BMW-Chef zwischen Politik und Kommerz
Von Stefan Kroneck, München
Mit dem wachsenden öffentlichen Bewusstsein über die Folgen des Klimawandels steht auch die Autoindustrie immer stärker im Rampenlicht. Für die Hersteller ist die Elektromobilität eine Frage des Überlebens im Wandel der Technik. Wer in der Entwicklung und Produktion der Fahrzeuge der Zukunft nicht mithalten kann, läuft Gefahr, von Wettbewerbern verdrängt zu werden. In diesem herausfordernden Kontext übt Oliver Zipse den Spagat zwischen Politik und Kommerz. Denn der 58-jährige Topmanager befindet sich in einer Doppelrolle.
Der Vorstandsvorsitzende von BMW ist seit Anfang 2021 auch Präsident des Dachverbands der europäischen Fahrzeughersteller (Acea) mit Sitz in Brüssel. Im Herbst vergangenen Jahres wurde der CEO in dieser Funktion wiedergewählt, Ende dieses Jahres läuft seine Amtszeit als Cheflobbyist der Branche in der EU-Hauptstadt aber endgültig aus. Dann muss turnusmäßig spätestens nach zwei Jahren ein anderer CEO die Nachfolge antreten. Eine Neuwahl dürfte Anfang November/Ende Dezember stattfinden.
Vor diesem Hintergrund könnte der gebürtige Heidelberger Zipse alsbald Bilanz ziehen in Bezug auf sein Wirken in Brüssel. Er trommelt unerlässlich für einen zügigen Ausbau der europaweiten Ladeinfrastruktur. Zugleich stellt er sich dem wachsenden Druck der Politik der EU, welche an einem zügigen Ende der Autos mit Verbrennungsmotoren arbeitet. 2035 soll es nun in der Gemeinschaft der 27 Mitgliedstaaten soweit sein. Von diesem Zeitpunkt an werden Neuwagen mit Diesel- oder Benzinmotor nicht mehr zugelassen. Auf diese gesetzliche Regelung verständigten sich dieser Tage die Verhandlungsführer der EU-Länder, des Europäischen Parlaments und der Kommission. Der Verbrenner mit seinem CO2-Ausstoß ist auf dem Alten Kontinent ein Auslaufmodell. Die Entscheidung könnte der Transformation der Autobranche hin zur Fertigung batteriebetriebener Elektrofahrzeuge weitere Impulse geben.
Dieser politische Wille, um das Ziel der Klimaneutralität von Autos zu erreichen, stößt aber bei Zipse auf Vorbehalte. In seiner Rolle als Acea-Spitzenvertreter bezeichnete er die EU-Vorgabe als „präzedenzlos“. Die Autohersteller seien bereit, mit der EU zusammenzuarbeiten.
Zipse, der nach wie vor für eine „Technologieoffenheit“ plädiert, beugt sich damit der normativen Kraft des Faktischen. Die Autobauer steuern längst mit voller Kraft auf das E-Zeitalter zu. Jetzt geht es darum, wer am schnellsten und effizientesten seine Angebotspalette auf batteriebetriebene Fahrzeuge umstellen kann. Die Branche hat bereits Milliardensummen in den Wandel investiert. Weitere Milliarden werden folgen. Zipse ist selbstverständlich davon überzeugt, dass der Münchner Konzern bei der Umgestaltung ganz weit vorne fährt. Dabei wirkt die deutsche Autoindustrie infolge der Erfolge des kleineren US-Herausforderers Tesla von außen betrachtet wie ein Getriebener. Der BMW-Chef lässt sich davon aber nicht beirren.
Verbindlich und konsequent
Zipse gehört zu den Leisetretern: Verbindlich in seiner Art, konsequent aber in der Umsetzung seiner Ziele. Er steuert den weiß-blauen Dax-Konzern in die Moderne. Der Anteil von elektrifizierten Fahrzeugen bei den Auslieferungen soll sukzessive steigen. Im ersten Halbjahr 2022 betrug dieser beim traditionsreichen weiß-blauen Dax-Mitglied nahezu 16%. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es etwas über 11%. Am morgigen Donnerstag, wenn BMW den Zwischenbericht zum 30. September dieses Jahres veröffentlicht, wird der CEO zur Vorstellung des Zahlenwerks unter anderem dazu einen neuen Stand bekannt geben.
Für den promovierten Ingenieur und ehemaligen BMW-Produktionsvorstand, der das Unternehmen seit Mitte August 2019 führt, gehört dieser Termin zur Routine in der Kommunikation mit Investoren, Analysten und Medienvertretern. Die Weiterentwicklung des Konzerns selbst ist für ihn aber keine Routine, sondern eine Kärrnerarbeit. Zipse ist ein Eigengewächs von BMW. Seine gesamte berufliche Laufbahn verbrachte er bei dem Unternehmen. Der verheiratete Vater zweier erwachsener Kinder ist für BMW seit mittlerweile knapp 32 Jahren tätig. Zipse kennt den Konzern also wie seine Westentasche. Vor diesem Hintergrund weiß er ganz genau um die Schwächen und um die Stärken des Unternehmens, wobei er nach außen gerne Letzteres hervorhebt.
Wie die Konkurrenten Mercedes-Benz und Volkswagen agiert BMW derzeit in einer Ausnahmesituation. In einem schrumpfenden Markt aufgrund angespannter Lieferketten und des Ukraine-Kriegs steigen die Gewinne und damit die Margen der Hersteller. Dank einer ungebremst hohen Nachfrage gehen die Preise für Neuwagen durch die Decke. Doch diese Windfall Profits sind nicht von Dauer. Das weiß auch Zipse. Die aus dem operativen Geschäft gut gefüllte Firmenkasse sorgt dafür, dass BMW den Wandel aus eigener Kraft finanzieren kann. Das ist das, was für den CEO zählt. Denn dieser Fakt gibt aus seiner Sicht ein Zeugnis ab über die Stärke seines Unternehmens.