AUS DER KAPITALMARKTFORSCHUNG

Wie beeinflussen die Sondermaßnahmen der EZB den Aktienmarkt?

Börsen-Zeitung, 5.5.2018 In der letzten Woche beschloss der EZB-Rat um Mario Draghi bei seiner abwartenden Haltung hinsichtlich seiner geldpolitischen Sondermaßnahmen (QE-Aktivitäten) zu bleiben. Nach der Tapering-Ankündigung im Oktober letzten...

Wie beeinflussen die Sondermaßnahmen der EZB den Aktienmarkt?

In der letzten Woche beschloss der EZB-Rat um Mario Draghi bei seiner abwartenden Haltung hinsichtlich seiner geldpolitischen Sondermaßnahmen (QE-Aktivitäten) zu bleiben. Nach der Tapering-Ankündigung im Oktober letzten Jahres und der Reduzierung der Anleihekäufe seit Jahresbeginn bietet sich so Gelegenheit für ein kurzes Durchatmen, welche Investoren jedoch nicht davon abhalten sollte Pläne für ein vielfach erwartetes Ende der Maßnahmen (oder auch eine eventuelle Wiederbelebung dieser) zu entwickeln. Wie aber sollten die zugrundliegenden Szenarien aussehen? Eventuell hilfreich könnte hier ein Blick in die Vergangenheit sein. In einer demnächst in der Zeitschrift “Economics Letters” erscheinenden Kurzstudie haben die Autoren hierzu die Auswirkungen der geldpolitischen Sondermaßnahmen der EZB auf den Aktienmarkt untersucht. Die Ergebnisse der Untersuchung liefern starke Indizien dahingehend, dass die eigentlich auf Anleihemärkte beschränkten geldpolitischen Sondermaßnahmen der EZB sich auch auf Aktienmärkte auswirken.Zur Erinnerung: Im Jahr 2009 entschied die Europäische Zentralbank (EZB), es der Fed gleichzutun und auf “Quantitative Easing” zu setzen. Dies war der Startschuss für eine Reihe von Anleihenkaufprogrammen, aus welchen sich über die Jahre das sogenannte “Expanded Asset Purchase Programme” (EAPP) entwickelte. Die EZB begründete diese kontrovers diskutierten Maßnahmen mit dem ihr in Artikel 127 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU vorgegebenen Inflationsziel, welches sie über einen verbesserten Kreditzugang und damit einhergehenden Investitionsimpulse erreichen wollte. Um nun die damit einhergehenden Implikationen für Unternehmen und Anleger zu beleuchten, identifizierten die Autoren Zeitpunkte, zu welchen die EZB die Einführung bzw. Anpassungen der Teilprogramme des “Expanded Asset Purchase Programme” ankündigte, und untersuchten sodann die Reaktionen der Aktienkurse europäischer Industrie- und Dienstleistungsunternehmen. Ihre Motivation ziehen die Autoren dabei aus der sich während der Ankündigungstage deutlich erhöhenden Querschnittsvariation der Aktienrenditen: Über die Gesamtheit aller betrachteten Unternehmen hinweg erhöhen sich an Ankündigungstagen die Renditeausschläge um rund die Hälfte. Ein deutliches Indiz dahingehend, dass die QE-Aktivitäten der EZB unmittelbar im Aktienmarkt Niederschlag finden. Value reagiert positiverDie Autoren analysierten sodann systematische Unterschiede zwischen den Aktienkursrenditen um die Ankündigungstage herum. Für expansive Sondermaßnahmen der EZB zeigte sich dabei ein negativer Zusammenhang zwischen Ankündigungsrendite und Bewertungsniveau des Unternehmens. Mit anderen Worten: Verglichen mit Growth-Aktien reagierten Value-Aktien im Durchschnitt deutlich positiver auf expansive QE-Ankündigungen der EZB. Als Erklärung bietet die akademische Literatur hierzu zwei mögliche Wirkmechanismen an: Einerseits durch die sich mit den EZB-Ankündigungen verändernden Erwartungen der Marktteilnehmer, andererseits durch Portfolioumschichtungen aus dem Anleihemarkt in Value-Aktien, welche in ihrer Charakteristik den Anleihen relativ näher stehen. Praktiker verweisen darüber hinaus auf mit Index-Futures verbundene Handels- und Hedging-Aktivitäten. Parallel dazu finden die Autoren für expansive Sondermaßnahmen einen positiven Zusammenhang zwischen Aktienkursentwicklung und dem Verschuldungsgrad sowie der Größe der jeweiligen Unternehmen. Berücksichtigt man, dass der Verschuldungsgrad die finanzielle Flexibilität von Unternehmen einschränkt und dass kleinere Unternehmen tendenziell abhängiger von Bankkrediten sind, so stützt dies die Argumentation der EZB, dass ihre Maßnahmen dazu beitragen, die Versorgung von Unternehmen mit Fremdkapital sicherzustellen. Die beschriebenen Effekte zeigen sich dabei von durchaus beträchtlichem Ausmaß. Um dies zu illustrieren, vergleichen die Autoren die Aktienkursreaktionen von relativ hoch bewerteten beziehungsweise relative hoch verschuldeten Unternehmen mit deren Gegenstücken. Die so gefundenen Unterschiede belaufen sich in Summe auf bis zu 9 % über alle EAPP-Erstankündigungen hinweg gemessen. Dies sollten Investoren berücksichtigen, wenn Sie verschiedene Szenarien durchplanen, aber auch die Berater und Mitglieder des EZB-Rates sollten sich dies vor Augen führen, wenn sie über das weitere Vorgehen entscheiden. —-Die Autoren, Professor Dr. Marc Steffen Rapp und Kai Henseler, arbeiten an der Philipps-Universität Marburg und forschen unter anderem zu den Themenbereichen Kapitalmarkt, Corporate Governance, Unternehmensfinanzierung und -bewertung. Die Studie ist abrufbar unter http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.3153992