Finanzplatz

Börse Hongkong strebt nach alter Größe zurück

Die Wiedereröffnung des Festlands schürt an der Börse Hongkong die Hoffnung auf Kapitalströme aus aller Welt. Es könnte eine Rückkehr zu alter Größe sein.

Börse Hongkong strebt nach alter Größe zurück

Grund für gute Laune sowie eine optimistische Einstellung zum Start ins Jahr 2023 sind bei Nicolas Aguzin allemal gegeben. Als gebürtiger Argentinier hat der Chef des mit Abstand größten asiatischen Börsenbetreibers Hong Kong Exchanges & Clearing (HKEX) im Dezember gleich zwei Herzenswünsche erfüllt bekommen. Zum einen der nach dem denkbar missglückten Auftakt eher wundersame Triumph seines Landes bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar, zum anderen die nicht minder wundersame Wende in der chinesischen Corona-Politik. In den ersten beiden Dezemberwochen wurden sämtliche Restriktionen abgeschafft, die das chinesische Festland und die Sonderverwaltungszone Hongkong seit dem Sommer 2021 zunehmend in eine wirtschaftliche Misere und in die Isolation getrieben haben.

Gewaltige Impulse erwartet

Vom Ende der verheerenden Null-Covid-Politik verspricht man sich an den Märkten gewaltige Impulse für die chinesische Wirtschaft. Zum einen resultieren die Hoffnungen aus der zu erwartenden Belebung des von den Corona-Restriktionen am Boden gehaltenen chinesischen Konsums und der Industrieproduktion. Zum anderen knüpfen sich große Erwartungen an eine „Wiedereröffnung“ Chinas mit der Aussicht auf Zuflüsse ausländischen Kapitals in Form von Direktinvestitionen und Finanzanlagen. Nach einer Zeit der Verunsicherung gilt es, das Motto vom ewigen Wachstumsmarkt China, der ausländischen Unternehmen und Finanzmarktakteuren ein überlegenes Investitions- und Anlageterritorium bietet, wieder neu aufleben zu lassen.

Für den Finanzplatz Hongkong mit seiner vom Festland losgelösten offenen Volkswirtschaft, einer frei konvertiblen und hauteng an den Dollar gebundenen Währung und einer international geprägten Investmentbankerszene bedeutet die „Wiedereröffnung“ des Festlandes, wieder als Schleuse für die internationalen Kapitalströme in Richtung des chinesischen Marktes fungieren zu können. Diese Rolle des Finanzplatzes hat massiv gelitten seit dem Beginn der Pandemie, vor allem aber seitdem sich China im vergangenen Jahr mit einer ultrarigiden Corona-Restriktionspolitik von der Praxis der sich bereits wieder öffnenden westlichen und asiatischen Volkswirtschaften zu entfernen schien. Mit seiner Null-Covid-Politik und der praktisch vollständigen Einschränkung des Reiseverkehrs hat das chinesische Festland sich in einer Art und Weise isoliert, die persönliche Wirtschaftskontakte zwischen Hong­kong und dem Festland mit seinen Finanzzentren Schanghai, Shenzhen und Peking völlig unterbunden hat.

Die auf dem Papier zwar unabhängig agierende, de facto aber dem parteipolitischen Diktat in Peking voll unterworfene Hongkonger Regierung wurde gezwungen, bei einem Großteil der auf dem Festland praktizierten Corona-Schutzprotokolle mitzumachen. Damit wurde die Sonderverwaltungszone einerseits vom Festland „abgeschnitten“, andererseits auch in einen nie dagewesenen Isolierungszustand zum Rest der asiatischen Welt gebracht, der Hongkongs Sonderrolle als Bindeglied zwischen der internationalen und der festlandchinesischen Finanzwelt praktisch hinfällig werden ließ. Dieser Spuk soll nun freilich ein Ende haben – Hongkong soll wieder Hongkong sein dürfen.

