IM INTERVIEW: GUY WAGNER, BANQUE DE LUXEMBOURG INVESTMENTS

"Wir favorisieren die Technologiebranche"

Chief Investment Officer über Qualitätsaktien und wo man sie findet, die Politik der Fed und EZB, das Niedrigrenditeumfeld und wer wohl vom Brexit profitiert

"Wir favorisieren die Technologiebranche"

Guy Wagner, Chief Investment Officer der Banque de Luxembourg Investments, setzt im Assetmanagement auf Qualitätsaktien. Im Interview der Börsen-Zeitung erläutert er, in welchen Branchen er sie findet und welche Werte er konkret favorisiert. Darüber hinaus setzt er sich kritisch mit der Politik der EZB und der Fed auseinander und gibt eine erste Einschätzung, wer vom Brexit profitieren könnte.- Herr Wagner, Sie setzen in Ihrem Investmentansatz auf Qualitätsaktien. Wie lautet Ihre diesbezügliche Definition?Dabei handelt es sich um Unternehmen, die einen Wettbewerbsvorteil haben. Dieser Wettbewerbsvorteil kann beispielsweise in einer Technologie, einem Vertriebsnetz oder einer Marke begründet sein. Aufgrund dieses Wettbewerbsvorteils sind die Unternehmen in der Lage, eine höhere Rentabilität zu erzielen. Sie generieren einen höheren freien Cashflow und müssen weniger Schulden machen. Die betreffenden Unternehmen befinden sich demzufolge in einer vergleichsweise komfortablen Situation. Das lässt sich an sehr soliden Bilanzkennzahlen ablesen.- In welchen Branchen haben Sie in den vergangenen Jahren Qualitätsaktien gefunden?Es gibt Branchen, in denen man sich sehr schwertut, derartige Qualitätsaktien zu finden. Denn es gibt schlichtweg Branchen, in denen es unabhängig von der Qualität des Managements sehr schwierig ist, sich einen wirklichen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil herauszuarbeiten. Dazu gehören die Versorger, die Telekombranche, generell die sehr zyklischen Branchen, dann Fluggesellschaften, die Automobilbranche und zum Teil auch die Banken. Es ist schwierig, sich hier dauerhafte Wettbewerbsvorteile zu sichern. Meistens konkurrieren die Unternehmen dieser Branche auf der Basis des Preises. Sie sind also Preisnehmer. Preissetzer finden sich eher im Technologie- und Gesundheitsbereich oder bei den Konsumgütern – sei es zyklisch oder nichtzyklisch. Wir investieren nur in diese letztgenannten Branchen, die anderen bleiben bei uns außen vor.- Welche Rolle spielt das Zinsniveau bei der Identifikation von Qualitätsaktien beziehungsweise hinsichtlich der Frage, ob die Aktien unterbewertet, fair bewertet oder überbewertet sind?Das Zinsniveau spielt eine wichtige Rolle. Die Kapitalkosten sind bei der Bewertung der Unternehmen verständlicherweise relevant, und diese werden wiederum durch das allgemeine Zinsniveau am Markt mit beeinflusst. Durch die niedrigen Marktzinsen werden allgemein höhere Aktienbewertungen gerechtfertigt. Für mich stimmt das nur teilweise und eben nur für die Qualitätsaktien. Das Zinsniveau ergibt sich auch durch unsere Wachstumsprobleme, die wiederum für die zyklischen Branchen eine Schwierigkeit darstellen. Durch die niedrigeren Zinsen lassen sich bei den zyklischen Branchen unserer Ansicht nach daher keine höheren Aktienbewertungen rechtfertigen. Für Qualitätsaktien gilt das dann schon eher.- Können Sie aktuell regionale Unterschiede feststellen? Und wie sieht es am US-Aktienmarkt diesbezüglich aus?Selbstverständlich existieren regionale Unterschiede. Der amerikanische Markt ist teurer als der europäische Markt, was sich aber auch durch die Zusammensetzung der Indizes ergibt. Der S & P-500-Index ist für uns ein qualitativ höherwertiger Index als die meisten europäischen Indizes, bei denen die Finanzbranche und die Telekommunikation sowie die Versorger eine große Rolle spielen. Und deshalb ist es auch nicht so verkehrt, dass der amerikanische Aktienmarkt teurer ist als der europäische Markt. Und wenn wir von Regionen sprechen, dann ist der japanische Markt für uns ein sehr interessanter Markt.