Bei Kunst ist Werthaltigkeit mehr denn je gefragt
Wer als Anleger herkömmliche Wertpapiere im Depot hält, wäre in unsicheren Zeiten wie diesen gut beraten, sein Portfolio stärker zu diversifizieren. Eine Gelegenheit dafür bietet die Kunst. Das kostet Überwindung. Denn für manche ist das Neuland. Zudem stößt man bei Kunst auf Klischees. Ausstellungen in Museen erfreuen sich in der breiten Bevölkerung zwar einer wachsenden Beliebtheit. Doch wenn es um den eigenen Besitz von Kunst geht, machen viele einen Bogen darum.
Das hat im Wesentlichen zwei Gründe. Erstens: Es herrscht die Meinung vor, Kunst sei ausschließlich etwas für gut betuchte Personen und Familien, also schwerreiche Leute. Der Kunstmarkt befeuert das teilweise selbst, indem in den Medien über versteigerte Werke berichtet wird, die zu Preisen in zweistelliger Millionenhöhe den Eigentümer wechseln. So geschehen Ende November des Vorjahres, als das Auktionshaus Grisebach ein Selbstbildnis von Max Liebermann für 20 Mill. Euro an einen Bieter veräußerte. Für das Werk des Expressionismus erzielten die Berliner die höchste Summe, die bislang bei einer Kunstauktion in Deutschland gezahlt wurde.
Zweitens: die Hemmschwelle. Viele Menschen zieren sich, eine Galerie aufzusuchen, um sich Kunstobjekte anzusehen und sich diese erklären zu lassen. Möglicherweise besteht die Furcht, sich dabei ungewollt als Kulturbanause zu outen.
Anlagechancen
Diese Vorstellung täuscht. Richtig ist, dass man Arbeiten von Künstlern auch zu erschwinglichen Preisen im Primärmarkt – also überwiegend über Galerien oder teils direkt aus dem Atelier eines Künstlers – erwerben kann. Das gilt insbesondere für zeitgenössische jüngere Kunstschaffende, die sich entwickeln. Womit man in kleinem Rahmen anfängt, kann mit der Zeit zu einer ansehnlichen Sammlung heranwachsen. Voraussetzung ist ein Interesse an Kunst und eine Neugier. Galerien sind dafür ein geeignetes Forum, haben diese in Deutschland als wirtschaftliche Betriebe doch auch einen öffentlichen Auftrag. Es seien „Kultureinrichtungen, in denen über die Präsentationsform der öffentlich zugänglichen Ausstellung bildende Kunst gefördert und vermittelt wird“, wie der Bundesverband Deutscher Galerien und Kunsthändler diese Einrichtungen in einer Marktstudie beschreibt (vgl. Artikel unten).
Kunst löst Gefühle aus. Sie muss den Betrachter ansprechen. „Eine Arbeit wird gekauft, weil diese gefällt. Der Geschmack spielt eine entscheidende Rolle. Es muss sich aber auch abzeichnen, dass der Künstler sich weiterentwickelt. Es gibt auch pragmatische Erwägungen wie zum Beispiel die Erweiterung einer Sammlung mit Werken eines bestimmten Künstlers“, sagt der Münchner Galerist Jo van de Loo der Börsen-Zeitung zu den Kaufmotiven. Es sei „wichtig, dass das Kunstwerk den Käufer persönlich überzeugt. Kunst muss gefallen. Kunst kann Emotionen wecken. Am spannendsten ist die Kunst, die bei der Betrachtung Fragen aufwirft“, erklärt die Münchner Kunstberaterin und Kunsthändlerin Martina Tauber dieser Zeitung.
Auf dem Holzweg
Wer zeitgenössische Kunstwerke ausschließlich mit dem Ziel akquiriert, möglichst rasch ein bestehendes Vermögen zu erweitern oder eines aufzubauen, befindet sich auf dem Holzweg. Der Marktwert eines Kunstwerks kann durch die Decke gehen, kann jahrelang stagnieren oder abrutschen. Darin ähnelt der Kunstmarkt den Börsen. Es gibt allerdings Kriterien, die Käufer berücksichtigen sollten. So ist darauf zu achten, dass Künstler in regelmäßigen Abständen Einzelausstellungen geben. Als Faustregel gilt: alle zwei Jahre. Darüber hinaus tragen Kataloge über die Arbeiten dazu bei, die Bekanntheit eines Künstlers zu erhöhen. „Empfehlenswert ist, Werke von Künstlern zu kaufen, die über ein stabiles internationales Netz von Galerien verfügen. Ideal wären zum Beispiel Adressen mit Standorten in Europa und in den USA“, sagt Tauber. Dadurch habe ein Künstler „mehr Absatzmöglichkeiten“ und einen „regelmäßigeren“ Verkaufsfluss. „Bei einer normalen Entwicklung verdoppelt sich in der Regel der Preis für Werke zeitgenössischer Künstler in zehn Jahren“, meint sie.
