IM INTERVIEW: ANJA MIKUS, KENFO

"Wir investieren automatisch in Technologiewerte"

Staatsfonds legt 24 Mrd. Euro zur Entsorgung von Kernkraftwerken an - Mit Nachhaltigkeitsstrategie auf Zukunftsbranchen setzen

"Wir investieren automatisch in Technologiewerte"

Der Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung (Kenfo) gilt als der erste deutsche Staatsfonds. Das Volumen von 24 Mrd. Euro wird im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Stiftung schrittweise investiert. Kenfo-Chefin Anja Mikus nutzt die Freiheiten und den langen Anlagehorizont von 80 Jahren für Aktieninvestments. Frau Mikus, Sie waren lange in der Assetmanagement-Branche tätig. Jetzt sind Sie im staatlichen Auftrag unterwegs. Was ist der Unterschied zwischen dem Management von privaten Portfolios und eines Staatsfonds?Wir haben in den vergangenen drei Jahren den Kenfo aufgebaut, mittlerweile ist es eine hochprofessionelle Investmentplattform mit der Möglichkeit, in alle Anlageklassen weltweit zu investieren. Das Investment Management des Kenfo ist absolut vergleichbar mit dem Management in der Privatwirtschaft. Richtig ist aber, dass wir eine öffentlich-rechtliche Stiftung sind. Damit haben wir natürlich andere Stakeholder: So gibt es ein Kuratorium, in dem alle im Bundestag vertretenen Parteien mitarbeiten. Aber das Kuratorium wird von einem mit Investmentspezialisten zusammengesetzten Anlageausschuss beraten. Die tägliche Arbeit ist sicherlich wie bei jedem anderen professionellen Investor. Wie sieht die Strategie des Fonds aus, und wie hoch ist die Zielrendite?Wir gehen von unseren Verpflichtungen, der Finanzierung der Zwischen- und Endlagerung radioaktiver Abfälle, aus. Dazu wurden 24 Mrd. Euro von den Betreibern der Kernkraftwerke zur Verfügung gestellt. Der Anlagehorizont beträgt rund 80 Jahre. Basierend auf unseren gegenwärtigen Verpflichtungen haben wir aktuell eine Zielrendite von 3,9 %. Ein langer Zeithorizont, wie wir ihn haben, ist natürlich sehr hilfreich. So kann man mehr Risiken zur Renditeerzielung nehmen, als das üblicherweise der Fall ist. Institutionelle Investoren wie Versicherungen haben unterschiedliche Beschränkungen, beispielsweise eine niedrige Investitionsquote für Aktien. Wie sieht es beim Kenfo aus?Das ist bei uns zum Glück anders. Wir unterliegen zwar zum Teil der Pensionsfondsanlagenverordnung und Teilen des Versicherungsaufsichtsgesetzes. Aber diese Vorgaben beziehen sich auf die Streuung und Zulässigkeit von Anlagen. Bei der Aktienquote sind wir deutlich freier als beispielsweise Versicherungen. Gibt es eine feste Aktienquote?Für die Aktien gibt es eine Bandbreite von 10 bis 50 %. Diese Spanne haben wir so mit dem Kuratorium vereinbart. Die Quote ist sehr auskömmlich mit Blick auf das Anlageziel. Bei Aktien liegt unsere Zielallokation derzeit bei 35 %. Welche Entscheidungen haben Sie mit Blick auf die aktuelle Lage an den Börsen getroffen?Da wir langfristig ausgerichtet sind, hat die aktuelle Lage keinen direkten Einfluss auf unsere Entscheidungen. Mit Blick auf die Coronakrise hat der Kenfo allerdings den ersten großen Stresstest bestanden. Beim Aktien-Crash im Frühjahr verloren die Aktienmärkte im Durchschnitt über 30 %, und wir haben im März auf dem reduzierten Kursniveau weiter investieren können. Seit Jahresanfang sind