Blick in die Kristallkugel des Automarktes
Von Stefan Kroneck, München
Der europäische Automarkt ist wie ein scheues Reh. Konjunkturzyklen, externe Schocks sowie geänderte Rahmenbedingungen können die wettbewerbsintensive Branche auf dem Alten Kontinent empfindliche treffen. Derzeit gibt der Markt ein gemischtes Bild ab. Seit vier Monaten erholt sich das Neugeschäft. Die Pkw-Neuzulassungen in der EU, der Efta-Zone (Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz) und Großbritannien zusammengefasst zeigen seit Sommer ein Plus als Vorzeichen.
Das ist auch das Resultat eines Basiseffekts: Im gleichen Zeitraum des Vorjahres schlugen Lieferkettenprobleme, Engpässe bei der Versorgung mit Halbleitern sowie Kontaktbeschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie noch ins Kontor.
Angesichts einer sich eintrübenden Wirtschaft ist es allerdings trügerisch, dass die Erholung des europäischen Automarktes sich auf Dauer fortsetzt. Die Zinswende und die galoppierende Inflation verteuern den kreditfinanzierten Kauf eines Neuwagens erheblich. Die Anbieter versuchen, die erhöhten Material- und Rohstoffaufwendungen an die Abnehmer abzuwälzen. Die Energiekrise infolge des Ukraine-Krieges drückt die Kauflaune.
Gegen diese dämpfenden Effekte sind die Luxusanbieter weitgehend immun. Es trifft vielmehr die Volumenhersteller, also Anbieter wie Volkswagen und die französisch-italienisch-amerikanische Mehrmarkengruppe Stellantis. Deren Abnehmer reagieren auf Preisschwankungen sehr sensibel. Die Preiselastizität ihrer Nachfrage ist sehr hoch, sagen dazu Ökonomen.
Nachfragedämpfer
Steigen – wie derzeit – die Anschaffungskosten, sinkt die Nachfrage. Die Privathaushalte verschieben tendenziell die Anschaffung eines Autos oder streichen diese komplett. Da helfen auch keine verkürzten Wartezeiten mehr. Das Lieferkettenthema zeigt in jüngster Zeit Entspannungstendenzen. Die Autohersteller können den Nachfragestau zügiger abarbeiten. Die Pkw-Produktion zieht an. Die zu verzeichnende Besserung seit August reicht voraussichtlich aber nicht aus, das laufende Jahr mit einem Plus zu beenden. Dafür verlief die erste Hälfte 2022 zu schwach.
Nach jüngsten Angaben des Verbands europäischer Autohersteller (Acea) schrumpften in den ersten zehn Monaten dieses Jahres die Pkw-Neuzulassungen in der EU, der Efta und Großbritannien zusammen um 8% auf 9,18 Millionen Fahrzeuge. In den vier größten EU-Mitgliedstaaten führte Italien mit nahezu −14% die rote Laterne an, gefolgt von Frankreich (−10,3%), Spanien (−5,8%) und Deutschland (–5,5%). Obgleich die Werte für November und Dezember ebenfalls positiv ausfallen dürften, könnte dies aber nicht ausreichen, dass der Rückgang auf Jahressicht geringer ausfällt als 2021 (−1,5% auf 11,8 Millionen Einheiten). Seinerzeit verzerrten Nachholeffekte infolge der coronabedingten Produktionsstopps 2020 das Bild.
Der Blick in die Kristallkugel lässt darauf schließen, dass 2023 ebenfalls durchwachsen verlaufen könnte. 2022 zeichnet sich bereits ab: In Europa ist es der vierte Rückgang bei den Pkw-Neuzulassungen in Folge. Eine überzeugende Wende zum Besseren lässt auf sich warten.