Dieses Argument dürfte Interessenten anlocken, die nach alternativen Investitionsobjekten suchen – gerade in einer Phase wie jetzt, in der hohe Inflationsraten am Geldwert und an der Kaufkraft nagen. Doch vermutlich hält die gesunkene Konsumlaune aufgrund des Wirtschaftsabschwungs infolge des Ukraine-Kriegs potenzielle Käuferschichten davon ab, in dieses Segment einzusteigen oder nachzukaufen. Selbst die gehobene Mittelschicht zögert aktuell beim Erwerb von Kunst, wie hinter vorgehaltener Hand berichtet wird. Nach dem Markteinbruch wegen der Corona-Pandemie 2020 und der Erholung 2022 wird befürchtet, dass 2023 wieder ein Rückschlag einsetzen könnte. Einer Analyse der Kunstmesse Art Basel und der Schweizer Großbank UBS („The Art Market 2022“) zufolge knüpfte die Branche mit einem weltweiten jährlichen Verkaufsvolumen von über 65 Mrd. Dollar an das Niveau vor Ausbruch der Seuche an.
Abwartende Haltung
Insgesamt befindet man sich in einer abwartenden Haltung, vor allem Galeristen, die im unteren bis mittleren Preissegment aktiv sind. Denn hier ist die Preiselastizität der Nachfrage besonders hoch. „Es gibt ein Sowohl-als-auch: Die große Befürchtung ist, dass in Krisenzeiten wie diesen bei Anschaffungen, die nicht lebensnotwendig sind, gespart wird. Dazu gehört auch die Kunst. Aufgrund der Ungewissheit ist eine Kaufzurückhaltung zu erwarten. Ich hoffe aber, dass die Leute, die sich das nach wie vor leisten können, in der Überzahl sind. Es könnte nämlich auch sein, dass bei hoher Inflation die Nachfrage nach Kunst steigt, um sich auf diesem Weg gegen Geldabwertungen abzusichern. Das wäre eine Art Gegenbewegung“, urteilt Jo van de Loo. Er fügt an: „Es ist aber noch zu früh zu beurteilen, wie sich die Lage wirklich entwickelt. Steigende Energiekosten dämpfen die Aktivitäten breiter Konsumentenschichten. Das wird man im Laufe des Jahres 2023 sehen, wie die Konjunktur ausfällt und wie die Konsumenten sich tatsächlich verhalten werden.“
Manche Adressen im Kunstmarkt erweisen sich als krisenresistent. Dazu gehört Ketterer Kunst. Das Auktionshaus aus München hat sich zum Marktführer in Deutschland hochgearbeitet. „Viele Käufer in unserem Segment sehen Kunst auch als Anlageobjekt. Kunst bietet einen nachhaltigen Wertbestand. Das Geld, um Kunst im höheren Preissegment zu kaufen, ist vorhanden, da wir von einer Gruppe mit einer anderen Liquidität sprechen“, berichtet die Kunsthistorikerin Nicola Gräfin Keglevich, die seit 2021 für Ketterer in der Funktion als Senior Director arbeitet. Zuvor leitete sie das Münchner Büro von Sotheby’s. Wie ihre Wettbewerber profitiert Ketterer vom preisunelastischen Konsumverhalten reicher Privathaushalte.
Nicola Gräfin Keglevich nimmt strukturelle Marktverlagerungen nach Paris zulasten von London wahr. Auslöser dafür ist der Brexit: „Es wird nicht mehr so viel in London verkauft. Die großen Adressen versuchen verstärkt, den Pariser Markt auszubauen. Das gelingt aber nur teilweise – auch weil Ketterer Kunst von München aus mit internationaler Kundenansprache und Ergebnissen auf internationalem Niveau stärker denn je geworden ist.“
Jo van de Loo merkt an: „Nach Messen und Umsatz ist der US-Markt der weltweit wichtigste Markt. Paris ist in der Bedeutung gestiegen. Das liegt auch am Brexit. Der administrative Mehraufwand – Stichwort Zollabfertigungen – schreckt viele ab.“
Nicola Gräfin Keglevich spürte Letzteres bereits während ihrer Tätigkeit bei Sotheby’s: „Es war schwierig, Ware für die Auktionen nach London zu erhalten. Die Käufer vom europäischen Festland reagierten verhalten in Bezug auf Ankäufe in Großbritannien. Ersteigert ein Käufer aus einem Drittland auf der Insel zum Beispiel bei einem Kunstauktionshaus ein Werk, kommt auf den Kaufpreis, der sich aus dem Hammerpreis und dem Aufgeld zusammensetzt, die Einfuhrumsatzsteuer des jeweiligen Importlandes hinzu. Im Fall von Deutschland sind das 7% für Kunstwerke. Das ist ein Thema. Der Brexit hat infolge der Zollbestimmungen dazu geführt, dass sich die Ware verteuert und die Bürokratie enorm erhöht hat.“
Von Stefan Kroneck, München