Zinsentwicklung treibt Gold an
Der Goldpreis hat 2019 stark zugelegt, nach Ansicht vieler Analysten soll sich dieser Trend auch fortsetzen. Dafür spreche vor allem das niedrige und weiter sinkende Zinsniveau. Einen nur geringen Einfluss auf den Goldpreis haben indes Angebot an und Nachfrage nach physischem Gold.Von Dieter Kuckelkorn, FrankfurtDer Goldpreis hat im bisherigen Jahresverlauf eine beeindruckende Preisentwicklung hinter sich. Seit Anfang Januar hat sich das Edelmetall um rund 17 % verteuert, wenn man die Notierung in Dollar zugrunde legt. In Euro beträgt der Anstieg sogar 21 %. Mit rund 1 534 Dollar je Feinunze wurde vor ungefähr einer Woche der höchste Stand seit mehr als sechs Jahren verzeichnet. Seither hat es eine kleine Korrektur gegeben, am Montag fiel der Goldpreis sogar unter die Marke von 1 500 Dollar.Die Trends, die den Goldpreis im bisherigen Jahresverlauf angetrieben haben, sind aber weiterhin aktiv. Demnach spricht einiges dafür, dass der Goldpreis weiter steigen wird. Die beiden Haupteinflussfaktoren auf den Goldpreis sind die Zinsentwicklung und der Kurs des Dollars. Mit Blick auf die schwierige konjunkturelle Lage rechnen viele Marktteilnehmer inzwischen mit noch drei weiteren Zinssenkungen der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) im laufenden Jahr. Gold wird bei sinkenden Zinsen für sichere Anlagen wie Staatsanleihen attraktiver, was den Goldpreis stützen dürfte. Und auch weil die Zinssenkungen der Fed tendenziell den Dollar unter Druck setzen, dürfte der Goldpreis zulegen – wobei allerdings auch andere Notenbanken ihre Leitzinsen senken. Anstieg auf 1 600 DollarSo gehen die Analysten von Goldman Sachs davon aus, dass der Goldpreis in drei Monaten auf 1 575 Dollar und in sechs Monaten auf 1 600 Dollar steigt. Sie verweisen dabei auf die Rolle von Gold als sicherem Hafen in Krisenzeiten: Der Goldpreis habe zugelegt mit Blick auf eine Schwächung des chinesischen Yuan sowie substanzielle Konjunkturängste, so die Analysten. “Angesichts anhaltender Sorgen hinsichtlich des Wirtschaftswachstums könnte der Goldpreis weiter steigen”, betont die Bank und verweist auf einen steigenden Anteil an Finanzmitteln, die institutionelle Investoren in Exchange Traded Funds (ETFs) auf Gold investieren.Optimistisch sind auch die Rohstoffexperten der Commerzbank: “Wir erachten den Preisrückgang von Gold nur als Atempause und sehen den Aufwärtstrend nach wie vor intakt. Das Kaufinteresse seitens der Finanzinvestoren ist weiterhin hoch”, betonen sie. Zwar hätten spekulative Finanzanleger an den amerikanischen Terminbörsen laut der Statistik der Terminbörsen-Aufsicht Commodity Futures Trading Commission (CFTC) ihre Netto-Long-Positionen in der Woche zum 13. August nicht weiter aufgebaut. Allerdings hätten die ETF-Anleger weiterhin Gold gekauft, und zwar knapp 12 Tonnen in der vergangenen Woche. Neubewertung des Metalls”Die jüngste Rally war erst der Anfang”, sind auch die Goldexperten von Merck Finck überzeugt. Der Goldmarkt stehe vor einer nachhaltigen Neubewertung mit steigenden Preisen. Viele betrachteten den Goldpreis nur in Dollar. Dabei habe Gold in anderen Währungen seine historischen Höchststände bereits wieder erreicht oder sogar übertroffen. “Dieser Trend wird anhalten”, so Merck Finck. Der Grund hierfür liege in der Wechselwirkung von Realzinsen und Goldpreis. Historisch gelte, dass es umso attraktiver sei, Gold zu besitzen, je geringer das Niveau der Realzinsen sei. Auch bei der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) verweist man