Elisabeth Weisenhorn

„Wir sind kein Technologie­fonds“

Elisabeth Weisenhorn sieht bei europäischen Aktien Nachholbedarf. Die Geldmanagerin ist überzeugt, dass unter anderem Aktienrückkäufe sowie das Geldvermögen der Haushalte die Märkte weiter antreiben.

„Wir sind kein Technologie­fonds“

Wolf Brandes.

Frau Weisenhorn, extrem niedrige Zinsen und eine enorme Liquidität treiben die Aktienkurse. Kann das auf Dauer gutgehen?

Von konjunktureller Seite geht die Unterstützung weiter, allerdings etwas langsamer. Wir haben gesehen, dass die Wachstumsraten für den Rest des Jahres reduziert werden mussten. Der Konjunkturzyklus ist aber noch nicht zu Ende. Wir sind der Meinung, dass die Markterholung noch weitergeht. Allerdings sind Korrekturen immer möglich und diese können sehr heftig ausfallen.

Wie sieht es mit dem Einfluss der Geldpolitik aus?

Es gibt keine Anzeichen, dass die Liquidität verringert wird. Es wird allerdings nicht mehr so viel Geld in das System zugeführt wie im vergangenen Jahr, aber die Geldmenge steigt weiter. Klar ist, dass Zinserhöhungen der Fed oder der EZB bei Weitem noch nicht anstehen. Die Notenbanken agieren sehr vorsichtig und möchten nicht das zerstören, was sie in der Krise aufgebaut haben.

Welche Impulse sind von den Staaten zu erwarten?

Fiskalpolitik bleibt eine gute Unterstützung, etwa durch weitere Hilfspakete. Das Volumen wird sich über viele Jahre strecken. Allerdings können wir uns vorstellen, dass es in den USA 2022 zu einem negativen Impuls der Fiskalpolitik kommen kann, da einige Unterstützungen wegfallen. Insgesamt sind die Impulse der Fiskalpolitik noch längst nicht vorbei. Denn in vielen Ländern sind die Corona-Hilfspakete noch gar nicht ausgeschöpft, auch in Deutschland.

Wie schätzen Sie den Beitrag der Privatwirtschaft ein?

Unternehmen und Konsumenten sind in einer guten Verfassung. In den USA beispielsweise zeigt sich das bei Unternehmen in einem niedrigen Leverage. Es steht viel Geld für Aktienrückkäufe und Investitionen zur Verfügung, auch das dürfte die Konjunktur und die Börse antreiben. In Deutschland sieht es ebenfalls gut aus, der Auftragsbestand der Unternehmen ist auf Rekordniveau.

Und die Verbraucher? Welche Impulse gehen durch sie aus?

Auch die Konsumenten stehen sehr gut da. Die Sparquote in Europa ist zwar wieder zurückgegangen, aber sie beträgt immerhin 20%. Noch bemerkenswerter ist die Sparquote in den USA mit 15%, das ist ein historisches Niveau. Es gibt enorme Summen bei den privaten Haushalten, die nicht ausgegeben wurden. Angesichts dieser Überschussersparnis werden auch die Konsumenten Konjunktur und Börse unterstützen.

Zu den Märkten. Wir haben eine Korrektur am 20. September gesehen mit mehr als 2%. Woher kommen so plötzliche Rückschläge?

Es gibt etliche Risiken. Die meiste Zeit tun die Märkte so, als ob man durch all dies durchschaut und nur die Chancen sieht. Das kulminiert dann an manchen Punkten. Solche starken Einbrüche lösen sich aber meist schnell wieder auf. Es gibt zwar auch Studien, die Kurskorrekturen von bis zu 20% vorhersagen. Das ist allerdings nicht unser Szenario.

Was sind die Auslöser für solche Kurseinbrüche?

Die Störungen an den Märkten kommen in erster Linie durch das negative Sentiment. Genauso wie auch die Lieferketten durch die Krise weiterhin gestört sind. Auch dieses Thema beeinflusst die Märkte stark. Reduzierte und gestörte Produktions- und Transportkapazitäten führen zu steigenden Preise auf allen Stufen, die aus der Knappheit in wenigen Bereichen resultieren.

Ist das Problem der Lieferketten ein neuer Trend seit der Coronakrise? Gibt es andere Trends?

