IM INTERVIEW: FABIO RICCELLI, FIDELITY

"Zahlungsdienstleister sind attraktiver Wachstumssektor"

Der Aktienfondsmanager über den Handelskonflikt, europäische Automobil- und Technologieaktien und den Fall Wirecard

"Zahlungsdienstleister sind attraktiver Wachstumssektor"

Die politische Lage ist laut Fabio Riccelli, Aktienfondsmanager bei der Fondsgesellschaft Fidelity, ein Punkt, der vielen Unternehmensmanagern, mit denen er spricht, Sorgen bereitet. Der Handelskrieg betreffe aber nur einige Segmente wie die Autoindustrie sowie bestimmte Unternehmen aus dem Technologiesektor. Herr Riccelli, wie schätzen Sie derzeit die Lage am europäischen Aktienmarkt angesichts der vielen politischen Krisen ein?Wie die meisten Fondsmanager von Fidelity investiere ich gemäß einem Bottom-up-Ansatz. Wir vermeiden es, Investment-Entscheidungen auf Basis der Makro-Lage zu treffen. Aber man kann wohl sagen, dass es in den vergangenen zehn Jahren immer irgendwo in Europa eine Krise oder schwierige Wahlen oder Ähnliches gegeben hat. Man läuft daher schnell Gefahr, sich auf diese Dinge zu fokussieren und dabei zu übersehen, dass es in Europa wundervolle Unternehmen gibt, in die man investieren kann. Die besten Unternehmen aus dem Luxusgüter-Segment sind in Europa beheimatet, es gibt hervorragend aufgestellte Pharmakonzerne und sogar einige gute Technologieunternehmen. Eine der größten Positionen, welche die von mir geführten Fonds halten, ist beispielsweise SAP. Betrachten Sie also den Gesamtmarkt nicht?Was den Markt als Ganzes betrifft, ist es schwierig, brauchbare generalisierende Aussagen zu machen. Es ist auch nur begrenzt sinnvoll, sich den Durchschnitt der Bewertungen an einem Aktienmarkt anzusehen, weil dieser Durchschnitt natürlich auf einer weiten Spanne von Unternehmen beruht. Wenn man aber dennoch den Mittelwert der Bewertungen am europäischen Aktienmarkt betrachtet, kommt man zu dem Ergebnis, dass das Bewertungsniveau derzeit in etwa dem historischen Durchschnitt entspricht. Europäische Aktien sind zwar nicht superbillig, aber auch nicht teuer. Die konjunkturelle Lage in Europa ist ebenfalls relativ gut, wobei es letztlich aber auf die recht zufriedenstellende globale konjunkturelle Lage ankommt, weil viele börsennotierte europäische Unternehmen global aufgestellt sind. Insbesondere deutsche Konzerne profitieren stark von dem Wachstum in den Emerging Markets. Aber was ist mit der politischen Lage?Das ist ein Punkt, der vielen Managern von Unternehmen, mit denen wir reden, Sorgen bereitet. Eine Reihe von Unternehmen hat Investitionsentscheidungen zeitlich nach hinten verschoben oder modifiziert, vor allem wegen des Brexit. Gleichwohl würde ich nicht sagen, dass die politischen Konflikte große Auswirkungen auf die Unternehmen und ihre Geschäftslage haben. Der Handelskrieg beispielsweise betrifft auch nur einige Segmente wie die Automobilindustrie und bestimmte Unternehmen aus dem Technologiesektor. Bislang gibt es hinsichtlich des Handelskriegs viel mehr Rauch als Feuer. Das gilt auch für die Lage der Konsumenten in Europa. So befinden sich in den meisten europäischen Ländern die Arbeitslosenquoten auf zyklischen Tiefs. Im Handelskrieg könnte Europa zwischen die Fronten von USA und China geraten. Wie geht man als Fondsmanager damit um?Die in unseren Fonds gehaltenen Portfolien beinhalten nur wenige Exporteure von Industrie- und Konsumgütern, insofern sind wir für die gegenwärtige Lage gut aufgestellt. Wir haben viele Aktien von Unternehmen in unseren Portfolien, die Dienstleistungen oder Software international anbieten. Daher werden unsere Fonds von dem Handelskrieg nur