Goldene Zeiten für Rüstungskonzerne
Das diplomatische Tauziehen ging über Wochen und endete mit der Entscheidung der Bundesregierung, Kampfpanzer an die Ukraine zu liefern und dies auch anderen europäischen Ländern zu erlauben: Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius, der jetzt die Bemühungen um die Zusammenstellung einer Flotte von Leopard 2 aus mehreren europäischen Armeen leitet, kündigt an, dass diese in zwei Phasen an die Ukraine geliefert werden: ein erstes Bataillon von 40 Leopard 2, darunter 14 aus Deutschland, in etwa drei Monaten und eine zweite Charge einer älteren Version von Leopard 2, darunter 14 aus Polen, später. Spanien könnte am Ende einen der größten Beiträge zur zweiten Gruppe leisten, beabsichtigt aber, auf ältere Panzer zurückzugreifen, die seit zehn Jahren eingemottet sind. Auch Finnland, die Niederlande, Portugal und Kanada werden voraussichtlich dazu beitragen.
Für die beiden Hersteller des Panzers – das Fahrgestell stammt von Kraus-Maffei Wegmann, der Turm und die Kanone von Rheinmetall – ist mit diesen Lieferungen unmittelbar noch kein großer Gewinn verbunden. Klar ist aber, dass die beiden Unternehmen zeitversetzt an der Wiederauffüllung der Bestände mit Panzern und im Falle Rheinmetalls an der Munitionslieferung bestens verdienen werden – ganz zu schweigen von den 100 Mrd. Euro Auftragsvolumen, von denen beim Nachfolgemodell Leopard 3 als europäischem Kampfpanzerprojekt gesprochen wird, das im militärischen Fachjargon „Main Ground Combat System“ (MGCS) heißt und unter deutscher Federführung entwickelt wird.
Rheinmetall ist bei Investoren schon seit dem Ausbruch des russischen Kriegs gegen die Ukraine und angesichts der geplanten milliardenschweren Aufrüstung der Bundeswehr sehr gefragt. Vergangene Woche hatte die Aktie bei 232 Euro einen Höchststand markiert. Seit Kriegsbeginn hat sich die Marktkapitalisierung des MDax-Konzerns, der bald in den Dax aufsteigen könnte, auf rund 10 Mrd. Euro verdoppelt. Am gestrigen Dienstag gab der Kurs dann um zeitweise 6 % nach – aber nur, weil Rheinmetall die Übernahme des spanischen Munitionsherstellers Expal Systems über eine milliardenschwere Wandelanleihe finanziert, die die Anteile der Aktionäre verwässert. Man sichere sich damit „schnellstmöglichen Zugriff auf signifikante Kapazitäten“ von Munition und dem in Europa knappen Munitionspulver, hieß es.
Anfang des Jahres hatte Rheinmetall bereits mitgeteilt, im Rekordjahr 2022 sei der operative Gewinn um mehr als 20 % gestiegen. Der Auftragsbestand des Unternehmens, das früher hälftig auch Autozulieferer war, aber jetzt zu 80 % Rüstungskonzern ist, erreicht 30 Mrd. Euro.
Deutschlands Rüstungsindustrie geht rosigen Zeiten entgegen. Der Rüstungshaushalt ist bereits in den vergangenen drei Jahren von rund 40 Mrd. Euro auf jetzt 50 Mrd. Euro gestiegen. Und er soll weiter nach oben klettern, um das in der Nato vereinbarte Ausgabenziel von 2 % des Bruttoinlandsprodukts zu erfüllen. Noch 2021 lagen die Verteidigungsausgaben des Bundes bei „nur“ 46,6 Mrd. Euro. Das sind 1,3 % des BIP. Das 2025-Ziel käme einem drastischen Anstieg von 50 % gegenüber den tatsächlichen Verteidigungsausgaben 2021 gleich.
Fest steht: Deutsche Hersteller wollen das größte Stück vom Kuchen und fahren die Produktion hoch. Allein Rheinmetall hat dem Bund schon im März 2022 – kurz nach Kriegsbeginn – eine Projektliste angeboten, die Panzer, Munition und Militärlastwagen für 42 Mrd. Euro enthält. Die Sturmgewehrfirma Heckler & Koch, der Rüstungselektronikkonzern Hensoldt oder der Flugkörperfabrikant Diehl stellen sich zudem auf mehr Geschäft ein. Auch bei MTU Aero Engines, Thyssenkrupp und Airbus wird ein Teil des Milliardenregens ankommen.
