Finanzierung

„Anleihe-Emittenten im Sanktions-Dilemma“

Von unterschiedlichen Staaten verhängte Sanktionen sind oftmals nicht synchronisiert, was für Emittenten von international platzierten Anleihen zum Problem werden kann.

„Anleihe-Emittenten im Sanktions-Dilemma“

Herr Dr. Schlee, Herr Wöckener, ist es für den Emittenten einer Anleihe klar, inwieweit Zinsen und Rückzahlung an möglicherweise sanktionierte Anleihegläubiger fließen?

Wöckener: Bei girosammelverwahrten Inhaberschuldverschreibungen kann die Emittentin die Gläubiger nicht kennen. Insofern muss sich die Emittentin typischerweise einer Bank als Zahlstelle bedienen, über die Zins- und Nennbeträge an das Clearing System gezahlt werden. Das Clearing System schüttet die Beträge dann über die jeweiligen Depotbanken an die Anleihegläubiger aus. Aus Sicht der Emittentin tritt in der Regel gegenüber dem Anleihegläubiger bereits mit der Zahlung an das Clearing System schuldbefreiende Wirkung ein.

Die Emittentin kann also nicht sicherstellen, dass nur solche Personen die Anleihen erwerben und halten, die nicht sanktioniert sind?

Schlee: Im Rahmen der Primärmarktplatzierung, also der Erstplatzierung an Investoren schon. Allerdings gibt es grob unterteilt zwei problematische Konstellationen, die außerhalb der Kontrolle der Emittentin liegen. Erste Konstellation:  Der im Rahmen der Primärmarktplatzierung nicht sanktionierte Investor wird während der Laufzeit der Anleihe zur sanktionierten Partei unter einem nicht europäischen Sanktions-Regime. Oder zweite Konstellation: Eine unter einem nicht europäischen Sanktionsregime sanktionierte Partei erwirbt die Anleihe im Sekundärmarkt zum Beispiel über die Börse.

Was passiert, wenn sich herausstellt, dass einer der Anleihegläubiger sanktioniert ist?

Wöckener: Nehmen wir an, ein Anleihegläubiger unterliegt zwar keinen sanktionsrechtlichen Beschränkungen gemäß nationalem oder EU-Recht und wird derzeitig auch nicht auf Sanktionslisten der EU geführt. Allerdings ist dieser Anleihegläubiger eine US-sanktionierte Person, die zum Beispiel auf der SDN-Liste des OFAC geführt wird, der Kontrollbehörde des US-Finanzministeriums.

Mit welchen Folgen?

Wöckener: Die Emittentin wird in diesem Fall zwar an die Zahlstelle Zinsen und Kapital leisten (von den Sanktionsumständen kann sie in der Regel keine Kenntnis haben); die Zahlstelle wiederum wird jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit daran gehindert sein, die erhaltenen Zins- oder Kapitalzahlungen, die für den sanktionierten Anleihegläubiger bestimmt sind, an das Clearing System weiterzuleiten, da sie ansonsten gegen OFAC-Sanktionen verstößt.

Was geschieht mit dem Geld?

Wöckener: Den Betrag, der für den sanktionierten Anleihegläubiger bestimmt war, legt die Zahlstelle üblicherweise auf ein sogenanntes „blocked account“. Weder die Emittentin noch der betroffene Anleihegläubiger haben Zugriff auf dieses Konto. Da die Gelder damit nicht an das Clearing System ausgekehrt wurden, tritt – wie zuvor gesagt – auch keine Schuldbefreiung gegenüber dem Gläubiger ein. Hierin liegt das Dilemma.

Bleibt in diesen Konstellationen der Anspruch des Anleihegläubigers bestehen? Ist die Emittentin insofern weiterhin zur Zahlung verpflichtet?

Schlee: Die Emittentin wird sich gegenüber dem Gläubiger in der Regel nicht auf den Tatbestand der Unmöglichkeit berufen können. Denn dem stehen das nationale Recht sowie das EU-Regelungsregime entgegen. Insbesondere § 7 Außenwirtschaftsverordnung sowie die EU-Blocking-Verordnung verbieten es, unter anderem durch Boykott-Erklärung gegen einen anderen Staat, sich dem Sanktionsregime eines Drittstaates zu unterwerfen. In der Praxis ist davon die Rede, dass die EU-Blocking-Verordnung im Rahmen des § 275 Bürgerliches Gesetzbuch das Unmögliche möglich macht.

Welche Folgen hat das für die Emittentin?

Wöckener: Das kann weitgehende Konsequenzen für die Emittentin haben. Im Fall der Rückzahlung bei Fälligkeit bleibt die Anleihe in Höhe des nicht zurückgezahlten Nennbetrags ausstehend. Zwar ist fraglich, inwiefern der Anspruch des Anleihegläubigers bei einer globalverbrieften Inhaberschuldverschreibung tatsächlich vollstreckbar ist, allerdings liegt ein Zahlungsverzug der Emittentin in Bezug auf Zins- oder Kapitalbeträge unter den Anleihebedingungen vor. Dies löst ein Kündigungsrecht der Anleihegläubiger aus, was unter Umständen sehr weitreichende Konsequenzen für die Emittentin nach sich zieht – Stichwort „Cross Default“.

Das Problem stellt sich also nicht, wenn der Anleihegläubiger über nationales Recht oder EU-Recht sanktioniert ist?

Schlee: Genau, denn dann greift der Tatbestand der Unmöglichkeit. Die Emittentin wird von ihrer primären Leistungspflicht bezüglich der Zahlung von Zinsen und Kapital befreit. Da sie an der Unmöglichkeit kein Verschulden trifft, hat sie auch keinen Schadensersatz zu leisten.

Wie können Emittenten solche Risiken vermeiden?

Schlee: Hier müsste man danach unterscheiden, ob die Emittentin unter den Anwendungsbereich von US-Sanktionsregelungen fällt. Tut sie das, hätte dies zur Folge, dass die Emittentin keine Zahlungen leisten darf, nationales und EU-Recht dies aber womöglich zulassen. Dann bliebe nur noch die Möglichkeit, eine Ausnahmegenehmigung gemäß Artikel 5 Absatz 2 der EU-Blocking-Verordnung zu beantragen.

Welche Option ist gegeben?

Schlee: Diese Ausnahmegenehmigung würde die Emittentin in die Lage versetzen, die Anleihe auch gegenüber einer US-sanktionierten Partei bedienen zu dürfen. Eine präventive Beantragung quasi „auf Verdacht“ wird allerdings regelmäßig nicht möglich sein, da die Emittentin im Rahmen der Antragstellung eine spezifische und wahrscheinliche Gefährdung darzulegen hat. Dies führt dazu, dass eine Emittentin in aller Regel erst tätig werden kann, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist.

Ist der Gesetzgeber gefordert?

Wöckener: Es liegt auf der Hand, dass der Gesetzgeber hier gefragt ist, um das Dilemma zugunsten von Emittenten, die sich über den internationalen Kapitalmarkt finanzieren, aufzulösen. Es kann nicht im Sinne des Gesetzgebers sein, dass internationale Unternehmen der Gefahr eines Zahlungsverzugs und womöglich eines „Cross Defaults“ mit dann weitreichenden Folgen ausgesetzt sind. Hier übersteigt das Interesse eines funktionierenden Kapitalmarkts Sinn und Zweck der Außenwirtschafts- sowie der EU-Blocking-Verordnung. Das Sanktionsinteresse würde ja gewahrt bleiben.

Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.

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