Airbus-Chef Faury besteht Realitätstest
Von Stefan Kroneck, München
Eins schon vorweg: Guillaume Faury hat ihn bestanden, den Realitätstest. Der CEO von Airbus brauchte allerdings viel Zeit, um sich den Unwägbarkeiten in der Praxis zu fügen und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen. Zur Bilanzvorlage am Konzernhauptsitz in Toulouse kündigte der Topmanager dieser Tage an, seine ehrgeizigen Vorgaben für den Produktionshochlauf der Verkaufsschlager-Baureihe A320 um ein Jahr auf 2026 nach hinten zu verschieben (vgl. BZ vom 17. Februar).
Der französische Luft- und Raumfahrtingenieur, der am Mittwoch 55 Jahre alt wird, legte damit öffentlich ein Bekenntnis ab, in der Realität angekommen zu sein. Zugleich war das für Faury ein Eingeständnis, mit seinen Plänen Stress in der Organisationsstruktur des Konzerns und bei seinen Zulieferern erzeugt zu haben, die diesem nicht gewachsen sein konnten. Denn vor allem die Lieferketten sind in der Luftfahrtindustrie nach wie vor angespannt. Die Beschaffung von Rohstoffen, Material und Vorprodukten ist eine ständige Herausforderung angesichts einer hohen Inflation, wachsender geopolitischer Spannungen (Stichwort Ukraine-Krieg) und Nachholeffekten aufgrund der Corona-Pandemie.
Doch in der – auch öffentlich ausgetragenen – Diskussion über die Umsetzbarkeit von Faurys (ursprünglichem) Vorhaben, die monatliche Produktionsrate der Kurz- und Mittelstreckenmaschinen auf 75 Stück hochzutreiben, konnte man den Eindruck gewinnen, dass der CEO beinahe trotzig an seiner Kalkulation festhält. Denn in der Branche setzte sich längst die Erkenntnis durch, dass das Ziel nicht zu schaffen ist.
Faurys Einlenken ist zudem der Tatsache geschuldet, dass Airbus selbst an allen Ecken und Enden mit Kapazitätsengpässen zu kämpfen hat. Der mit der ersten Covid-19-Welle 2020 angekündigte Kahlschlag von konzernweit 15000 Stellen ist zwar nach zähen Verhandlungen mit den Gewerkschaften vermieden worden, doch der sozialverträglich gleitende Abbau von weniger Personal als ursprünglich vorgesehen macht sich dennoch in der Fertigung an verschiedenen Standorten bemerkbar. Produktionshochlauf unter Zeitdruck bei zugleich weniger Arbeitskräften ist ein Kunststück, das selten reibungslos funktioniert. Auch bei Airbus nicht. Der europäische Boeing-Rivale konnte Personal, welches für die Fertigung des (eingestampften) Großraumfliegers A380 eingesetzt war, für die A320-Baureihe umleiten.
Unter dem Strich zeigt die aktuelle Entwicklung aber, dass es Airbus operativ sehr gut geht. Faurys große Herausforderung ist es, ein Orderbuch von weit über 7200 Flugzeugen zügig genug abzuarbeiten, so dass die Fluggesellschaften die bestellten Modelle zum gewünschten Zeitpunkt in Empfang nehmen können. Aus Sicht mancher Manager von Boeing hat der Airbus-CEO im relativen Vergleich Luxusprobleme, während der US-Konzern aus Chicago und Seattle sich immer noch mit selbstverschuldeten Problemen herumschlägt. Während sich Boeing zuletzt abermals tiefrot präsentierte, überzeugte Airbus die Anleger mit sehr guten Bilanz- und Erfolgskennzahlen. Letzteres ist Faurys Verdienst und das seiner Mannschaft. Trotz der Rückschläge schaffte er es, Airbus solide durch die Coronakrise zu steuern. Jetzt stehen die Europäer im Duell um die Vorherrschaft am Himmel deutlich besser da als die Amerikaner. Faury hat an der Konzernspitze vieles richtig gemacht. Ansonsten stände Airbus nicht dort, wo sie sich im Wettbewerb gerade befindet.
Faury führt Airbus seit April 2019. Seinerzeit trat der aus der Normandie (Cherbourg) stammende CEO die Nachfolge von Thomas Enders an. Der Franzose erwies sich als scharfer Kontrast zu seinem deutschen Amtsvorgänger. Trotz des starken Drucks, welcher auf ihm lastet, wirkt Faury nach außen stets diplomatisch und konziliant im Vergleich zu Enders, der kein Blatt vor den Mund nahm. Faurys Position im Konzern gilt als unangefochten. Der Board of Directors, dem René Obermann vorsitzt und Faury selbst angehört, verlängerte im vergangenen Jahr den Vertrag des Konzernchefs bis 2025.