geringfügig getroffen. Wir sind beispielsweise nicht im europäischen Automobilsektor und kaum in Industriewerten investiert. Diejenigen Industriewerte, in denen wir doch engagiert sind, haben typischerweise global verteilte und flexible Fertigungskapazitäten. Die Globalisierung hat dazu geführt, dass viele dieser Unternehmen gar nicht mehr alles selbst herstellen, sondern im Grunde nur noch die Produkte entwickeln und für fremdgefertigte Teile die Endmontage übernehmen. Weshalb investieren Sie nicht in den Automobilsektor?Nun, ich bin nie ein großer Fan der Autoindustrie gewesen, weil es sich um eine sehr wettbewerbsintensive Branche handelt. Wenn man beispielsweise mit Managern aus der Automobilindustrie spricht und ihre Pläne hinsichtlich Expansion und Marktanteilen addiert, so kommt man schnell auf ein Mehrfaches des gesamten Marktvolumens. Es gibt also stets das Risiko von Überkapazitäten. Aktuell gibt es noch ein großes Risiko, das aus der Forderung nach technologischen Veränderungen resultiert wie etwa der Elektromobilität. Es ist momentan extrem schwierig vorauszusagen, welche Unternehmen aus der Autobranche die Gewinner der nächsten zehn Jahre sein werden und welche die Verlierer. Das ist für uns insofern ein Problem, weil wir gerne langfristig investieren. In den von mir geführten Fonds liegt die durchschnittliche Halteperiode von Aktien bei vier Jahren. Wenn hinsichtlich der Unternehmen die langfristige Visibilität fehlt, ist es sehr schwierig, sich für diese Aktien zu entscheiden, auch wenn Autowerte derzeit sehr niedrig bewertet sind. Woran liegt das?Das liegt daran, dass sich der weltweite Autoabsatz momentan auf einem zyklischen Hoch befindet. Insbesondere die deutschen Automobilkonzerne erzielen den Großteil ihrer Gewinne durch den Verkauf von Premiumautomobilen in China und anderen asiatischen Ländern. Diese Märkte werden aber vor allem durch konjunkturelle Stützungsmaßnahmen der chinesischen Regierung künstlich am Leben erhalten. Das bereitet mir Sorgen. Es ist natürlich möglich, dass der Automobilzyklus noch für zwei oder drei Jahre am Leben erhalten werden kann. Dann könnte es sich bei den Autoaktien um gute Investments handeln. Das Risiko ist mir aber zu hoch. In welchen Sektoren würden Sie sich aktuell in Europa nach Investment-Möglichkeiten umsehen?Grundsätzlich sehen wir uns nach Unternehmen um, die langfristig Wert generieren können und attraktive Wachstumsmöglichkeiten bieten. Aktuell sehe ich zwei große Investment-Gelegenheiten. Zum einen halte ich die Zahlungsdienstleister für einen attraktiven Wachstumssektor, weil es in Europa immer weniger Bargeldzahlungen und immer mehr elektronische Transaktionen wie Kreditkartenzahlungen gibt. Die Unternehmen, die dafür die Technologie liefern, werden von diesem Trend stark profitieren. In diesem Sektor gibt es auch einen laufenden Konsolidierungsprozess, so dass durch Unternehmenszusammenschlüsse zusätzlich Wert geschaffen wird. Man kann diese Unternehmen zwar nicht mehr als günstig bewertet bezeichnen, allerdings sind die Wachstumsaussichten für die nächsten zehn Jahre fantastisch. Was ist der andere interessante Sektor?Der zweite interessante Sektor ist die Tabakindustrie. Diese Unternehmen bieten langfristig stabile Gewinne, auch wenn der Absatz von Tabak seit zehn Jahren zurückgeht. Den Unternehmen ist es aber gelungen, ihre Kosten deutlich zu verringern. Die Branche ist auch kaum konjunkturabhängig. Die Unternehmen sind wegen des zunehmenden politischen Drucks unglaublich günstig bewertet. Unsere größten Positionen in diesem Bereich sind die beiden in London gelisteten Konzerne British American