unsere Investments insgesamt rund 2 % im Plus. Seit Auflage konnten mit den Anlagen rund 4,8 % Rendite pro Jahr erzielt werden. Der Fonds hat einen Aufbauplan und mittlerweile zwei Drittel von 24 Mrd. Euro investiert. Sie investieren also ganz regelmäßig wie ein Fondssparer nach einem Plan. Welche Vorteile bringt das?Durch den gestreckten Aufbau des Portfolios werden Timingrisiken reduziert. Bei Gründung der Stiftung hatten wir bereits einen sehr langen Bullenmarkt hinter uns, und die Kursniveaus waren entsprechend hoch. Basierend auf dem Aufbauplan sind die Zeitpunkte der Investitionen gestreckt. Das war rückblickend betrachtet sehr gut. Wenn wir mit dem Start 2018 die komplette Summe investiert hätten, würden wir heute deutlich schlechter dastehen. Profitieren Sie von den Kursschwankungen an den Börsen?Kurskorrekturen kommen uns in der Investitionsphase entgegen. So haben wir die Chance, wieder tiefer einzusteigen. Man kann sagen, dass wir sehr gut durch den ersten Teil der Krise gekommen sind. Wie sieht dieser tiefere Einstieg konkret aus?Im März haben wir 80 % unserer Neuanlagen – das waren rund 1 Mrd. Euro – in Aktien investiert; wir hatten uns dabei aus taktischen Gründen entschieden, High Yield auszusetzen und in Aktien stärker zu investieren; wie sich nachträglich zeigte sogar nahe der Tiefstände. Welche Bedeutung haben Staatsanleihen im Portfolio?Wir haben uns auf den Niedrigzins eingestellt und nur noch 10 % an Staatsanleihen in der Zielallokation, um die Liquidität sicherzustellen. Das ist für uns kein bedeutendes Anlagesegment mehr. Erwarten Sie also auch, dass die Zinsen so niedrig bleiben?Darüber will ich nicht spekulieren. Aber wenn man sich die Forward Rates anschaut, dann zeichnen die Märkte genau dieses Bild. Als wir 2017 angefangen haben, ist man noch von einer Normalisierung ausgegangen. Chancen wollen Sie auch im Bereich von alternativen Assets wahrnehmen. Wie?Ziel ist es, 30 % unserer Anlagen, also 7 Mrd. Euro, in illiquide Assetklassen zu investieren. Aber das geht nicht auf Knopfdruck. Wir haben mit Private Equity begonnen. Hier fließen nennenswerte Erträge erst bei Verkäufen von Unternehmensbeteiligungen. Wir rechnen damit, dass wir drei bis fünf Jahre brauchen, bis die Investitionen bedient werden. Erste Zeichnungen für Infrastrukturfonds wurden vorgenommen. Im weiteren Verlauf stehen Investitionen in Private Debt und Immobilien an. Hatte die turbulente aktuelle Phase denn gar keinen Einfluss auf Ihre Strategie? Sind Sie immun gegen solche Marktphasen?Nein, immun würde ich nicht sagen. Mit unserem Portfolio müssen wir diese Bewegungen natürlich mitmachen. Aber gleichzeitig haben wir die Chance, neu zu investieren. Können Sie bei den Neuanlagen Chancen mitnehmen, beispielsweise das enorme Wachstum der Technologieaktien?Mit dem Kenfo verfolgen wir eine Nachhaltigkeitsstrategie, und auf diese Weise setzen wir auf Zukunftstrends. Wenn wir beispielsweise herkömmliche Sektoren wie Kohle ausschließen und in zukunftsorientierte CO2-arme Anlageklassen investieren, dann sind wir automatisch auch in Technologiewerten oder internetbasierten Geschäftsmodellen stärker investiert. Ganz wichtig ist auch: Nachhaltigkeit ist integriert in den Investmentprozess und steht nicht neben den Anlageentscheidungen oder ist diesen nachgelagert. Wie