Serie - Börsenbetreiber im Beauty ContestEuronext

Wie die Euronext-Börsen Wachstumswerte umgarnen

Der paneuropäische Börsenbetreiber setzt auf einen Liquiditätspool mit zahlreichen ausländischen institutionellen Investoren, spezielle Segmente und Programme, um mehr Börsengänge anzulocken.

Wie die Euronext-Börsen Wachstumswerte umgarnen

Serie – Börsenbetreiber im Beauty Contest: Euronext (Teil 4)

Wie die Euronext-Börsen Wachstumswerte umgarnen

Liquiditätspool mit mehr als 6.200 institutionellen Investoren aus 75 Ländern – Spezielle Segmente und Programme für Börsenaspiranten

Die paneuropäische Mehrländerbörse sieht sich selber bei Börsengängen im ersten Halbjahr und der Notierung von Tech-Unternehmen in Europa vorn. Das Emissionsvolumen fiel jedoch zuletzt im Vergleich relativ niedrig aus. Denn gerade das Segment für kleine und mittlere Werte entwickelte sich dynamisch.

wü/bl –- Paris/Mailand
Von Gesche Wüpper und Gerhard Bläske, Paris/Mailand

Der eine hat öffentlich über einen Umzug an die New Yorker Börse nachgedacht, der andere will eine Tochter an die London Stock Exchange bringen. Die Überlegungen von Total Energies zu einer Notierung in den USA und die Pläne von Vivendi für ihre Fernsehsparte Canal+ haben Euronext zuletzt einige negative Kommentare eingebracht. Denn damit würden sich gleich zwei bekannte französische Konzerne für Konkurrenten des paneuropäischen Börsenbetreibers entscheiden.

Doch der erste Anschein trügt. „In den letzten fünf Jahren hat Euronext nur vier Listings an London verloren, aber 25 britische Unternehmen für eine Notierung an Euronext gewonnen“, sagt Mathieu Caron, der Head of Primary Markets von Euronext. Nach der geplanten Aufspaltung Vivendis sollten zudem mit Havas, Louis Hachette Group und Vivendi drei der vier Einheiten bei Euronext notieren, in Amsterdam und Paris.

Amsterdam lockt internationale Unternehmen an

Dem Betreiber der Börsen in Amsterdam, Brüssel, Dublin, Mailand, Lissabon, Paris und Oslo ist es auch in diesem Jahr schon gelungen, Unternehmen aus dem Ausland anzulocken. Der Anteil internationaler Firmen aus Brasilien, Dänemark und Großbritannien lag bei den Börsengängen im zweiten Quartal bei 36%. Man bleibe zuversichtlich, Börsenaspiranten Mehrwert bringen zu können, erklärt Caron. „Unternehmen profitieren von einer paneuropäischen Plattform mit lokaler Expertise in jedem unserer sieben Märkte.“ Dazu komme der Liquiditätspool: „In unseren Märkten sind über 6.200 institutionelle Investoren aus 75 Ländern aktiv.“

In Amsterdam fanden seit Januar gleich mehrere Börsengänge internationaler Unternehmen statt, darunter Nachtsichtgerätehersteller Theon, Private-Equity-Spezialist CVC und The London Tunnels, ein Entwickler von Touristenattraktionen. „Traditionell bleibt der Börsenplatz Amsterdam aus verschiedenen Gründen in Verbindung mit dem Unternehmensrecht attraktiv für internationale Transaktionen“, sagte Euronext-Chef Stéphane Boujnah dem Wirtschaftssender BFM Business.

Kleinere Werte in Mailand

Insgesamt habe sich der europäische Markt für Initial Public Offerings (IPOs) im ersten Halbjahr langsam wieder belebt, erklärt Primary-Markets-Leiter Caron. Nach dem Rekord von 2021 mit 212 Börsengängen hatte es 2022 und 2023 deutlich weniger Unternehmen aufs Parkett der sieben Plätze von Euronext gezogen. Letztes Jahr lief das Geschäft mit gerade mal 64 IPOs relativ mau. Brüssel verzeichnete gar keinen einzigen Neuzugang, Paris lediglich 19. Gleich mehrere Unternehmen sagten ihre Börsengänge so wie der Software-Anbieter Planisware und CVC erstmal ab.

Seit Beginn des Jahres profitiert Euronext deshalb auch von einem Nachholeffekt. So wagten Planisware und CVC doch noch ein IPO. Insgesamt verbuchte der paneuropäische Börsenbetreiber im ersten Halbjahr 24 Börsengänge, davon zehn im ersten Quartal und 14 im zweiten, darunter Pluxee, die Restaurant-Ticket-Tochter des Caterers Sodexo, und der für militärische Nachtsichtlösungen bekannte Sensorhersteller Exosens in Paris. Seitdem sind acht weitere Börsengänge dazugekommen, vor allem kleinere Werte in Mailand und Oslo.

