Im GesprächHans-Dieter Kemler

„Wir befinden uns im Risk-Off-Umfeld“

Die Marktakteure am Anleihemarkt beäugen aktuell die hohe Staatsverschuldung kritisch. Das hat auch Folgen für Corporate Bonds, denn die Käufer verlangen einen höheren Spread.

„Wir befinden uns im Risk-Off-Umfeld“

Im Gespräch: Hans-Dieter Kemler

„Wir befinden uns im Risk-Off-Umfeld“

Der Helaba-Kapitalmarktvorstand über die Lage an den Anleihemärkten, seinen zuversichtlichen Blick auf 2025 und die stärkere Rolle der Landesbank

Von Detlef Fechtner, Frankfurt

Die Marktakteure am Anleihemarkt beäugen aktuell die hohe Staatsverschuldung kritisch, so dass jüngst sogar die Renditedifferenz zwischen Bundesanleihen und OTC-Derivate-Langläufern positiv war. Das hat Folgen auch für Corporate Bonds, denn die Käufer verlangen einen höheren Spread.

Das aktuelle Umfeld an den Anleihemärkten ist nach Einschätzung von Helaba-Vorstand Hans-Dieter Kemler von Sorgen über die steigenden Staatsschulden geprägt. „Wir befinden uns im Risk-Off-Umfeld“, sagt das für Corporate Banking und Capital Markets zuständige Vorstandsmitglied der Landesbank im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.

Der Bund-Swap-Spread, also die Renditedifferenz zwischen Bundesanleihen und langlaufenden OTC-Derivaten, sei jüngst positiv gewesen, erinnert Kemler und sagt. „Das habe ich vorher noch nie erlebt, und ich bin bereits seit einiger Zeit am Anleihemarkt tätig.“ Im positiven Bund-Swap-Spread komme zum Ausdruck, dass die Marktteilnehmer aktuell die hohe Staatsverschuldung kritisch beobachten – auch, wenn sie in Titel staatsnaher Agenturen wie etwa der Europäischen Investitionsbank oder der KfW investierten.

Das wiederum habe Auswirkungen auf Corporate Bonds. Denn wenn institutionelle Anleger auf diesem Renditeniveau Staatsanleihen mit Top-Ratings kaufen könnten, dann verlangten sie beim Kauf von Unternehmensanleihen einen höheren Spread.

Mehr geopolitische Brandherde

Aktuell sei die geopolitische Lage gekennzeichnet von Spannungen und Brandherden in einer wachsenden Zahl. Vor einem Jahr sei die Situation bereits angespannt wegen Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine gewesen. „Mittlerweile sehen wir Eskalationen von Israel über Libanon und Georgien bis hin zu den aktuellen Entwicklungen in Syrien.“, erläutert Kemler.

Eigentlich wäre einer dieser Konflikte allein bereits in der Lage, deutliche Ausschläge an den Anleihemärkten auszulösen, argumentiert der Kapitalmarkt-Vorstand. Aber die Märkte reagierten bemerkenswerterweise sehr unaufgeregt: Der nächtliche Angriff Israels auf den Iran sei beispielsweise nur sehr kurz ein Thema am Markt gewesen.

Zurückhaltung bei Investitionen

Im Unternehmensanleihesegment lägen die Spreads, die die Investoren sehen wollten, partiell über dem, was Unternehmen zu zahlen bereit seien. Hinzu komme, dass viele Unternehmen auf Liquidität säßen, denn infolge der hohen Unsicherheit, etwa mit Blick auf die künftige Zollpolitik der USA, „spüren wir Zurückhaltung bei den Investitionen.“ Außerdem seien Verwerfungen zwischen Asset-Klassen zu beobachten. Das gelte etwa mit Blick auf den Aufschlag, den Marktteilnehmer für Pfandbriefe zahlen müssten. Für alle Wertpapiere, die früher die EZB gekauft habe, sei der Spread auseinandergegangen. „Schließlich ist der Elefant im Raum nicht mehr da, der die halbe Emission abgenommen hat“, erklärt Kemler. Das gelte etwa für Corporate Bonds.