- Aus welchem Grund?Wir befinden uns immer noch rund 50 % unter dem Höchststand, den wir in den achtziger Jahren erreicht hatten. Unter dem Top-down-Ansatz betrachtet ist der Markt nicht so attraktiv, aber aus der Bottom-up-Perspektive finden wir hier schon interessante Namen. Insgesamt finden wir die asiatischen Märkte durchaus attraktiv. Das Problem, das wir hier in den asiatischen Märkten oder insgesamt auch bei Emerging Markets sehen, ist, dass die Indizes Schwergewichte aus den Bereichen Banken, Telekommunikation und Ölgesellschaften et cetera aufweisen. Das sind Branchen, an denen wir nicht interessiert sind.- Welche Branchen favorisieren Sie denn allgemein?Wir favorisieren die Technologiebranche und hier die großen klassischen Werte wie etwa Microsoft oder Apple, aber auch spezielle Namen wie Analog Devices oder Broadcom, Firmen, die im Internet of Things aktiv sind. Interessante Perspektiven machen wir auch immer wieder im Pharma- und Gesundheitsbereich aus, auch wenn dieser Sektor im Moment eher etwas schwächelt. Hier finden wir Qualitätsunternehmen, die relativ günstig bewertet sind.- Zu welchem Schluss kommen Sie in Europa?Die Pharmabranche ist seit Anfang dieses Jahres wie angesprochen eher schwach, die Aktienkurse sind hier im Schnitt um 10 bis 15 % zurückgekommen. Das klassische Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) für eine Roche oder Novartis steht bei 15 oder 16 mit einer Dividendenrendite von um die 3 %. In diesem Umfeld mit diesen niedrigen Zinsen ergeben derartige Bewertungen durchaus Sinn. Abseits von solchen pharmaspezifischen Problemen weist zum Beispiel in Europa eine Nestlé ein KGV von um die 20 auf. Der langfristige Durchschnitt liegt hier eher mal bei 16 bis 17. Wir haben also schon höhere Bewertungen als in der Vergangenheit. Als langfristig agierender Anleger muss man daher eine niedrigere Rendite erwarten als in der Vergangenheit. Aber diese Renditen sind in diesem Niedrigzinsumfeld immer noch attraktiv. Die Dividendenrendite bei Nestlé liegt immer noch bei um die 2,5 %. Das ist relativ gut. Diese Aktien sind zweifelsohne teurer als in der Vergangenheit, aber sie haben keine Bewertungsniveaus erreicht, bei denen man konstatieren müsste, dass ein Investment keinen Sinn mehr ergibt.- Sehen Sie Alternativen?Was soll der Anleger in diesem Umfeld machen? Natürlich kann man aus diesen Werten auch aussteigen, aber was macht man dann mit dem Geld? Festgeld oder Bundesanleihen ergeben auf der Basis der laufenden Verzinsung für uns wenig Sinn. Man kann im Aktienmarkt auch umschichten und zyklische Werte oder Bankaktien kaufen. Diese hinken dem Markt sehr weit hinterher. Wir halten das für ein gefährliches Vorgehen.- Kommen wir zur Zinspolitik, die in diesem Zusammenhang nicht gerade eine untergeordnete Rolle spielt. Die US-Notenbank hat sich bei ihrer Septembersitzung – wieder einmal – fürs Abwarten entschieden. Ist die Fed für Sie bei der Normalisierung des Zinsniveaus zu zögerlich geworden?Ja, und sie riskiert nun irgendwann, ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren. Ich halte diese internationalen Geldpolitiken – und damit nicht nur bei der Fed – nicht nur für falsch, sondern für extrem gefährlich. Die erste Runde des Quantitative Easing im Rahmen der Finanzkrise 2008 konnte man ja noch rechtfertigen, da das gesamte Finanzsystem am Abgrund stand. Aber was danach kam, war falsch und gefährlich. Die US-Notenbank ist der Auslöser dieser Geldpolitik, und da der Dollar immer noch die Reservewährung Nummer eins ist, sind die anderen internationalen Notenbanken ja fast schon gezwungen, bei dieser Geldpolitik mitzuziehen. Oder ihre eigene Währung würde ansonsten so weit aufwerten, dass dadurch andere schwerwiegende Probleme für die jeweiligen Volkswirtschaften entstehen.