auf niedrige bzw. negative Realrenditen in den wichtigsten Währungsräumen, die politischen Risiken und die wieder expansive Geldpolitik der Fed. Mit Blick auf die Faktoren, die den Goldpreis beeinflussen, lässt sich ein Faktor in der Betrachtung weitgehend vernachlässigen: Angebot und Nachfrage an physischem Gold spielen beim Preis des Metalls nur eine sehr untergeordnete Rolle. Das liegt daran, dass ein Großteil des gehandelten Materials “Papiergold” ist, dass also nur ein winziger Teil des Handelsvolumens mit tatsächlichem Gold unterlegt ist oder in physischem Gold gesettelt wird. Das gilt für die beiden wichtigsten Märkte, nämlich den Over-the-Counter-Markt (OTC) in London wie auch den New Yorker Handelsplatz Comex. An der Comex werden Derivate wie Futures gehandelt, wobei 99,95 % der Volumina in Cash gesettelt werden. Für den Londoner OTC-Markt wird geschätzt, dass im Settlement auf eine Unze physisches Gold zehn bis 15 Unzen “Papiergold” kommen.Gemäß Schätzungen für das Jahr 2015 entfallen rund 78 % des globalen Volumens an gehandeltem Gold auf den Londoner OTC-Markt und 8 % auf die Comex. Andere Märkte wie etwa die Shanghai Gold Exchange, an der die Kontrakte mit physischem Gold unterlegt sind, spielen praktisch keine Rolle, sie übernehmen die Preise vom Londoner Markt und von der Comex.Mit Blick auf die untergeordnete Bedeutung von Angebot und Nachfrage an physischem Gold spielt es auch kaum eine Rolle, dass die Zentralbanken derzeit so viel Gold kaufen wie seit mehr als fünfzig Jahren nicht mehr. Nach Angaben des World Gold Council, des Verbandes der Goldproduzenten, waren es allein in der ersten Hälfte dieses Jahres 374 Tonnen. Als Käufer treten vor allem die Notenbanken Russlands und Chinas auf, die langfristig danach streben, die dominierende Position des Dollars und der USA im Weltfinanzsystem zu beenden. Dazu könnte es langfristig erforderlich sein, zu goldgedeckten Währungen zurückzukehren. Diese Option wollen sich Russland und China zumindest offen halten. In diesem Zusammenhang gibt es auch immer wieder Spekulationen, die US-Notenbank Federal Reserve habe zur Stützung des Dollars und zur Erhaltung der Rolle des Greenbacks als Welthandelswährung ein Interesse daran, den Goldpreis niedrig zu halten, um so die Rückkehr zu goldgedeckten Währungen als Alternativen zum Dollar zu erschweren. Konkrete Hinweise dafür gibt es aber kaum, wenngleich man einräumen muss, dass der OTC-Handel nach wie vor äußerst intransparent ist.Um die genannten Notenbankkäufe von 374 Tonnen aber in eine richtige Perspektive zu setzen: Am 26. Juni dieses Jahres fiel der Goldpreis an der Comex innerhalb von Sekunden um rund 1 % von 1 254 Dollar auf 1 242 Dollar. Dabei betrug das innerhalb weniger Sekunden umgesetzte Handelsvolumen rund 1,8 Mill. Unzen, was mehr als 59 Tonnen entspricht. Und am Londoner OTC-Markt gingen in der Woche per 11. August 2019 nicht weniger als 213 Mill. Unzen um – bzw. umgerechnet mehr als 6 600 Tonnen Gold. Das ist mehr als die gesamte Jahresmenge an angebotenem physischem Gold (Minenproduktion und Recycling), die 2018 unter 5 000 Tonnen lag.Letztlich haben auch die Mittel, die in Gold-ETFs investiert werden, praktisch keinen Einfluss auf den Goldpreis. Dafür sind sie zu gering: So veranschlagt Goldman Sachs die Goldnachfrage von ETFs im laufenden Jahr auf 600 Tonnen. Allerdings spielen die Zahlen zu Mittelzuflüsse und Abflüssen von Gold-ETFs insofern eine Rolle, als sie Rückschlüsse auf die aktuellen Meinungen von Finanzinvestoren gegenüber der Goldanlage zulassen.