Italien

Andrea Agnelli verlässt die Führungs­ebene

Erdbeben bei der Fiat-Gründerfamilie: Andrea Agnelli gibt seine Posten als Verwaltungsrat bei Stellantis und Exor auf.

Andrea Agnelli verlässt die Führungs­ebene

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Die Familie Agnelli hat Italien über mehr als 120 Jahre fast so sehr geprägt wie ein Königshaus. Es ist deshalb wie ein kleines Erdbeben, das die Dynastie der Fiat-Gründer und ihrer Erben gerade erschüttert. Mit Andrea Agnelli (47) verlässt das letzte Mitglied der Familie, das den Namen des Firmengründers trägt, die Führungsebene. Er hat nicht nur das Präsidentenamt bei dem seit rund hundert Jahren von der Familie kontrollierten börsennotierten Fußballclub Juventus Turin (Juve) aufgegeben. Bei der Juve-Hauptversammlung kündigte er nun auch den Rückzug aus dem Verwaltungsrat der börsennotierten Familienholding Exor, Großaktionär von Ferrari, Juve, Stellantis, CNH Industrial und Iveco, an. Er wolle den Kopf frei haben, sagte Agnelli vor den Aktionären. Er betonte, dass es sich um eine persönliche Entscheidung handle, die er in völliger Eintracht mit Exor-Chef John Elkann getroffen habe.

Daran sind Zweifel angebracht. In Italien wird spekuliert, dass der Rücktritt auf Druck Elkanns erfolgte. Der 46-jährige Enkel des legendären „Avvocato“ Giovanni Agnelli ist CEO von Exor sowie Chairman von Stellantis und Ferrari. Er war schon vorher unumstrittener Chef des Clans und ist es jetzt noch viel mehr. Der jahrzehntelange Machtkampf zwischen den Abkömmlingen Giovanni Agnellis und denen seines Bruders Umberto, den „Umbertiani“, ist jetzt wohl endgültig entschieden.

Andrea ist der Sohn des 2004 verstorbenen Umberto, der nach dem Tod des Avvocato kurz Fiat-Chef war. Während Elkann später Fiat-Chef wurde, erhielt Andrea Agnelli „nur“ den Posten des Juve-Präsidenten. Im November 2022 trat er, zusammen mit der gesamten Führungsriege, nach zwölf Jahren an der Spitze des Rekordmeisters zurück. Grund waren Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Bilanzfälschung und anderer Delikte. Seine Bilanz: neun Meistertitel in Folge, aber auch Verluste von 550 Mill. Euro allein in den vergangenen drei Jahren. Demnächst muss er sich wohl vor Gericht verantworten. Der neue Juventus-Präsident Gianluca Ferrero, Wirtschaftsprüfer und Steuerexperte, will den Verein mit aller Entschlossenheit verteidigen und an alte Erfolge anknüpfen. Das wird schwer. Der Tabellendritte hat gerade eine demütigende 1:5-Niederlage gegen Tabellenführer SSC Neapel hinnehmen müssen. Außerdem droht im schlimmsten Fall ein Lizenzentzug.

Andrea Agnelli steht einem der großen Familienzweige vor. Er hält 11,85% an der Exor-Kontrollholding Giovanni Agnelli BV und damit indirekt 6,1% an Exor. Der Zweig um Elkann, zu dem dessen Geschwister Lapo und Ginevra gehören, kontrolliert 38%. Die Gruppe um Maria Sole Agnelli, die 97-jährige Schwester des Avvocato, hat etwas mehr als 12%.

Andrea Agnelli will im Verwaltungsrat des nicht börsennotierten Exor-Mehrheitsaktionärs bleiben. Außerdem bleibt ihm die Investmentholding Lamse, an der seine Schwester Anna beteiligt ist. Es ist wahrscheinlich, dass er im Falle eines Freispruchs seine jetzt aufgegebenen Verwaltungsratsposten zurückhaben will.

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