Tobacco (BAT) und Imperial Tobacco. Imperial Tobacco kommt derzeit auf ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) auf Basis der Ergebnisschätzungen für die kommenden zwölf Monate von gerade einmal 8. Die Aktie bietet eine Dividendenrendite von 9 %, bei einer tendenziell weiter steigenden Dividende. Sehr interessant ist auch, dass es in diesem Bereich eine neue Generation von Produkten gibt, also weniger gesundheitsschädliche nikotinbasierte Geräte, die beispielsweise Nikotinlösungen nur erhitzen und keinen Tabak verbrennen. Bei diesen Produkten sind die Gesundheitsrisiken teilweise um 95 % reduziert. Sie bieten ein enormes Wachstumspotenzial, wobei die großen Tabakkonzerne in diesem Bereich einen enormen Entwicklungs-, Marketing- und Distributionsvorteil haben. Bleiben wir bei umstrittenen Unternehmen, diesmal im Bereich der Zahlungsdienstleister. Sind Sie in Wirecard investiert, und wie beurteilen Sie das Unternehmen?Wir hatten Wirecard für eine lange Zeit in unserem Portfolio, als es sich noch um einen Small Cap handelte. Wir haben den Großteil der Aktien nicht etwa wegen der gegenwärtigen Kontroverse verkauft, sondern mit Blick auf die Bewertung der Aktie. Allerdings muss ich zugeben, dass wir die Aktie zu früh verkauft haben. Was diese gegenwärtige Kontroverse betrifft, so ist es für Außenstehende nur sehr schwer zu beurteilen, ob es sich tatsächlich um Betrügereien handelt. Das Unternehmen und das Management machen zwar einen sehr guten Eindruck, man kann aber nie wissen. Wir verfolgen die Maxime, dass wir uns mit Investments zurückhalten, wenn es Risiken gibt, die wir nicht beurteilen können. Ich habe aber bei Wirecard den Eindruck, dass die angeblichen Betrügereien nur sehr kleine Bereiche betreffen im Vergleich zu den gesamten Aktivitäten des Unternehmens. Somit sollte man momentan sagen: im Zweifel für den Angeklagten. Wenn ein Unternehmen, in das Sie investiert haben, in eine Kontroverse wie im Fall Wirecard gerät, trennen Sie sich dann in jedem Fall von den Aktien?Nein, wir würden uns das von Fall zu Fall ansehen und dann eine Entscheidung treffen. Wenn wir aber die Risiken nicht überschauen können, dann denken wir über einen Verkauf ernsthaft nach. Insofern halten wir übrigens Stop-Loss-Order für ziemlich albern, denn wenn man von einer Aktie überzeugt ist, dann sollte man noch mehr davon kaufen, wenn die Titel gerade besonders günstig sind. Bleiben wir bei den eher umstrittenen Sektoren. Sind Sie in Aktien aus dem Bereich Rüstung investiert, und wie beurteilen Sie diesen Sektor, der sich über die vergangenen Jahre sehr positiv entwickelt hat?Nun, dies ist eine Entwicklung, die wir zumindest teilweise verpasst haben. In den großen Rüstungskonzernen waren und sind wir nicht investiert. Der gesamte Sektor ist stark vom Ausgabeverhalten der Regierungen abhängig, und grundsätzlich sind die Staatskassen seit der Finanzkrise leer. Zudem schien die Welt in der Zeit nach dem Ende des Kalten Krieges sicherer geworden zu sein. Die geopolitischen Spannungen ließen nach. Dann kam auf einmal Trump an die Macht mit einer aggressiven Rhetorik gegen China, Nordkorea und den Iran, während in Europa die Spannungen mit Russland zunahmen. Außerdem sollte man bei derartigen Investments beachten, dass die Branche aufgrund der hohen technologischen Investments stark zyklisch ist, so dass man leicht den geeigneten Zeitpunkt für den Einstieg verpasst. Für Investoren gibt es zudem das schwierige Problem, dass man die Unternehmen auswählen muss, welche die wirklich zukunftsträchtigen Technologien besitzen. Aktuell ist der Sektor angemessen bewertet, so dass wir