungen aus. Wegen der höheren Nominalzinsen bei den EM-Währungen wollte niemand zu früh aus EM-FX-Positionen aussteigen und damit auf den Zinsvorteil verzichten. Andererseits will natürlich auch niemand der Letzte sein, der die EM-Party verlässt. Das Resultat sind verspätete, heftige und gleichzeitige Kapitalabflüsse und dadurch ausgelöste Abwertungen der betroffenen Währungen. Folglich müssen die Emerging Markets ihre Geldpolitik dem neuen Umfeld anpassen, wenn sie eine krisenhafte Abwertung und im schlimmsten Fall (in Ländern mit Leistungsbilanzdefiziten) eine durch Kapitalflucht ausgelöste Zahlungsbilanzkrise verhindern wollen. Gerade die Länder mit einem Leistungsbilanzdefizit wie die Türkei und Südafrika müssen ihre Leitzinsen merklich anheben. Denn dadurch werden die Inlandsnachfrage und damit auch die Importe gebremst, wodurch sich die Leistungsbilanz verbessert. Zudem wird die Landeswährung für Anleger attraktiver, was die Finanzierung des verbliebenen Defizits erleichtert.Zögert die Zentralbank allerdings zu lange, kann sie in eine sehr gefährliche Situation geraten. Denn dann kann das Abwertungsrisiko aus Sicht der Anleger so groß werden, dass es nur durch so starke Zinserhöhungen kompensiert werden kann, die aus lokaler Sicht unsinnig groß sind. Dann dürften die Anleger aber daran zweifeln, dass die Geldpolitik diesen Kurs dauerhaft durchhalten kann, womit ihre stabilisierende Wirkung wieder nachlässt. Wirkungslose ErhöhungDies könnte auch erklären, warum die türkische Zinserhöhung bisher nicht gewirkt hat. Denn die geldpolitischen Verantwortlichen haben lange gezögert, auf die Schwäche der Lira entschieden zu reagieren. Während der EM-Schwächephase im vergangenen Sommer hatten sie Zinserhöhungen ausgeschlossen. In den Monaten danach bestand unter den Marktteilnehmern allerdings weitgehend Konsens, dass die Währungsschwäche ohne Zinserhöhungen nicht überwunden werden könnte.Vor diesem Hintergrund geriet die Lira seit Dezember unter zunehmenden Abwertungsdruck. Dramatisch verschärft wurde die Situation durch die enttäuschende Zinsentscheidung am 21. Januar. Wieder gab es keine klare Zinserhöhung. Angesichts dieser zögerlichen Politik ging die Währungskrise erst richtig los, und Versuche scheiterten kläglich, sich dieser Entwicklung mit Interventionen entgegenzustemmen. Vergangenen Mittwoch war der Abwertungsdruck wegen der verspäteten Reaktion der Geldpolitik bereits sehr groß. Selbst die massive Zinserhöhung wirkte nicht, weil der Markt zweifelt, ob die TCMB eine solch restriktive Geldpolitik langfristig aufrechterhalten wird. Trotz scheinbar attraktiver Realzinsen ist damit die Lira nicht aus der Gefahrenzone.Ganz anders agierte die brasilianische Zentralbank. Lange hat sie den sich aus der expansiven US-Geldpolitik ergebenden Aufwertungsdruck auf den Real bekämpft, dann aber sehr früh die Wende vollzogen. Seit April hat sie den Leitzins in sieben Schritten auf 10,5 % erhöht. Bei einer Inflationsrate von 5,9 % ist die Geldpolitik restriktiv, der Realzins ist attraktiv.Trotz eines nur mageren Wirtschaftswachstums von zuletzt 2,2 % bleibt die Geldpolitik auf die Inflationsbekämpfung fokussiert. Hinzu kommen die insbesondere für ein Land mit einem Leistungsbilanzdefizit recht üppigen Devisenreserven von 376 Mrd. Dollar, die die Importrechnungen von rund 19 Monaten abdecken. Zwar wären auch diese bei entschlossenen spekulativen Attacken auf den Real schnell aufgebraucht. Angesichts der überzeugenden Geldpolitik ist solch eine Attacke aber kaum zu erwarten. Deshalb ist der Real unter den häufig als Wackelkandidaten gehandelten EM-Währungen diejenige mit der geringsten Krisenanfälligkeit und dem höchsten Potenzial für eine rasche Erholung, sobald die Ansteckungseffekte abklingen.Trotz der Probleme rechnen wir nicht mit einer allumfassenden EM-Währungskrise. Risiken bestehen dort, wo der Markt nicht davon überzeugt ist, dass die Zentralbank eine hinreichend restriktive Geldpolitik verfolgt, die das Leistungsbilanzdefizit genügend rasch und nachhaltig abbaut und hinreichend und langfristig die erhöhten Währungsrisiken kompensiert. In dieser Hinsicht erweist sich der Real als robust. Es besteht eine Chance, dass die Abwertung zeitlich begrenzt bleibt. Anders sieht es für die Lira aus. Die türkische Zentralbank muss das Vertrauen der Märkte zurückgewinnen.—-*) Ulrich Leuchtmann ist Devisenanalyst der Commerzbank