Insiderinformationen

Wie der EU Listing Act das Recht der Ad-hoc-Publizität verändert

Der Listing Act der EU will nicht nur kleinen und mittelgroßen Unternehmen den Zugang zum Kapitalmarkt erleichtern. Anpassungen gibt es auch in der Ad-hoc-Publizitätspflicht. Was von den Änderungen zu halten ist.

Wie der EU Listing Act das Recht der Ad-hoc-Publizität verändert

Von Marco Sustmann

und Alexander Retsch *)

Ende 2022 hat die EU Kommission den sogenannten EU Listing Act veröffentlicht. Mit dem Vorschlag verfolgt die Kommission insbesondere das Ziel, kleinen und mittelgroßen Unternehmen (KMU) den Zugang zum Kapitalmarkt zu erleichtern. Die Änderungsvorschläge der Kommission betreffen aber nicht nur KMUs. Im Rahmen der Konsultation des EU Listing Act hat sich gezeigt, dass die – für alle Emittenten geltende – Verpflichtung, Insiderinformationen so schnell wie möglich offenzulegen, als unverhältnismäßig empfunden wird.

Grund hierfür ist der weit gefasste Begriff der Insiderinformation, der sowohl für das Insiderhandelsverbot als auch für die Ad-hoc-Publizitätspflicht gilt. Für Emittenten bedeutet dieser Gleichlauf, dass sie verpflichtet sein können, Informationen zu einem sehr frühen Zeitpunkt zu veröffentlichen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Aufschub der Veröffentlichung (sog. Selbstbefreiung) beschlossen wird.

Um dem entgegenzuwirken, sollen kursrelevante Zwischenschritte eines gestreckten Geschehensablaufs (z.B. bei M&A-Transaktionen) zukünftig nicht mehr per se veröffentlichungspflichtig sein. Derartige Informationen seien zu vorläufig und daher für eine Offenlegung nicht geeignet. Am gegenwärtig weit gefassten Begriff der Insiderinformation hält der Vorschlag der Kommission hingegen fest, so dass Zwischenschritte eines gestreckten Geschehensablaufs (z. B. der Abschluss eines Letter of Intent) auch zukünftig das Insiderhandelsverbot auslösen können.

Für die insiderrechtliche Compliance ergeben sich daher nur überschaubare Erleichterungen. Es entfällt lediglich das Erfordernis einer aktiven Entscheidung über die Selbstbefreiung, z. B. um laufende Verhandlungen nicht zu gefährden. Solange die Vertraulichkeit gewährleistet ist, wäre die Veröffentlichungspflicht zukünftig faktisch auf-geschoben. Kommt es hingegen zu einer Vertraulichkeitslücke, wäre die Information über den Zwischenschritt auch zukünftig unverzüglich zu veröffentlichen.

Emittenten müssten bei gestreckten Geschehensabläufen daher auch zukünftig Zwischenschritte auf ihre insiderrechtliche Relevanz überprüfen und für den Fall einer Vertraulichkeitslücke eine „Notfall-Ad-hoc-Mitteilung“ vorhalten.

Nicht eindeutig ist, wie zukünftig mit Endereignissen von gestreckten Geschehensabläufen umzugehen ist. Sollte der Vorschlag der Kommission im Sinne eines Finalitätskonzepts zu verstehen sein, wäre – was wünschenswert wäre – nur der tatsächliche Eintritt des angestrebten Endereignisses veröffentlichungspflichtig. Bei einem anderen Verständnis bliebe es bei der derzeitigen Rechtslage, d. h., bereits der hinreichend wahrscheinliche Eintritt des zukünftigen Ereignisses wäre zu veröffent­lichen.

Dies würde dazu führen, dass derjenige Zwischenschritt zu bestimmen wäre, zu dem der Eintritt des angestrebten Ereignisses (z.B. das Zustandekommen einer M&A-Transaktion) hinreichend wahrscheinlich wird, womit Zwischenschritte letztlich durch die Hintertür veröffentlichungspflichtig blieben. Es bestünde in dem Fall weiterhin erheblicher Bedarf für eine aktiv zu beschließende Selbstbefreiung, die bei einem strengen Finalitätskonzept an Bedeutung verlieren würde.

Das lenkt das Augenmerk auf einen weiteren Vorschlag der Kommission: Sie soll künftig ermächtigt werden, im Wege eines delegierten Rechtsakts eine nicht abschließende Liste relevanter Insiderinformationen sowie für jede Information einen Hinweis auf den Veröffentlichungszeitpunkt zu erlassen. Damit soll insbesondere Klarheit über den Zeitpunkt der Offenlegungspflicht geschaffen werden. Da ein Entwurf des delegierten Rechtsakts noch nicht vorliegt, lässt sich derzeit nicht beurteilen, ob eine solche Liste tatsächlich die Rechtssicherheit erhöhen würde.

Die BaFin stellt bereits heute eine nicht abschließende Liste potenzieller Insiderinformationen zur Verfügung und ist zu dem wenig überraschenden Schluss gelangt, dass sich ein allgemeinverbindlicher und abschließender Katalog potenzieller Insiderinformationen nicht aufstellen lässt. Solange daher kein Systemwechsel in Richtung einer abschließenden Liste mit vordefinierten Veröffentlichungszeitpunkten vollzogen wird, ist im Hinblick auf die bezweckten Erleichterungen auch hier Skepsis angezeigt.

Der Kommissionsvorschlag zielt darauf ab, die Ad-hoc-Publizitätspflicht für Emittenten weniger kostspielig und für Anleger berechenbarer zu gestalten. Da der Vorschlag aber keinen echten Systemwechsel mit sich bringt und wichtige Fragen wie die Definition des verständigen Anlegers ausgeklammert werden, ist zu bezweifeln, dass zukünftig aussagekräftigere Informationen per Ad-hoc-Mitteilung veröffentlicht oder die Compliance-Kosten im Bereich der Ad-hoc-Publizität spürbar reduziert werden. Wahrscheinlicher ist, dass sich das Transparenzniveau nicht maßgeblich ändern wird und auch die Erleichterungen im Bereich der Ad-hoc-Publizität für Emittenten überschaubar bleiben werden. Vor diesem Hintergrund darf das anstehende Gesetzgebungsverfahren mit Spannung beobachtet werden.

*) Dr. Marco Sustmann und Dr. Alexander Retsch sind Partner von .