China

Erleichtert, aber verunsichert

China fährt sein unbarmherziges Corona-Kontrollregime in Windeseile herunter. Der ruckartige Sinneswechsel löst zwar große Erleichterung aus, zeigt aber auch, dass Peking den Überblick in der Gesundheitspolitik völlig verloren hat

Erleichtert, aber verunsichert

Der Erlass einer unverschuldeten Gefängnisstrafe, die nie hätte passieren dürfen, versetzt die Befreiten selten in überschäumende Partylaune und grenzenlosen Optimismus. Eher überwiegen Gefühle der Erleichterung wie auch Verbitterung, während der Blick erst recht unsicher wirkenden Zukunftsperspektiven gilt. Am Mittwoch hat die chinesische Bevölkerung erfahren dürfen, dass die härtesten Sperrmaßnahmen und Res­triktionen der berüchtigten Null-Covid-Politik auf dem Scheiterhaufen der Ge­schichte gelandet sind.

Drei Maßnahmen stechen besonders hervor: Der Ab­­schied vom Lockdown ganzer Städte, dessen zeitliche Ausdehnung vom Erreichen der magischen Null bei den Neuansteckungen abhing. Der Verzicht auf Zwangseinweisung in Quarantänelager für tatsächlich Angesteckte sowie ihre (nicht angesteckten) Kontaktpersonen. Und der Verzicht auf ein permanentes Massentestregime, das die Teilnahme am öffentlichen Leben von einem stetigen „Nichtansteckungsbeweis“ ab­hängig macht. Mit Letzterem erübrigt sich nun auch der Großteil von Mobilitätshindernissen und Restriktionen für Reisen in andere Provinzen.

Für Chinas Bürger heißt dies, dass ihre Bewegungsmöglichkeiten, Lebensverhältnisse und Ar­beitsbedingungen nicht mehr in erster Linie von den Irrungen und Wirrungen eines weder gesundheits- noch wirtschaftspolitisch sinnvollen und für soziale Wesen sowieso völlig inakzeptablen Corona-Kontrollregime bestimmt und kompromittiert werden.

Die Reaktion auf die beste aller Null-Covid-Lockerungsnachrichten der letzten Wochen ist dementsprechend ausgefallen. Keine Partylaune, aber grenzenlose Erleichterung darüber, dass eine normale Lebensführung im Land des weltgrößten Nachzüglers in Sachen Corona-Pragmatismus wieder möglich sein soll. Jede Menge Verbitterung über die von zig Millionen Menschen erlittenen Strapazen und teilweise grauenvollen Erfahrungen mit der Durchsetzung von Restriktionen. Hinter diesen stand nie ein gesundheitspolitisch schlüssiges Konzept, sondern ein ideologiegetriebenes Parteidiktat, das auf blinden Gehorsam setzt und einen kritischen Dialog über die Sinnhaftigkeit von Maßnahmen nicht nur unterbindet, sondern be­straft.

Aus der Flut an Kommentaren, die am Mittwoch durch Chinas soziale Netze ge­schwappt sind, kristallisiert sich eine ziemlich uniforme Botschaft heraus, die gleichzeitig Erleichterung und Ratlosigkeit signalisiert: „Endlich Schluss mit diesem absurden Theater. Die eigentlichen Probleme fangen nun erst an.“ Gemeint ist die große offene Frage, welchen tatsächlichen Gesundheitsrisiken und damit auch wirtschaftlichen Beeinträchtigungen nun eine Be­völkerung unterliegt, der vom Staat eingebläut wurde, dass alle Nebeneffekte des drakonischen Corona-Regimes nichts gegen die Verwüstung des Omikron-Virus sind. Nun rudert man zurück und beruft sich auf „allerneueste wissenschaftliche Erkenntnisse“ zur verminderten Gefährlichkeit von Omikron. Dass sie zeitgleich mit den denkwürdigen Straßenprotesten vom Novemberende nach Peking durchgedrungen sind, spricht Bände. Und wenig spricht dafür, dass der Staat nun tatsächlich gewappnet ist, echten gesundheitspolitischen Herausforderungen gerecht zu werden.

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