„Die neue HV-Saison wird herausfordernd“
Von Sabine Wadewitz, Frankfurt
In der Vorstandsvergütung ist 2022 die Zeitenwende eingeläutet worden. In dem Jahr mussten die Unternehmen erstmals in allen EU-Ländern die Vergütungssysteme und die Vergütungsberichte in den Hauptversammlungen (HV) zur Abstimmung stellen. „Im europäischen Vergleich haben die deutschen Unternehmen recht gut abgeschnitten“, fasst Stephanie Schmelter, Vergütungsexpertin der Unternehmensberatung WTW, das Ergebnis zusammen. Die Dax-Unternehmen haben für die Vergütungssysteme im Schnitt eine Zustimmung von 91% erhalten, bei den Vergütungsberichten fällt das Votum mit 81% etwas verhaltener aus.
Die Aktionärsrechterichtlinie ist in den einzelnen EU-Ländern unterschiedlich umgesetzt worden. So ist das Votum der Aktionäre in einigen Staaten bindend. Das gilt primär für die Abstimmung über die Vergütungssysteme etwa in Frankreich, Italien und den Niederlanden, nicht aber in Deutschland. Über den Vergütungsbericht wird dagegen in den meisten Ländern nur konsultativ abgestimmt. Ausnahme ist Frankreich. Auch in Großbritannien sind beide Abstimmungen bindend.
Performance im Blick
Die jeweils regulatorisch vorgegebene rechtliche Relevanz hat aus Sicht der Berater Auswirkungen auf die Hauptversammlungsergebnisse. In der bindenden Abstimmung lassen die Anleger nach Einschätzung von Schmelter mehr Milde walten. Ein negatives Feedback erhielten die Unternehmen dagegen eher in den Voten zum Vergütungsbericht, denn dort lasse sich detailliert erkennen, welche Gehälter die Vergütungssysteme am Ende hervorbringen. „Die Investoren und Proxy Advisor sind bei der Beurteilung des Vergütungssystems tendenziell etwas großzügiger, weil das System verschiedene Möglichkeiten einräumt. Am Ende ist dann aus Sicht der Anleger entscheidend, wie diese Möglichkeiten in der Praxis umgesetzt wurden“, erklärt WTW-Vergütungsexperte Ralph Lange. Investoren gewähren also Freiheiten im System, schauen aber sehr genau, wie die Freiheiten ausgeschöpft werden. „Wenn sie in einer Form genutzt werden, die aus Sicht der Investoren nicht performanceorientiert ist und nicht in die richtige Richtung geht, machen sie ihren Unmut deutlich“, sagt Lange.
Transparenz entscheidend
Schwache Abstimmungsergebnisse sind in der Regel nicht damit verbunden, dass ein Unternehmen in absoluten Zahlen besonders hohe Gehälter gewährt hat. Die gelbe Karte zücken Investoren meist dann, wenn sie gravierende Vergütungsveränderungen kritisch sehen und wenn ihnen Transparenz in der Beschreibung des Vergütungssystems fehlt, weiß Schmelter. Nicht goutiert wurden nach ihrer Darstellung zum Beispiel 2022 Erhöhungen des jährlichen Grundgehalts von mehr als 10 %, wenn solche Anpassungen nicht mit einer deutlichen Veränderung im Umfang der Verantwortung oder der Rolle des Managers einhergehen. Unternehmen hätten in solchen Fällen die Gehaltsanpassung oftmals mit der Marktentwicklung begründet – „da gehen die Investoren nicht mit“, sagt Schmelter.
Zum heißen Eisen hat sich das Thema Pensionen entwickelt, wovon einige Unternehmen „überrumpelt“ worden seien. Hohe jährliche Beiträge zur Altersversorgung stoßen auf Kritik. Hier spielten viele Kriterien hinein, die zu spürbaren Schwankungen der Werte führen könnten, was für Investoren nicht immer nachvollziehbar ist. Unternehmen seien gehalten, auch hier für Transparenz zu sorgen, empfehlen die Berater.
Auf Ablehnung bei Investoren stoßen in vielen Fällen auch Sonderzahlungen an Manager wie hohe Antrittsprämien oder Sonderboni. Dass sie im Vergütungssystem als Option vorgesehen sind, werde in der Regel gebilligt. Der Aufschrei der Anleger komme dann, wenn die Höhe der Sonderzuwendung sichtbar wird und aus Sicht des Kapitalmarktes zu üppig ausfällt.
