TÜRKEI

Zu früh gefreut

Investoren mögen keine Unsicherheit, oder in die Sprache der Politik übersetzt: Sie bevorzugen klare Verhältnisse. So verwundert es auch nicht, dass Finanzanlagen aus der Türkei nach dem überraschend klaren Wahlsieg der konservativ-islamischen...

Zu früh gefreut

Investoren mögen keine Unsicherheit, oder in die Sprache der Politik übersetzt: Sie bevorzugen klare Verhältnisse. So verwundert es auch nicht, dass Finanzanlagen aus der Türkei nach dem überraschend klaren Wahlsieg der konservativ-islamischen Partei AKP hoch im Kurs standen. Mit der absoluten Parlamentsmehrheit im Rücken wird die AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan die Regierungsbildung schnell angehen und dringende Probleme des Landes anpacken können, so die Erwartungshaltung der Märkte – und im Hinblick auf die Flüchtlingskrise sicher auch der Bundesregierung in Berlin.Von der Rückkehr der Investoren profitierte auch die Landeswährung Lira, die wieder Kurse wie Ende Juli/Anfang August erreichte. Sie hat damit die Risikoprämie wieder größtenteils ausgepreist, welche eine Folge der Unsicherheit über die Regierungsbildung wie auch der jüngsten Gewaltwelle im Land war. Nimmt man die Lira als Gradmesser für die Stimmung gegenüber der Türkei, so hat diese sich also deutlich aufgehellt.Doch die Freude über diesen Vertrauensbeweis könnte rasch wieder verfliegen. Dies liegt an der ökonomischen Lage wie auch der innen- wie außenpolitischen Situation, wobei sich die Negativfaktoren wie die Lage im benachbarten Syrien oder die zuletzt wieder steigende Inflationsrate gegenseitig verstärken könnten. Zudem macht ein Leistungsbilanzdefizit von fast 6 % der Wirtschaftsleistung die Türkei anfällig für externe Schocks wie eine US-Zinswende.Auch die politischen Risiken bleiben hoch, trotz der absoluten Mehrheit der AKP. Bislang haben Übergriffe des türkischen Staates gegen Oppositionelle oder Journalisten das Investorensentiment nicht belastet. Doch ab einem gewissen Punkt werden solche Aktionen als Teil einer interventionistischen und marktfeindlichen Wirtschaftspolitik wahrgenommen. Dies gilt im Fall der Türkei insbesondere im Hinblick auf die wachsende Günstlingswirtschaft im Umfeld des starken Mannes im Lande, Präsident Erdogan. Ein weiteres Feld der Besorgnis ist die Unabhängigkeit der Notenbank, deren Leitzins aktuell unter der Inflationsrate liegt. Noch als Ministerpräsident hatte Erdogan versucht, gegen eine aus stabilitätspolitischen Gründen angemessene Zinserhöhung zu intervenieren, um das Wachstum insbesondere der Immobilienbranche nicht zu gefährden. Sollte Erdogan, gestärkt durch die neue Mehrheit, von einem marktwirtschaftlichen zu einem national-interventionistischen Kurs übergehen, wäre die Freude über die starke Lira verfrüht gewesen.