EU-Kommission pocht auf mehr Ausgabendisziplin
rec Brüssel
Die EU-Kommission will den fiskalpolitischen Ausnahmezustand in der EU beenden. Ab 2024 sollen wieder Grenzen für die Neuverschuldung und Vorgaben für den Schuldenabbau greifen, stellen die EU-Kommissare Paolo Gentiloni und Valdis Dombrovskis klar. Die EU-Kommission behält sich in diesem Zuge vor, nächstes Jahr auch wieder Verfahren gegen Defizitsünder unter den EU-Staaten zu eröffnen.
Die übliche Vorstellung der haushaltspolitischen Leitlinien für das Folgejahr fällt diesmal in eine heikle Phase. Brüssel und die nationalen Regierungen arbeiten gerade an der dringlichen Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Sie kommen schleppend voran. Die Finanzminister sind bestrebt, sich grundsätzlich zu positionieren. Auf dieser Grundlage will die EU-Kommission ihren Gesetzesvorschlag präsentieren.
Gentiloni spricht von einem Balanceakt, Dombrovskis von einer Übergangsphase. Damit erhöhen sie den Druck auf die EU-Staaten, zügig zu Einigungen über die künftigen Schuldenregeln zu kommen. Beide bringen ihre Besorgnis über Europas Staatsfinanzen zum Ausdruck. Steigende Leitzinsen und die unvermindert hohe Kerninflation jenseits von Energie- und Lebensmittelpreisen nennt Gentiloni mit Blick auf die Staatshaushalte „eine Herausforderung, die wir noch nicht bestanden haben“.
Der Wirtschaftskommissar kündigte an, die EU-Kommission werde bis zum Frühjahr 2024 darauf verzichten, neue Verfahren wegen zu hoher Defizite einzuleiten. Nach Lage der Dinge reißen auch in diesem Jahr viele EU-Staaten die Vorgabe, ihre Neuverschuldung auf 3% der Wirtschaftsleistung zu begrenzen. Es sei richtig gewesen, die Schuldenregeln wegen der Coronakrise und des Kriegs in der Ukraine vier Jahre lang auszusetzen. Die EU-Kommission macht nun klar, dass sie eine abermalige Verlängerung der sogenannten Ausweichklausel für ungerechtfertigt hält. Europas Wirtschaft wachse leicht, die Arbeitsmärkte seien stabil, die Energiepreiskrise klinge ab.
Kernkriterien bleiben
Wirtschaftskommissar Gentiloni wie auch Kommissionsvize Dombrovskis rufen die Regierungen deshalb zu einer „umsichtigen“ Fiskalpolitik auf. Dazu zählen für sie in erster Linie, Hilfszahlungen mit der Gießkanne zügig auslaufen zu lassen. Sie bemängeln, dass die EU-Staaten bei den Energiehilfen aus ihrer Sicht überzogen haben. Nach Berechnungen der Kommission haben sie 2022 im Durchschnitt dafür 1,2% der Wirtschaftsleistung aufgebracht. Gereicht hätte demnach ein Viertel dieser Summe, um die einkommensschwächsten 40% der privaten Haushalte zielgerichtet zu unterstützen (siehe Grafik).
„Es ist nun an der Zeit, unseren Fokus auf künftiges Wachstum und Schuldentragfähigkeit zu verstärken“, sagte Dombrovskis. Er nimmt die Länder in die Pflicht, „ehrgeizige Haushaltsziele für 2024“ festzulegen. Es komme darauf an, glaubwürdige Wege zum Schuldenabbau aufzuzeigen und darzulegen, „wie sie Reformen und Investitionen nutzen wollen, um nachhaltiges und breit angelegtes Wachstum zu erreichen“.
Im November hatte die Brüsseler Behörde Ideen präsentiert, die teilweise auf offene Ablehnung stoßen. Einigkeit besteht indes darüber, die beiden zentralen Maastricht-Kriterien beizubehalten: Demnach darf das jährliche Haushaltsdefizit 3% der Wirtschaftsleistung nicht übersteigen. Außerdem ist jedes EU-Land angehalten, die Gesamtverschuldung auf 60% der Wirtschaftsleistung zurückzufahren. Davon sind einige EU-Staaten wie Italien und Griechenland weit entfernt. Fachleute zweifeln deshalb an der Praxistauglichkeit der Schuldenregeln.
Andere Regelungen sind nach wie vor hoch umstritten. Im Fokus steht der Umgang mit Investitionen. Beteiligte stellen sich auf große Debatten darüber ein, inwiefern Verteidigungsausgaben von den Schuldenregeln auszuklammern sind, um das 2-Prozent-Ziel der Nato zu erreichen. Es wird deshalb erwartet, dass die Finanzminister kommenden Dienstag sehr allgemeine Grundzüge einer Reform beschließen. Dombrovskis zufolge wird die EU-Kommission kurz nach dem EU-Gipfel (23.–24. März) Einzelheiten präsentieren.