Corona-Politik

China lugt aus dem Bunker hervor

Chinas Machtapparat schlägt konziliantere Töne an. Das lockert die Stimmung an den Märkten, löst aber noch keine Probleme.

China lugt aus dem Bunker hervor

Im Zeitraum von wenigen Tagen ist denkbar viel passiert, um sowohl China-Optimisten wie auch -Pessimisten neuen Stoff zum Nachdenken zu geben. China verkündet erstmals eine etwas gelockerte Handhabung von Pandemie-Schutzbestimmungen, zaubert eine Stützungsoffensive für den wackelnden Immobiliensektor aus dem Hut und tritt auf internationaler Bühne plötzlich konzilianter auf, um das Beziehungsklima zu den USA und anderen westlichen Ländern zu stabilisieren. Dass sich dies in einer gewaltigen Rally an den chinesischen Aktienmärkten und auch freundlicherer Börsenstimmung anderswo entladen hat, muss nicht verwundern.

Die Anleger haben bei den wichtigsten Reizthemen, die für die diesjährige Vertrauenskrise an Chinas Finanzmärkten entscheidend waren, also Corona-Strategie, Immobiliensektor und geopolitisches Gerangel, ein Trostpflaster erhalten, statt weiteres Salz in die Wunden gestreut zu bekommen. Damit beruhigt sich das von schierer Angst geprägte Sentiment und legt den Blick für tatsächlich ex­trem niedrige Bewertungsrelationen frei, die Anlass für eine technische Marktkorrektur bieten. Das Worst-Case-Szenario eines direkten militärischen Konflikts mit den USA im Falle der Invasion Taiwans, einer riesigen Pleitewelle von Immobilienentwicklern und erneuter monatelanger Lockdowns in Chinas wichtigsten Großstädten tritt also zunächst einmal in den Hintergrund.

Der wesentlichste Grund für Optimismus besteht nun darin, dass Chinas Präsident Xi Jinping nach Klärung seiner Machtstellung auf dem Parteikongress genug Rückendeckung hat, um aus dem selbstgeschaffenen Bunker einer immer weitergehenden ideologischen Verhärtung hervorzutreten und die daraus resultierten außen- und wirtschaftspolitischen Schäden anzugehen. Dazu braucht er ein neues diplomatisches Drehbuch. China hat in den vergangenen fünf Jahren und vor allem seit der Pandemie eine Drohkulisse aufgebaut, die im Großteil der entwickelten Welt auf politischer Ebene wie auch in der Öffentlichkeit auf Ablehnung stößt. Das ist keine gewinnbringende Strategie – schon gar nicht in Zeiten, da die von Corona-Restriktionen gebeutelte Binnenkonjunktur den chinesischen Markt aus Sicht von ausländischen Investoren und Handelspartnern eindeutig weniger attraktiv aussehen lässt.

Selbst der Machtprotz China kann sich keine unbegrenzte Zahl von bilateralen Beziehungsschäden leisten, zumal sich die Gruppe der verbliebenen besten Freunde auf Russland, Iran, Nordkorea und Pakistan reduziert – sicherlich keine Verbündeten, die Chinas Wirtschaftsperspektiven stärken. Hier tut ein Revirement not. Eine Entsprechung dazu sieht man in der Corona-Politik. Die Regierung hat einen neuen Regelkatalog zur Handhabung von Corona-Restriktionen und Schutzprotokollen verbreitet. Er wird offiziell als Verfeinerung der berüchtigten Nulltoleranzpolitik, keineswegs aber als eine Abkehr von derselben bezeichnet.

Ziel ist es, bürokratische Exzesse bei der Anwendung von Quarantänebestimmungen, Kontaktverfolgungsmaßnahmen und Testverfahren seitens lokaler Behörden zu minimieren. Das ist dringend nötig, um wachsender Verzweiflung in der Bevölkerung über epidemiologisch gesehen unbrauchbare und mit brutalen Methoden durchgesetzte Lockdown- und Zwangsquarantäne-Maßnahmen entgegenzuwirken. Genauso wichtig ist es, die exorbitanten Kosten der laufenden Durchführung des Corona-Kontrollregimes, zum Beispiel auf der Ebene von permanenten Massentest-Verfahren, zurückzufahren. Sie drohen vor allem in wirtschaftsschwächeren Regionen immer mehr Lokalverwaltungen in den budgetären Ruin zu treiben und zwingen zum Verzicht auf dringend benötigte wirtschafts- und sozialpolitische Fördermaßnahmen.

Die Bereitschaft zu einer pragmatischeren und weniger ideologiegetriebenen Corona-Politik ist zweifelsohne ein Hoffnungssignal, das an den Märkten starke Resonanz gefunden hat: das Ablegen der Bunkermentalität als erster Schritt zur Besserung. Manche Analysten knüpfen in Verbindung mit der Immobiliensektor-Initiative daran bereits Prognosen, die auf eine kapitale Wachstumsbelebung im kommenden Jahr hinauslaufen. Das ist kein sonderlich fundierter Optimismus. Die Verfeinerung von Corona-Regeln und Linderung der Liquiditätsklemme bei Bauträgern hilft, aus einem Stimmungsloch herauszufinden. Das ist aber nur eine Grundvoraussetzung, um einen weiteren konjunkturellen Abstieg zu verhindern, und bedeutet nicht das Wiederankurbeln von Produktion, Konsum und Immobiliennachfrage.

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