Für die Verantwortlichen der HKEX heißt das, dass sie bewährte Parolen zu Hongkongs Perspektiven als sogenannter „super-connector“ zwischen China und dem Rest der Welt nun erneut und vielleicht mit einem besseren Gewissen wieder ins Rennen schicken können. Der im Mai 2021 als Chief Executive der HKEX angetretene Aguzin wusste bei seinen bisherigen Redeauftritten vor einem sich stetig verschlechternden Geschäftsumfeld für den Börsenbetreiber stets tapfer zu betonen, dass die grenzüberschreitenden Kapitalflüsse in Richtung des Hongkonger Aktienmarktes gewaltig zunehmen würden. Gleichzeitig lautet die Devise, dass sich aus der Stock Connect genannten Verknüpfung zwischen der Hong Kong Exchanges und den Handelsplätzen in Schanghai und Shenzhen neue Facetten für den Handel mit chinesischen Aktien seitens internationaler Investoren ergeben dürften und parallel dazu das Engagement chinesischer Anleger in Hongkong zunehmen werde.

HKEX-Aktienkurs leidet

Vor dem Hintergrund der Pekinger Null-Covid-Drohkulisse und eines tatsächlich deutlichen Rückgangs der Handelsaktivität sowohl in Hongkong wie auch auf dem chinesischen Festland wirkten die Durchhalteparolen zur inhärenten Dynamik des Börsengeschehens zwischen Festlandchina und Hongkong allerdings fast schon ein wenig surreal. Sie trugen auch nicht dazu bei, den Aktienkurs des Börsenbetreibers zu stützen. Mit einem Kurseinbruch um gut ein Viertel litt die HKEX-Aktie tatsächlich noch wesentlich stärker als der Hongkonger Leitindex Hang Seng, der auf eine Performance von −15 % kam.

Knackpunkt für die Geschäftsentwicklung der Hongkonger Börse ist eine nun zwar wahrscheinlicher gewordene, aber noch lange nicht gesicherte Belebung der Neuemissionsaktivität(Initial Public Offerings/IPO). In diesem Geschäftsfeld sah man sich in Hongkong vor eine immer längere Geduldsprobe gestellt. In der ersten Jahreshälfte 2022 war das traditionell florierende Geschäft mit Börsengängen fast völlig zum Erliegen gekommen. Nach einer kurzen Erholungsphase im September wurde das IPO-Geschäft dann im Zuge einer brutalen Baisse für China-Aktien wieder komplett abgewürgt. Erst die Spekulationen, denen bald echte Nachrichten über eine Abschaffung der chinesischen Corona-Restriktionen folgten, sorgten für eine Wiederbelebung des Geschäfts in einem Markt, der von günstigen Liquiditätsvoraussetzungen geprägt ist. Damit es zu einer signifikanten Erholung des IPO-Marktes kommen kann, muss sich allerdings wieder die noch vorhandene Risikoscheu der Investoren gegenüber chinesischen Technologiewerten und der weiteren regulatorischen Behandlung des Sektors legen.

Chinas vor zwei Jahren gestartete, ,in erster Linie politisch motivierte Regulierungsoffensive im Technologiesektor hat das Marktklima ausgerechnet in dem Segment ruiniert, von dem man sich in Hongkong die größten Impulse für ein nachhaltiges IPO-Geschäft versprochen hatte.

Zwar verfügt die HKEX nach wie vor über eine äußerst gut bestückte IPO-Pipeline, mit gegenwärtig über 200 Listinganträgen von chinesischen Firmen, die eines Börsengangs in Hongkong harren. Doch das heißt noch lange nicht, dass sich im Jahr 2023 tatsächlich eine Flut von Neuemissionen über Hongkong ergießen wird, mit der man wieder auf den einst gewohnten Spitzenplatz im internationalen Ranking zurückzukehren vermag. Woran es vor allem mangelt, sind chinesische Firmen aus der New Economy, bei denen internationale Anleger nach den Erfahrungen der letzten zwei Jahre wieder bereit sind, ihnen Vertrauen zu schenken.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.