- Ab wann hätte die Fed Ihrer Meinung nach handeln sollen?Die Fed hätte in den vergangenen 18 Monaten oft genug eine Zinserhöhung vornehmen können. Der US-Arbeitsmarkt ist in solider Verfassung, die Arbeitslosenquote ist zurückgekommen, die Inflation ist zwar nicht richtig angesprungen, aber sie liegt auch nicht im negativen Bereich. Die US-Wirtschaft läuft zwar insgesamt nicht sonderlich gut, aber sie befindet sich in einer vergleichsweise komfortablen Situation. Und durch Zinsanhebungen hätte sich die Fed auch wieder etwas Munition verschafft für den Fall des nächsten wirtschaftlichen Abschwungs. Die Fed hatte für 2016 angedeutet, dass es zu vier Zinsanhebungen kommt. Bis jetzt ist nichts geschehen. Kurzum: Die Fed ist einfach extrem zögerlich. Und ich habe auch das Gefühl, dass sie stark beeinflussbar ist – nicht nur durch die eigene Wirtschaft, sondern auch durch die globale Konjunktur sowie die Finanzmärkte.- Das heißt konkret?Wenn die Märkte volatiler werden, dann wird sofort von einem Fed-Offiziellen die weitere Gangart in der Zinspolitik in Frage gestellt. Diese Entwicklung ist bedauerlich und kreiert nur neuerliche Risiken für die Wirtschaft, die man noch nicht abschätzen kann. Wir glauben in der Marktwirtschaft an die Macht der Preise, Angebot und Nachfrage regeln zu können. Und in der Marktwirtschaft ist der wichtigste Preis derjenige des Geldes, also der Zins. Und wenn man ebenjenen Zins zu lange manipuliert, darf man sich nicht wundern, wenn später Ungleichgewichte und damit ernste Probleme entstehen.- Rechnen Sie in diesem Jahr noch mit einem Zinsschritt in den USA?Der Markt rechnet mit einem Zinsschritt im Dezember. Das ist Konsens. Das scheint auch in diese Richtung zu gehen. Aber ich rechne nicht damit, dass die Fed sehr stark an der Zinsschraube drehen wird. Es werden 25 Basispunkte am Markt erwartet.- Wie wird der längerfristige Zinspfad, also 2017 und 2018, Ihrer Ansicht nach in den USA verlaufen?Das ist sehr schwierig zu beurteilen. Denn je nach Verlauf der Konjunktur ist es durchaus möglich, dass wir auch noch das nächste Quantitative-Easing-Programm bekommen. Einen Normalisierungsprozess der Zinsen, bei dem wir bei der Fed Funds Rate in Richtung von 2 bis 2,5 % gehen, kann ich mir im gegenwärtigen Umfeld und bei den heutigen Perspektiven der US-Wirtschaft nicht vorstellen.- Kommen wir zur Eurozone. Die Europäische Zentralbank (EZB) befindet sich inmitten eines ausgesprochen umfangreichen Kaufprogramms von Anleihen, das quer durch fast alle Segmente des Fixed-Income-Universums geht. Reicht das, um die Inflation anzukurbeln?Die EZB hat sich auf eine Politik versteift, bei der man sich fragen muss, wo eigentlich dieser Zusammenhang zwischen Anleihekäufen und einer Ankurbelung der Inflation ist. Ich kann diesen Zusammenhang beim besten Willen nicht erkennen. Warum muss man überhaupt Inflation kreieren? Im Zeitalter von Digitalisierung und Globalisierung sind wir in einer Wirtschaft, die eher deflationär und nicht inflationär ist. Inflation heißt doch, dass der Geldwert abnimmt, und warum soll das jetzt so erstrebenswert sein? Die Sinnhaftigkeit dieser Programme mit Blick auf die Ankurbelung der Inflation scheint allerdings niemand mehr ernsthaft in Frage zu stellen. Und da kann man auch die Medien kritisieren, die die Entscheidungen der EZB kritiklos zur Kenntnis nehmen und diese nicht mehr hinterfragen. Man sieht sich immer nur an, welche Auswirkungen diese EZB-Beschlüsse für die Finanzmärkte haben und nicht für die reale Wirtschaft. Und in der jüngeren Vergangenheit hat außerdem auch der Rückgang des Ölpreises zu Deflationsdruck geführt.