gehen Sie bei der Nachhaltigkeitsstrategie konkret vor? Orientieren Sie sich an herkömmlichen ESG-Kriterien, oder nutzen Sie auch die Sustainable Development Goals (SDG) der UN?Mit den SDG-Zielen verbinde ich interessante Themen, also Themenfonds, die aber zu einem relativ konzentrierten Portfolio führen würden. Wenn man aber über ein Gesamtportfolio spricht, muss man mit ESG-Kriterien arbeiten, um Konzentrationsrisiken zu vermeiden. Der Nachhaltigkeitsansatz unseres Fonds ist uns bei der Gründung vom Finanzministerium mit auf den Weg gegeben worden: Der Auftrag lautet klar, ESG-Kriterien zu integrieren. Neben Positivkriterien arbeiten wir auch mit Ausschlusskriterien. Kohle ist beispielsweise ausgeschlossen, aber auch die Betreiber von Atomkraftwerken, da diese die Einzahler in den Kenfo waren. Als Mitglied der UN-convened Net Zero Asset Owner Alliance haben wir uns zudem verpflichtet, unser Portfolio bis 2050 klimaneutral zu gestalten. Viel wird über Corporate Governance im Portfoliomanagement diskutiert. Wie ist Ihr Ansatz?Corporate Governance ist für uns ein sehr wichtiges Thema, das wir weiter ausbauen werden. Nur eine verantwortungsvolle Unternehmensführung unterstützt unseren langfristigen Investmentansatz. Das Fehlverhalten eines Managements kann zu Strafzahlungen, Reputationsschäden und Ertragsproblemen führen. Engagement – die Einflussnahme auf Unternehmen – ist ein Teil der Nachhaltigkeitsstrategie, und wir sind gerade dabei, dies entsprechend unserer Größe und unserem Auftrag zu entwickeln. Beim norwegischen Staatsfonds werden Corporate Governance und Engagement bereits groß geschrieben. Ist der Fonds für Sie ein Vorbild?Der staatliche Pensionsfonds in Norwegen ist anders strukturiert, denn er bekommt regelmäßig neue Gelder und hat insofern auch andere Vorgaben. Der Kenfo hat keine weiteren Mittelzuflüsse und ist ein Verbrauchsvermögen. Ich denke, jeder Staatsfonds muss sich sein eigenes Bild entsprechend seinem Auftrag machen und entscheiden, wie er sich aufstellt. Der norwegische Pensionsfonds ist natürlich ein beeindruckender, großer Fonds – aber kopieren können und wollen wir ihn nicht. Welche Rolle spielen bei Ihnen passive Ansätze?Wir haben mit rund 50 % passiven Mandaten angefangen. Inzwischen erleben wir aber, dass sich die aktiven Ansätze sehr viel besser entwickelt haben. Gerade im aktuellen Umfeld driften die Unternehmensbewertungen innerhalb eines Index enorm auseinander. Deshalb sehen wir die größeren Chancen im aktiven Management. Das motiviert uns, künftig stärker aktiv zu investieren beziehungsweise aktive Manager auszuwählen. In der Krise waren Makro-Faktoren enorm wichtig, also die Fiskalpolitik und Geldpolitik. Inwieweit spielt das bei Ihren Anlageentscheidungen eine Rolle?Indirekt, denn diese Fragen sind natürlich für die von uns mandatierten Manager wichtig. Sie müssen Trends und Makro-Faktoren mitberücksichtigen, und unsere Anlagen profitieren insgesamt von der aktuellen Fiskal- und Geldpolitik. Langfristige Faktoren fließen in unsere strategische Asset Allocation ein. Unser Stil ist ein Management mit ruhiger Hand. Es bringt nichts, bei der Asset Allocation hinter Themen und Trends herzulaufen. Auch in der Krise die Strategie zu ändern, hilft nach meiner Erfahrung wenig. Das Interview führte Wolf Brandes.