Die Helaba macht sich im Ausblick auf die Volumina an den Anleihemärkten im nächsten Jahr trotzdem keine Sorgen. „Ganz im Gegenteil: Wir sind für die Bondmärkte 2025 zuversichtlich“, unterstreicht der Kapitalmarkt-Vorstand. Es gebe das berühmte Fälligkeiten-Profil. „Weil wir eine inverse Zinsstruktur haben, sind viele Fälligkeiten absehbar, und viele kürzere Laufzeiten müssen im nächsten Jahr refinanziert werden“, macht Kemler deutlich. Der Investorenappetit sei da, weil sehr viel Liquidität im Markt sei. „Wir werden also sicherlich keinen Einbruch beim Emissionsvolumen sehen“, ist der Kapitalmarkt-Experte überzeugt. Spannend werde es in den ersten vier Wochen. „In den vergangenen Jahren wollten gleich zu Jahresstart alle zur gleichen Zeit durch die selbe Tür“, sagt Kemler. Dashabe in den Vorjahren oft zu einem sehr hohen Emissionsvolumen geführt – und das könnte dieses Mal anders sein.

Führende Position

Die Helaba sei über Jahrzehnte als Schuldscheinhaus im Markt bekannt. Bei Schuldscheinen belege sie traditionell eine Top-3-Position unter den Arrangeuren. „Neu in diesem Jahr ist, dass die Helaba bei Unternehmensanleihen eine spürbar größere Rolle spielt“, hebt er hervor. In diesem Jahr habe die Landesbank Hessen-Thüringen führende Positionen bei der Arrangierung von Corporate Bonds für deutsche und französische Emittenten eingenommen, etwa bei der viertranchigen Anleihe von Siemens, „wo wir die Emissionen im Gesamtvolumen von 5 Mrd. Euro als einzige deutschsprachige Bank mitführen durften.“ Andere Transaktionen seien gefolgt. „Wir sind in eine neue Dimension vorgestoßen“, betont Kemler. Dafür gebe es vor allem zwei Gründe. Erstens sei das Anleiheprodukt unter dem Aspekt des Renditeaufschlags attraktiver als der Schuldschein. „Zweitens haben wir das Firmenkunden- und das Kapitalmarktgeschäft enger verzahnt.“ Das habe das Zusammenspiel verbessert.

Die Helaba punktet nach Einschätzung von Kemler bei den Kunden mit Verlässlichkeit und Berechenbarkeit. „Wir profitieren auch von der Rotation, denn Unternehmen wechseln regelmäßig die begleitenden Banken.“ Und wenn ein Haus zeige, dass es die wichtigen Investoren an den Tisch bringen könne, dann spreche sich das rum: „Und Erfolg nährt Erfolg.“

Unter den Top Ten

Was die Rangliste angeht, habe die Helaba zu Ende des dritten Quartals bei in Euro nominierten Investment-Grade-Unternehmensanleihen in Deutschland unter den Top Ten gelegen. „Das ist für uns ein sehr gutes Ergebnis“, erklärt der Vorstand.

Der Schuldscheinmarkt habe sich 2024 ganz leicht zurück entwickelt. „Wir konnten unsere Top-3-Position halten.“ Auf dem Schuldscheinmarkt tummelten sich zahlreiche vom Namen bekannte Mittelständler, die nicht alle ein externes Rating hätten. Es gebe daneben großvolumige Schuldscheine von Emittenten, die auch am Anleihemarkt unterwegs seien. „Die wechseln gelegentlich zum Schuldschein, weil sie dadurch andere Investoren erreichen“, erläutert Kemler die Beweggründe.

Die Helaba erreiche im Schuldscheinmarkt alle Investorengruppen, die das Produkt kaufen. Dabei handele es sich schwerpunktmäßig um Europäer, aber auch die lokalen Niederlassungen ausländischer Banken, etwa aus Asien oder dem Mittleren Osten. Bei Corporate Bonds unterhalte die Helaba vor allem enge Kontakte zu Investoren im deutschsprachigen Raum, darunter die klassischen institutionellen Anleger wie Fonds, Versicherer, Pensionskassen.