Die bevorstehende HV-Saison wird aus Sicht der Berater „herausfordernd“, wenn man sich die aktuellen Guidelines von Investoren und Stimmrechtsberatern anschaue. „Die Erwartungen der Anleger werden konkreter“, mahnt Schmelter. Die Schonfrist des ersten Jahres ist vorbei. Die Investoren setzen an verschiedenen Stellen an. Sie erwarten zum Beispiel eine Reaktion der Unternehmen, bei denen Vergütungssystem oder -bericht im Vorjahr mit weniger als 75 % der Stimmen gebilligt wurde. Wenn das nicht passiert, kann auch gegen die Entlastung des Aufsichtsrats gestimmt werden.
Schlusslicht Bayer
Im Dax sind von dieser Erwartung an die Reaktionsfähigkeit des Aufsichtsrats mehrere Unternehmen betroffen. Das schlechteste Ergebnis in der Abstimmung über den Vergütungsbericht kassierte 2022 Bayer mit nur 24,1 % Ja-Stimmen. Unter 75 % blieben in dem Votum auch Symrise (52,9 %), Zalando (60,3 %), Puma (68,2 %), Continental (68,3 %), Beiersdorf (73 %) und Qiagen (73,7 %).
Auch beim Thema Nachhaltigkeit schärfen Investoren nach. Hier ist das Bild nach den Worten von Schmelter international gespalten. Nicht alle institutionellen Anleger forderten eine Verankerung von ESG-Zielen in der CEO-Vergütung. Wenn aber ESG-Anreize gesetzt würden, „dann richtig“, so der Anspruch. So werde überwiegend eine Mindestgewichtung von ESG-Kriterien von 20% in den für die variable Vergütung gesteckten Zielen verlangt. „Und das nicht versteckt in Zielbündeln, sprich Scorecards, sondern in konkreten Zielen“, erklärt Schmelter. Viele Investoren forderten zudem, Nachhaltigkeitsziele auch in den Long-Term-Incentives fest zu verankern.
Anleger beobachten zudem genau, wie Unternehmen mit den Auswirkungen der aktuellen ökonomischen Probleme in der Vergütung umgehen. „Die Investoren sind relativ klar in ihrer Meinung, dass Anpassungen auf Vorstandsebene im Einklang stehen müssen mit der Gesamtbelegschaft“, sagt Schmelter. Wenn Unternehmen ihren Beschäftigten Lohn- und Gehaltserhöhungen zum Inflationsausgleich gewähren, sollte das aus Sicht der Investoren nicht in gleichem Maße auf Ebene des Top-Managements passieren. „Inflationäre Anpassungen auf Vorstandsebene werden grundsätzlich eher nicht unterstützt“, warnt die Beraterin. Auch mit Blick auf die Altersversorgung von Führungskräften artikulierten Investoren konkretere Vorstellungen. Wenn die jährlichen Zuführungen mehr als die Hälfte der Grundvergütung übersteigen, werde der Daumen gesenkt.
Intensiv beäugt werden auf Anlegerseite auch diskretionär gewährte Zahlungen an Vorstände. Investoren lehnten solche Sonderzuwendungen nicht grundsätzlich ab, sie verlangten aber Transparenz und eine schlüssige Begründung entlang des gesetzlichen Rahmens. Das müsse ausführlich erläutert werden. Und die Investoren ziehen Grenzen: „Insgesamt sollte der Einfluss auf die Vergütung nicht mehr als 20% betragen“, sagt Schmelter.
Das Vergütungsjahr 2022 ist schon wegen der deutlich verschlechterten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen heikel. Die gegenwärtigen Krisen werden nicht alle Unternehmen gleich treffen. Es wird Konzerne geben, die 2022 eine sehr gute Performance erreicht haben, in der Hauptversammlung aber dennoch kritisch beäugt werden mit Blick auf die zukünftige Entwicklung.
Manches Unternehmen werde schon 2022 deutlich stärker von der schwierigen gesamtwirtschaftlichen Lage getroffen sein und an der einen oder anderen Stelle diskretionäre Anpassungen in der Vorstandsvergütung vornehmen wollen, um Einkommenseinbußen zu begrenzen, erklärt Schmelter und mahnt an, dies schlüssig zu begründen: „Die Unternehmen sollten auch erläutern, warum der Aufsichtsrat so entschieden hat und welcher Prozess dabei durchlaufen wurde.“
Die lange Sicht
Unternehmen könnten auch in die Situation kommen, dass 2022 noch gut gelaufen, das erste Halbjahr 2023 aber deutlich eingetrübt ist. Wenn in dem Fall für den Turnus 2022 hohe Vorstandsgehälter gezahlt werden, „wird es schwierig“, warnt Lange. Unternehmen müssten sich hier auf ein negatives Feedback von Investoren einstellen. Für Diskussionen sorgen auch immer wieder hohe Auszahlungen aus langfristigen aktienbasierten Vergütungskomponenten, die durch den mehrjährigen Durchschnitt akut auftretende Ertragsprobleme in der Regel erst zeitversetzt spiegeln.