EZB-Chefin Lagarde kontert Rufe nach Kurswechsel
Die Europäische Zentralbank (EZB) sieht sich mit Forderungen nach einem Kurswechsel konfrontiert. Das EU-Parlament verlangt langsamere Zinserhöhungen und rüttelt an Tabus, was den unbedingten Fokus auf Preisstabilität betrifft. EZB-Präsidentin Christine Lagarde blockt ab: „Die Fähigkeit der EZB, frei von politischer Einmischung alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, unser Mandat zu erfüllen.“ Das sei in der derzeitigen Phase zu hoher Inflation besonders wichtig.
Anlass für Lagardes Äußerungen am Mittwochabend in Straßburg ist der Jahresbericht des Europaparlaments zur EZB. Den Bericht dürfte es diesen Donnerstag annehmen. Angesichts der auf absehbare Zeit zu hohen Inflation im Euroraum steckt in den Forderungen nach einer langsameren Gangart Brisanz. Lagarde und andere Notenbanker lassen keinen Zweifel, dass sie die Leitzinsen im März abermals um einen halben Prozentpunkt anheben werden.
Im EU-Parlament regt sich Kritik. Die EZB müsse in der Zinspolitik vorsichtiger vorgehen. Der zuständige Grünen-Abgeordnete Rasmus Andresen macht dafür breite Unterstützung aus. Gegen höhere Energiepreise sei sie machtlos. Die EU-Abgeordneten fordern die EZB außerdem auf, die Rolle der Unternehmensgewinne für die Inflation systematisch zu beleuchten und sich nicht nur auf die Löhne zu konzentrieren. Außerdem müsse sie sich stärker Beschäftigung und anderen Sekundärzielen widmen. „Diese Krise kann man nicht mit den Standardwerkzeugen bekämpfen“, findet Andresen.
Während für den Bericht eine Mehrheit im Plenum zu erwarten ist, kommt aus Reihen des EU-Parlaments auch entschiedener Widerspruch. „Thema verfehlt“, urteilt der CSU-Europaparlamentarier Markus Ferber. „Wer angesichts von Inflationsraten über 10 % fordert, die EZB soll ihre Zinsen nicht erhöhen, damit grüne Investitionen nicht verteuert werden, lebt in einer Parallelwelt.“
Lagarde gab sich in der Debatte im Europaparlament ungerührt. „Die hohe Inflation hat nach wie vor großen Einfluss auf alle Bereiche unserer Wirtschaft und den Alltag aller – vor allem für Haushalte mit geringeren Einkommen“, sagte Lagarde. Um die Inflationserwartungen im Zaum zu halten, müssten die Leitzinsen im März um weitere 50 Basispunkte steigen. Das sei eine Frage der Glaubwürdigkeit.
Auch der Chef der irischen Zentralbank, Gabriel Makhlouf, stellte weitere Zinsschritte der EZB in Aussicht. In einem Interview mit dem „Wall Street Journal“ sagte er, der Leitzins könne auf über 3,5 % steigen. In einer von Hertie School/Jacques Delors Centre organisierten Podiumsdiskussion bekräftigte Makhlouf, er erwarte eine weitere Zinserhöhung in der März-Sitzung des EZB-Rates. Dieser hatte nach der jüngsten Erhöhung der Leitzinsen ebenfalls schon eine weitere Anhebung um 50 Basispunkte für März in Aussicht gestellt. Vom 2-%-Inflationsziel sei man immer noch „weit entfernt“.
Der spanische Notenbank-Chef Pablo Hernandez de Cos äußerte sich in einer am Mittwoch veröffentlichten Rede zuversichtlich, dass die Inflation angesichts der sinkenden Energiepreise schneller zurückgehen könnte als bisher prognostiziert. Nach Schätzungen der spanischen Zentralbank gingen Ende 2022 rund 30 % der Abweichung der Kerninflation im Euroraum von ihrem historischen Durchschnitt auf die Auswirkungen der hohen Energiepreise für die Wirtschaft zurück. Weitere 30 % ließen sich durch den hohen Nachfragedruck erklären. De Cos verwies mit Blick auf die nächste Zinssitzung der EZB darauf, dass es noch etliche Daten abzuwarten gelte, bevor die Notenbanker ihre Zinsentscheidung treffen könnten. Es sei noch unklar, wie sich die Lockerung der chinesischen Corona-Politik auf die Weltwirtschaft oder auch die Lohnentwicklung im Euroraum auswirken werde. Darüber müssten die Notenbanker im März diskutieren. „All dies wird im Rahmen der gesamten Projektionen, die im Vorfeld unserer Sitzung erstellt werden, zu bewerten sein“, sagte de Cos.