dort aktuell eher nicht investieren. Ferner hat sich das Marktumfeld für die Konzerne zwar deutlich verbessert, ich würde es aber dennoch nicht als wirklich gut bezeichnen. Kommen wir zum Technologiesektor. Ist es nicht so, dass die Entwicklung in dem Sektor hauptsächlich durch Konzerne in den USA und in Asien getragen wird, während Europa deutlich zurückliegt? Wie identifiziert man in einer solchen Situation interessante europäische Tech-Firmen?Die Beobachtung ist zwar richtig, aber dennoch kann man sagen, dass es in Europa eine ganze Reihe von attraktiven Technologieunternehmen gibt, die globale Führungspositionen einnehmen. Ich denke beispielsweise an die spanische Amadeus IT, den Weltmarktführer von Software für Flughäfen und Customer Management von Reisebüros. Europa verfügt auch über sehr starke Fintechs aus dem Bereich der Zahlungsdienstleistungen. Gerade in diesem Bereich ist Europa gegenüber den USA weit vorne. Dasselbe gilt für Software für Banken. Was halten Sie derzeit von britischen Aktien vor dem Hintergrund der Unsicherheit wegen des Brexit?In Großbritannien gelistete Unternehmen machen ungefähr 35 % unseres Portfolios aus. Das bezieht sich aber letztlich nur auf den Ort ihrer Börsennotierung, während die Unternehmen selbst global aufgestellt sind. Bei British American Tobacco machen die in Großbritannien erzielten Umsätze ungefähr weniger als 5 % der Gesamterlöse aus. Über unser gesamtes Portfolio betrachtet erzielen die darin enthaltenen Unternehmen nur etwa 10 % ihrer Erlöse in Großbritannien. Die Hälfte dieser Erlöse wird von Unternehmen erzielt, die ausschließlich in Großbritannien tätig sind, vor allem im Technologie- und Internetbereich – etwa Internet-Portale. Diese Unternehmen verfügen in der Regel über eine extrem starke Wettbewerbsposition in ihren Geschäftsfeldern, weshalb sie auch eine Flaute gut überstehen würden. Zudem mache ich mir wegen des Brexit gar nicht so große Sorgen. Zwar gibt es deswegen überall in Europa große Aufregung, letztlich liegt es aber im Interesse der Briten und der restlichen Europäer, die Beziehungen aufrechtzuerhalten. Daher gehe ich nicht davon aus, dass es zu einer schweren Rezession in Großbritannien kommt. Großbritannien ist ein Land mit vielen Wettbewerbsvorteilen, beispielsweise im Bereich der Finanzindustrie. Das wird nicht von einem Tag auf den anderen verschwinden. Gleichwohl halten wir uns bei zyklischen Aktien aus Großbritannien zurück. Wie beurteilen Sie die Aussichten für den Bankensektor in Kontinentaleuropa und Großbritannien?Nun, wir vermeiden Investments in den Bankensektor. Das liegt unter anderem daran, dass wir Aktien bevorzugen, deren Wachstumsperspektiven stärker von internen Faktoren abhängig sind und weniger von makroökonomischen Einflüssen, wie dies bei Banken, aber auch beispielsweise den Ölkonzernen der Fall ist. Es gibt aber durchaus einige wenige interessante Banken, in denen wir kleine Positionen halten. Grundsätzlich halten wir aber Finanztitel außerhalb des eigentlichen Bankensektors für attraktiver, wie beispielsweise die Deutsche Börse. Warum halten Sie Banken für keine guten Investments?Die klassischen Bankentitel sind keine guten Investments, auch wenn sie derzeit sehr niedrig bewertet sind. Uns sind das Leverage und die damit verbundenen Risiken im Bankensektor einfach zu hoch. Da inzwischen auch die Bankenaufseher das Risiko für zu groß halten und das Leverage der Banken begrenzen, sind die Ertragsaussichten für die Banken deutlich niedriger geworden, bei angesichts der weltweit hohen Verschuldung sehr begrenzten Wachstumsaussichten. Das Interview führte Dieter Kuckelkorn.