Rheinmetall-Chef Armin Papperger fordert vor einem Branchentreffen mit Verteidigungsminister Boris Pistorius eine Aufstockung des Wehretats, unabhängig vom 100 Mrd. Euro schweren Sonderfonds. „Wir brauchen Entscheidungen über das Budget“, sagte der Manager der Nachrichtenagentur Reuters. „Die 51 Mrd. Euro im Einzelplan 14 werden nicht reichen, um alles beschaffen zu können. Und die 100 Mrd. Euro sind bereits verplant und teils schon durch die Inflation aufgezehrt.“ Der „Einzelplan 14“ ist der Verteidigungsetat im Bundeshaushalt.
Der Manager sagte, Rheinmetall erwäge, für den wachsenden Munitionsbedarf ein weiteres Pulverwerk in Sachsen zu betreiben, und forderte hierfür Investitionen des Staates. „Das ist ein Spezialchemiewerk, das einen Preis zwischen 700 und 800 Mill. Euro haben wird.“ Das könne die Industrie nicht allein tragen. „Das ist ein Investment für die nationale Sicherheit, die man braucht. Und hier braucht man natürlich den Bund.“ Im Bereich Panzermunition habe Deutschland die größte Kapazität der Welt. „Wir können 240000 Schuss Panzermunition im Jahr produzieren. Das ist mehr, als die ganze Welt braucht“, sagte Papperger. Die Produktion könne durch den Engpass beim Pulver aber behindert werden.
Noch nicht eingepreist sein dürfte bei Investoren das Gewinnpotenzial aus dem Leopard 3, dessen Auftragsvolumen als europäischer Kampfpanzer 100 Mrd. Euro erreichen könnte. Deutschland und Frankreich haben sich auf gemeinsame Positionen und Projekte in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik verständigt. Im Fokus stehen hierbei die Leuchtturmprojekte Future Combat Air System (FCAS) – das nächste europäische Kampfflugzeug – und Main Ground Combat System (MGCS). Dies geht aus den veröffentlichten Schlussfolgerungen der Sitzung des deutsch-französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrats vor zehn Tagen hervor.
Das MGCS soll 2035 in Dienst gestellt werden und die derzeitigen Kampfpanzer Leopard 2 von Krauss-Maffei Wegmann und Leclerc von Nexter ersetzen. Doch es gibt ein Gerangel der Rüstungskonzerne: Rheinmetall hat 2022 ein eigenes Konkurrenzfahrzeug zum MGCS vorgestellt, den KF51 Panther. Dieser basiert wie das MGCS auf dem Antriebsstrang des Leopard 2, allerdings mit einer anderen Kanone. Rheinmetall gab zur Begründung für die Vorstellung des Konkurrenzprodukts an, man habe auf die Entwicklung des MGCS nicht hinreichend Einfluss nehmen können. Der KF51 soll voraussichtlich zehn Jahre früher als das MGCS verfügbar werden und würde damit für diesen einen ernsthaften Wettbewerber darstellen.
„Bis April 2023 erfolgt die Durchführung der Systemarchitekturdefinitionsstudie (SADS) Teil 1“, sagte ein Rheinmetall-Sprecher der Börsen-Zeitung. „Ein Schwerpunkt der aktuellen Arbeiten ist es, die zu den Multiplattformkonzepten in der Studie erarbeiteten Ergebnisse simulationsgestützt zu überprüfen.“
Begleitend hätten die deutschen und französischen Industriepartner gemeinschaftlich ein Konzept zur Implementierung und Umsetzung der Technologiedemonstratoren (MTD) erarbeitet. Dieses Konzept liege seit Oktober 2022 der französischen Generaldirektion für Rüstung (DGA) sowie dem Bundesministerium der Verteidigung zur Prüfung und Entscheidung vor.
Trotz des enormen Auftragspotenzials des Leopard 3 macht sich die UBS bereits Sorgen um den Aktienkurs von Rheinmetall: „Einige mögen argumentieren, dass ein Ende des Ukraine-Krieges den Gezeitenwechsel bei den (deutschen) Verteidigungsausgaben nicht umkehren würde“, so Analyst Sven Weier. „Wir halten es dennoch für wahrscheinlich, dass andere Bereiche, die uns große Sorgen bereiten (Klimawandel und Energiewende), dann wieder höhere Ansprüche an einen knappen Bundeshaushalt stellen.“