Halbleiter

Kein Ende der Chip-Krise in Sicht

Im Vorfeld der Automobilmesse IAA mehren sich erneut die Stimmen, die warnen, dass die Halbleiterkrise die Branche noch längere Zeit stark belasten wird.

Kein Ende der Chip-Krise in Sicht

Die Unternehmensberatung PwC beurteilt die Produktions- und Absatzpläne der Autoindustrie angesichts der Halbleiterkrise mit großer Skepsis. Der Ausbau von Halbleiter-Produktionsanlagen dauere bis zu zwei Jahre, der Bau neuer Werke sogar fünf Jahre – deshalb sei „keine kurzfristige Erholung der Versorgung mit Halbleitern zu erwarten”, sagte PwC-Experte Tanjeff Schadt vor Beginn der Automesse IAA am Montag. „Die negativen Effekte der Halbleiterkrise sind enorm und erreichen bislang fast 50% der Effekte durch Covid-19 aus dem Jahr 2020″, sagte PwC-Autobranchenexperte Thomas Steinberger.

Schon im ersten Halbjahr seien 4,0 Millionen Autos weniger gebaut worden als geplant. Volkswagen lag demnach 21% unter Plan, Ford 18%, Stellantis 15%, GM 12%, Daimler 2%. BMW trifft es erst jetzt. Angesichts ständiger kurzfristiger Produktionsausfälle und der Lage bei den Zulieferern seien die geplanten Steigerungen im dritten und vierten Quartal “kritisch zu hinterfragen”, warnten die Experten.

Vor allem für kleine Zulieferer stiegen die Risiken: „Eine andauernde Planungsunsicherheit könnte Dominoeffekte zur Folge haben, die einen erhöhten Bedarf an Restrukturierungen auslösen kann.” Insbesondere Zulieferer mit einer hohen Abhängigkeit von einzelnen Regionen, Autoherstellern und Fahrzeugklassen „werden sich auf große Schwankungen einstellen müssen”.

Daimler erwartet erst 2023 deutliche Entspannung bei Halbleitermangel

Auch Daimler-Vorstandschef Ola Källenius sagte im Vorfeld der IAA, dass noch kein Ende der Halbleiter-Krise in Sicht sei. Er erwarte jedoch zumindest etwas Entspannung. Doch die jüngsten Corona-Lockdowns in Malaysia hätten Mercedes-Benz im laufenden Quartal getroffen, und „die Situation ist volatil“, sagte Källenius.

Er hoffe, dass es im vierten Quartal besser werde. Aber die Nachfrage nach Halbleitern werde auch nächstes Jahr höher sein als die weltweite Produktionskapazität. Das sei ein strukturelles Problem und habe nichts mit der Pandemie zu tun. Erst 2023 erwarte er eine deutliche Entspannung, sagte Källenius.

BMW hatte Mercedes bei den Absatzzahlen im ersten Halbjahr überholt und will 2030 schon drei Millionen Autos verkaufen, ebenso wie Audi. Källenius sagte, für ihn sei Gewinn wichtiger als Volumen. Mercedes-Benz wolle mit guter Technik und Ästhetik Autos zu „Premiumpreisen“ verkaufen und nicht „unten rumjagen“ und Autos ohne gute Renditen an Autovermieter verkaufen. Das Oberklasse-Segment biete Mercedes großes Wachstumspotenzial.

Auch beim autonomen Fahren überlasse Mercedes das Robotaxi gerne den Volumenherstellern. Für Mercedes sei die Anwendung im Privatauto wichtig. Mit dem elektrischen EQS hat Mercedes vor den großen deutschen Konkurrenten ein Auto auf dem Markt, das auf der Autobahn bis Tempo 60 selbstständig fahren kann.

Auch BMW-Chef Oliver Zipse erwartet keine schnelle Lösung bei der Chip-Knappheit. „Ich rechne damit, dass die grundsätzliche Anspannung in den Lieferketten in den nächsten sechs bis zwölf Monaten andauern wird”, sagte er am Montag auf der IAA. Die ganze Branche befinde sich in einer Nachinvestitionsphase. Langfristig sehe er aber keine Probleme, weil die Autobranche für die Chip-Hersteller ein attraktiver Kunde sei.

Autozulieferer Brose muss wegen Chipmangel Prognose möglicherweise reduzieren

Der fränkische Autozulieferer Brose dämpfte derweil am Sonntag angesichts des weltweiten Chip-Mangels die Aussichten für das Familienunternehmen. „Nach einem guten Start in das Geschäftsjahr macht sich die Halbleiterkrise seit Juli so richtig bemerkbar”, sagte Brose-Chef Ulrich Schrickel der Branchenzeitung „Automobilwoche”. „Viele Fahrzeughersteller schließen einen Teil ihrer Werke. Daher werden sich unsere Erwartungen nicht erfüllen.”

Derzeit sei eine zuverlässige Prognose schwierig, sagte Schrickel. „Wir planen noch mit rund 5,5 Mrd. Euro. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr lagen wir bei 5,1 Mrd. Euro”, sagte der Brose-Chef mit Blick auf den Umsatz. „Aber das ist die Einschätzung nach jetzigem Stand.” Wenn es im Jahresverlauf zu keiner Beruhigung der Halbleitersituation komme, könne es sein, dass die Prognose nach unten korrigiert werden müsse.

Aufträge und Markt seien vorhanden, um deutlich über sechs Mrd. Euro Umsatz erzielen zu können, betonte Schrickel. Allerdings werde diese Summe nicht realisiert, da der Halbleitermangel die Automobilproduktion ausbremse: „Wir schätzen, dass die Auswirkungen bis Anfang 2022 zu spüren sein werden.” 2021 werde das Unternehmen den höchsten Auftragseingang der Brose-Geschichte erzielen. „Im Jahr 2025 wollen wir inklusive des geplanten Joint Ventures Brose Sitech rund neun Mrd. Euro Umsatz erzielen”, sagte Schrickel. Brose hatte im vergangenen Jahr einen Umsatzrückgang von 17% auf 5,1 Mrd. Euro verbucht.

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