Zwei Triebfedern für Aktie von United Internet
Von Heidi Rohde, Frankfurt
Auch wenn Elon Musk persönlich um einige Milliarden schwerer ist, eines hat Ralph Dommermuth mit ihm gemeinsam: Auch der Gründer und Großaktionär von United Internet schlägt am Kapitalmarkt gerne das eine oder andere Überraschungsei auf – oder um im vorweihnachtlichen Bild zu bleiben – er lässt schon mal Anfang November anklingen, was er sich diesmal zur Bescherung ausgedacht hat. Demnach muss sich der Streubesitz darauf einstellen, bei United Internet bald eine (noch) geringere Rolle zu spielen; denn Dommermuth weitet seinen Einfluss aus. Nachdem der Konzernchef Anfang November angekündigt hat, dass er „darüber nachdenkt“, den außenstehenden Aktionären ein freiwilliges Angebot von 35 Euro je Aktie zu machen, um seinen Anteilsbesitz von derzeit 42,3% auf 51% aufzustocken, ist der Kurs der Aktie auf dem Niveau quasi festgenagelt. Investoren, die offenbar weniger Vertrauen in die weitere Entwicklung des Telekommunikations- und Internet-Konzerns haben, rennen Dommermuth die Bude ein. Vor einer Woche hatte er mitgeteilt, „verschiedene Angebote zu außerbörslichen Paketerwerben“ an United Internet erhalten zu haben. Nun macht er Nägel mit Köpfen. Eine vom CEO kontrollierte Beteiligungsgesellschaft hat „Kaufverträge über den Erwerb von 15,2 Millionen Aktien abgeschlossen“. Das entspricht rund 7,8%, so dass Dommermuth nun etwa 50,1% an United Internet hält.
Schlechter als TecDax
Die Aktie von United Internet und die der Telekommunikationstochter 1&1 Drillisch, die nach dem 2017 geschickt eingefädelten Zusammenschluss im Telekomgeschäft einen Höhenflug angetreten hatten, waren ebenso unvermittelt in den Sturzflug geraten, als der Konzern angekündigte, mit dem Erwerb einer 5G-Mobilunklizenz zum Telekomnetzbetreiber aufstocken zu wollen. Titel von United Internet haben gegenüber ihrem Hoch Anfang 2018 mehr als 40% an Wert verloren. In den beiden vergangenen Jahren ist das Papier der Performance des TecDax deutlich mit 20% bzw. sogar 25% hinterhergelaufen.
Hauptgrund für die verhaltene Kursentwicklung ist aus Anlegersicht zum einen die Hängepartie beim 5G-Netzausbau. United Internet musste für eine Interimsphase, bevor das eigene Netz steht, eine Roaming-Vereinbarung mit dem Wettbewerb unter Dach und Fach bringen. Dies gelang schließlich mit Telefónica Deutschland, aber die Verhandlungen liefen zäh. Ebenso zäh verlaufen die Vorbereitungen zum Netzaufbau. Inzwischen hat United Internet eine Bau- und Betriebsvereinbarung mit dem japanischen Mobilfunknetzbetreiber Rakuten abgeschlossen und die Vodafone-Tochter Vantage Towers als Funkturm-Partner auserkoren. Im Dunkeln liegen allerdings für die Investoren weiterhin die gesamten Kosten, die mit dem Aufstieg zum 5G-Netzbetreiber verbunden sein werden. Abgesehen natürlich von den bekannten „Opportunitätskosten“ wie der Minimaldividende.
Trotz dieses Diätprogramms und der Unsicherheit bei den Investitionen ist die übergroße Mehrheit der von Bloomberg erfassten Analysten positiv gestimmt für die Perspektiven der Aktie. 13 Kaufempfehlungen, was etwas mehr als der Hälfte der erfassten Einschätzungen sind, stehen 10 Bewertungen mit „Hold“ gegenüber. Niemand rät zum Verkauf der Aktie. Das mag auch damit zusammenhängen, dass ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von 15,99 mit Blick auf das Jahr 2022 für ein operativ ertragsstarkes Technologieunternehmen recht moderat erscheint. Unter den Kurszielen hebt sich M.M. Warburg mit 53 Euro nach oben ab, Jefferies, die die Aktie mit „Halten“ einstuft, sieht ein Kursziel von 35,90 Euro, also kaum Potenzial. Eine Mehrheit ruft Kursziele um die 40 Euro auf.
Robustes Wachstum
Im zurückliegenden dritten Quartal überzeugte United Internet mit einem robusten Umsatzplus von fast 5% und einem deutlich überproportionalen operativen Ergebniswachstum (Ebitda) von 8,9%. Die Jahresziele von 5,6 Mrd. Euro Umsatz und einem Ebitda von 1,25 Mrd. Euro wurden vom Management bestätigt. In den kommenden Jahren rechnen die Experten von Barclays für 2022 und 2023 mit einem leicht verlangsamten Umsatzanstieg von jeweils 3% jährlich und einem mäßigen Ebitda-Fortschritt. Independent Research, die die Aktie ebenfalls zum Kauf empfiehlt, mit Kursziel 45 Euro, rechnet im kommenden Jahr ebenfalls mit 3% Umsatzplus und erwartet je Aktie ein Ergebnis von 2,27 Euro. Fürs laufende vierte Quartal liegt der Analystenkonsens bei einem Ebitda von 318 Mill. Euro. Je Aktie wird ein Ergebnis 0,53 Euro erwartet, das in den beiden kommenden Quartalen auf 0,43 Euro bzw. dann auf 0,50 Euro zurückgehen soll.
Mit Blick nach vorn heben viele Experten zwei mögliche Kurstreiber hervor: erstens die Chance auf einen Wachstumsschub, wenn United Internet erst richtig als 5G-Netzbetreiber auftreten kann. Aufgrund einer im Vergleich zu den etablierten Netzbetreibern schlanken operativen Kostenbasis hat die Telekommunikationstochter 1&1 Drillisch am Markt eine gute Ausgangsposition im Wettbewerb. Der Aufbau eines sogenannten virtualisierten Netzes, bei dem Rakuten Erfahrung hat, dürfte ebenfalls mittelfristig kostendämpfend sein. Über die genauen Vertragsbedingungen der Tower-Miete bei Vantage Towers ist nichts bekannt. Jedoch könnte United Internet möglicherweise das in 1&1 Versatel gebündelte Glasfasernetz in die Waagschale geworfen haben.
Weitere Kursfantasie entzündet sich bei United Internet an dem wiederholt auf die lange Bank geschobenen Börsengang der Applications-Sparte Ionos, an der der Finanzinvestor Warburg Pincus ein Drittel hält. Nunmehr soll das IPO Bankenkreisen zufolge im ersten Quartal 2022 über die Bühne gehen. Das Umfeld für die Hosting-Tochter ist derzeit günstig. Gerade in der Pandemie haben Cloud-basierte Geschäftsmodelle einen Schub erfahren. Im laufenden Jahr hat der französische Wettbewerber OVH Cloud erfolgreich den Sprung aufs Parkett gewagt. Das Unternehmen wurde auf Basis der anfänglichen Marktkapitalisierung von 3,5 Mrd. Euro mit dem 14-fachen operativen Gewinn vor Abschreibungen (Ebitda) bewertet. Bei United Internet stand die Sparte Business Applications, zu der neben Ionos aber noch Sedo, Strato u.a. zählen, in den ersten neun Monaten für ein Ebitda von 242 Mill. Euro.