Die Liefer-, Transport- und Produktionsprobleme sollten vorübergehend sein. Der maßgebliche Trend ist der Fokus auf Technologie. Das Thema war auch an den Märkten dominierend. Einige dieser Tech-Trends werden nachlassen, beispielsweise der Hype um digitalen Konferenzsysteme wie Zoom. Das ist kein konkurrenzfreier Raum, da sehen wir inzwischen weniger Potenzial.

Sie haben Knappheit und Lieferketten angesprochen. Ist das wirklich so vorübergehend?

Schauen Sie sich Bauholz an, da haben sich die Preise wieder zurückgebildet. Sicher, es gibt Bereiche, in denen sich die Materialengpässe länger halten, etwa Halbleiter. Das ist ein Problem für die Automobilindustrie und könnte dazu führen, dass das dritte und das vierte Quartal für die Branche nicht gut wird.

Glauben Sie nicht an eine dauerhaft höhere Inflation?

Wir denken wie die Notenbanken, dass die Inflation ein temporäres Phänomen sein sollte. Die Produktionskapazitäten wurden nicht zerstört wie im Krieg. Je mehr wir dieses Coronathema in den Griff kriegen, desto eher werden sich Störungen in der Wirtschaft auflösen.

China ist gut aus der Krise gekommen. Wir schätzen Sie die Entwicklung dort ein?

Da bin ich zurückhaltend. Wir sehen gerade, dass in China ganze Industrien reglementiert werden. Das ist besorgniserregend, auch wenn es bislang nur einige Branchen betrifft. Es entsteht aber der Eindruck, dass in dem Land die Verbraucher nicht mehr so viel Luxus kaufen sollen und dass Unternehmen gut daran tun, sich wohl zu verhalten.

China beeinflusst stark die anderen Märkte, wie man bei den Turbulenzen um Evergrande und dem Kursrücksetzer gesehen hat.

Man wundert sich, dass in solchen Situationen europäische Unternehmen abgestraft werden. Das hat mit der Positionierung von einigen Marktteilnehmern zu tun, die Optionspositionen aufgebaut haben. Solche Irritationen werden von den Shortsellern genutzt und führen schnell zu heftigen Korrekturen.

Welche Region bevorzugen Sie?

Wir wollen die Märkte breit abdecken und kosteneffizient arbeiten. Daher haben wir ein Basisportfolio aus ETFs. Akzente setzen wir mit Einzelwerten, insbesondere in Amerika. Dort gibt es starke und nachhaltig wachsende Unternehmen. Das haben wir so in Europa nicht. Trotzdem achten wir auf die Bewertungen, in den USA sind die Aktien mit dem 21-Fachen bewertet, in Europa mit dem 15-Fachen. Das zeigt, welcher Nachholbedarf in Europa besteht.

Beim Blick auf die Einzelwerte fällt auf, dass Sie stark in Technologie gewichtet sind. Warum?

Aktien wie Apple und Alphabet sind so stark gestiegen, dass ihr Gewicht jetzt 2,6 bis 3,5% ausmacht. Normalerweise beträgt das Gewicht von Einzelwerten circa 2%. Wir haben uns aber dagegen entschieden, diese Positionen zu reduzieren. Die Bewertungen der Aktien sind noch vernünftig und das Wachstum der Unternehmen intakt. Das heißt aber nicht, dass wir ein Technologiefonds sind. Unter den größten Werten tauchen immer wieder kleinere Aktien auf wie MBB, eine Beteiligungsgesellschaft.

Was sind weitere Favoriten?

Siemens profitiert von Investitionen in Infrastruktur und Digitalisierung. Attraktiv finden wir Linde, die in der zukunftsweisenden Wasserstoffwirtschaft engagiert sind. VW ist im Portfolio, auch wenn das gerade keinen Spaß macht. Aber das Unternehmen ist anders aufgestellt als früher und hat so viele Patente angemeldet, dass man VW als Technologieführer bezeichnen kann. Die Aktie ist viel interessanter als Tesla.

Amazon sucht man im Portfolio vergeblich. Warum?

Amazon habe ich nie besessen. Zwar habe ich vor 20 Jahren gesagt: Wenn Amazon mal mehr verkauft als Bücher, kaufe ich die. Aber sie war immer zu teuer und sie wurde noch viel teurer, als sie sich im Cloudgeschäft engagiert hat. Ganz persönlich bin ich auch kein Kunde von Amazon, ich kaufe online lieber direkt bei den Unternehmen. Auch wenn dieser Aspekt natürlich nichts mit der Anlageentscheidung zu tun hat.

Das Interview führte

BZ+
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