Relativ geringes Emissionsvolumen im ersten Halbjahr

„Euronext rangiert im ersten Halbjahr bei neuen Notierungen in Europa auf Platz 1 mit 24 von 57 neuen Listings an europäischen Börsenplätzen“, sagt Caron. Das entspreche einem Marktanteil von 42%. Mit 3,2 Mrd. Euro an gewonnenem Kapital im zweiten Quartal sei man ebenfalls führend. Allerdings fiel das Emissionsvolumen im gesamten ersten Halbjahr mit 3,56 Mrd. Euro nicht sehr viel höher aus.

Dynamisches Kleinwertesegment

Das liegt auch daran, dass von inzwischen 32 Neuzugängen in diesem Jahr 18 im Euronext Growth notieren, einem 2005 unter dem Namen Alternext gegründeten Segment speziell für mittlere und kleine Unternehmen. Die Anforderungen und Auflagen sind weniger restriktiv als im reglementierten Markt. Euronext Growth umfasst inzwischen 588 Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von 34,01 Mrd. Euro. Gerade an der vor allem für Finanz- und Kleinstwerte bekannten Borsa Italiana entwickelt sich das Segment recht dynamisch, auch weil die Kosten für Notierungen gesenkt wurden und es steuerlich attraktive Regelungen gibt.

Programme für künftige Börsenaspiranten

Euronext Growth ist jedoch nicht das einzige Segment, mit dem die Mehrländerbörse versucht, kleinere und mittlere Unternehmen anzulocken. Mit Euronext Access, früher als Marché Libre bekannt, wendet sie sich in Paris, Brüssel und Lissabon auch an Start-ups und andere Firmen, die noch nicht die Kriterien für Euronext Growth oder Euronext erfüllen. Derzeit sind dort 187 Unternehmen gelistet. Bei ihrem Börsengang kamen sie im Schnitt auf eine Marktkapitalisierung von 39 Mill. Euro.

Um mehr Neunotierungen anzulocken, setzt die Mehrländerbörse auch auf spezielle Programme wie IPOReady. Das 2015 lancierte Angebot wendet sich an Manager von schnell wachsenden Unternehmen, die einen Börsengang in den nächsten Jahren in Erwägung ziehen. Es soll helfen, die Börse für sie zu entmystifizieren. Nach Angaben Carons haben bereits mehr als 1.080 Unternehmen das sechs Monate dauernde Programm genutzt, davon 160 aus 15 Ländern in diesem Jahr, darunter auch deutsche. Von den 920 Alumni der vorigen Ausgaben haben 28 den Sprung aufs Parkett gewagt.

Initiative für Tech-Unternehmen

„Euronext Tech Leaders ist ein anderes Beispiel für eine Initiative, mit der wir stark wachsende Technologie-Unternehmen unterstützen“, erklärt Caron. Das vor zwei Jahren geschaffene Segment umfasst mittlerweile mehr als 110 Unternehmen. In diesem Jahr sind elf dazugekommen. „Mit fast 750 notierten Tech-Unternehmen mit einer aggregierten Marktkapitalisierung von 1,4 Bill. Euro ist Euronext der führende Listing-Platz für Technologie in Europa.“ Wie sich die IPOs des Börsenbetreibers im zweiten Halbjahr entwickeln werden, hängt auch vom globalen wirtschaftlichen Umfeld ab. Zumindest Frankreich und Italien versuchen derzeit, alles dafür zu tun, die Finanzplätze Paris und Mailand attraktiver zu machen.

Paris und Mailand setzen auf Mehrfachstimmrechte

Die Mailänder Börse hat in den letzten Jahren einen deutlichen Aderlass vor allem größerer Unternehmen verzeichnet. Zwischen 2013 und 2023 verließen 97 Unternehmen mit einer Gesamtkapitalisierung von 100 Mrd. Euro aus unterschiedlichen Gründen den Börsenplatz. Dazu gehören etwa Campari, die Beteiligungsholding Exor und CNH Industrial. Die Regierung bemüht sich nun, dem Exodus entgegenzuwirken und den Börsenplatz wieder attraktiver zu machen. Mit einem neuen Kapitalmarktgesetz können etwa langjährige Aktionäre in viel größerem Umfang Mehrfachstimmrechte ausüben. Einige Regelungen sind allerdings kompliziert und bedienen Partikularinteressen. 

Das französische Parlament hat vor den Neuwahlen ebenfalls ein Gesetz verabschiedet, das den Finanzplatz Paris vor allem im Vergleich zu den USA attraktiver machen soll. Um Börsengänge zu erleichtern und zu verhindern, dass französische Einhörner einen ausländischen Börsenplatz für ihr IPO wählen, sieht es die Möglichkeit von Mehrfachstimmrechten vor. Die Börsenaufsicht Autorité des marchés financiers (AMF) hat zudem beschlossen, eine vor mehr als 20 Jahren eingeführte Regel abzuschaffen, die Unternehmen bei Börsengängen verpflichtete, mindestens 10% der angebotenen Aktien für Privatanleger zu reservieren.

Zuletzt erschienen: New Yorks Börsen ringen mit neuer Konkurrenz (1. August) London Stock Exchange als „Schaufenster für eine internationale Investorenbasis“ (25. Juli)

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