- Aber Kritik können Sie in den Medien durchaus feststellen.In Deutschland schon, das ist richtig, aber ansonsten ist in dieser Hinsicht nicht viel zu hören. Es stellt sich kaum einer hin und kritisiert EZB-Präsident Mario Draghi für seine Politik und die daraus entstehenden Fehlentwicklungen. Es heißt ja auch oft, dass die Ökonomie keine genaue oder reine Wissenschaft wie etwa die Physik ist. Wenn Sie ein Experiment in der Physik angehen und sehen, dass es nicht funktioniert, dann hören Sie auf. Das ist in diesem Fall bei der Geldpolitik offenkundig nicht zu beobachten. Es wird immer weitergemacht, obwohl der Nutzen nicht zu sehen ist.- Gehen Sie davon aus, dass die EZB noch mal nachlegt und das Kaufprogramm zeitlich, quantitativ oder sogar qualitativ, das heißt auf andere Asset-Klassen ausweitet?Ausschließen will ich es auf jeden Fall nicht.- Sowohl von der Fed, der Bank of Japan als auch der EZB sind keine Faktoren in Sicht, die für höhere Anleiherenditen sprechen. Für wie lange, denken Sie, wird das internationale Niedrigrenditeumfeld noch intakt sein?Solange die Glaubwürdigkeit der Zentralbanken noch ausreichend intakt ist. Wir haben eine enorme Überverschuldung in den Industrienationen, das gilt fast auf jedem Level, also Haushalte, Unternehmen beziehungsweise Staat. Diese Überverschuldung führt eben nicht zu einem Zusammenbruch der Wirtschaft, weil dieser Prozess über niedrige Zinsen alimentiert wird. Der Preis für Schulden ist niedrig. Wenn die Zinsen steigen würden, würde dieser ganze Prozess nicht mehr funktionieren. Bei jedem Zinsanstieg würde die Wirtschaft leiden, so dass die Zinsen wieder gesenkt werden müssten. Zusammengefasst: Ich sehe keinen dauerhaften Anstieg der Zinsen, der auch nur im Entferntesten in Richtung einer Normalisierung gehen würde. Es sei denn, die Glaubwürdigkeit der Zentralbanken geht komplett verloren, und es kommt ebenfalls zu einem Verlust des Vertrauens in das Papiergeld, so dass Inflation ein Riesenthema wird. Dann ist vieles möglich. Aber momentan sehe ich keine Anzeichen für einen dauerhaften Anstieg der Zinsen.- Ist der Brexit eher eine Chance oder eine Gefahr für die britische Wirtschaft?Momentan weiß keiner so genau, was im Detail geschehen wird. Ich würde es aber eher als eine Chance als eine Gefahr ansehen. Der Grund ist, dass ich skeptisch hinsichtlich der Konstruktion des Euro bin. Das zeigt sich jetzt beim Pfund, das deutlich abgewertet hat und den Unternehmen Wettbewerbsvorteile verschafft. Das ist dann eher als eine Chance anzusehen. Ein weiterer Vorteil ist darin zu sehen, dass sich die Firmen Großbritanniens der Überregulierung entziehen können, der die Unternehmen in der EU zunehmend ausgesetzt sind.- Welche Unternehmen werden vom Brexit profitieren, welche werden in Mitleidenschaft gezogen?Das hängt sehr davon ab, wie der Brexit nachher in der Praxis ausgestaltet sein wird. Momentan lässt sich sagen, dass international aufgestellte britische Firmen, die vom schwächeren Pfund profitieren, eher die Gewinner sein werden. Kleinere Unternehmen, die auf den britischen Heimatmarkt fokussiert sind, werden in einer ersten Phase wohl eher zu den Verlierern gehören.- Gibt es Unternehmen, die Sie favorisieren?Reckitt Benckiser ist eines dieser Qualitätsunternehmen Großbritanniens. Im Pharmabereich gehört etwa GlaxoSmithKline dazu. Das sind üblicherweise Unternehmen, bei denen der Aktienkursanstieg die Pfund-Schwäche mehr als kompensiert hat. Das sind Unternehmen, die international aufgestellt sind und Wettbewerbsvorteile haben. Wenn diese Adressen dann noch von einer schwächeren Währung profitieren können, umso besser. —-Das Interview führte Kai Johannsen.