Im Fadenkreuz der Geopolitik
Das, was Berlin noch vor wenigen Jahren ohne mit der Wimper zu zucken durchgewinkt hätte, ist heute augenscheinlich in Deutschland zu einem Tabu geworden: die Übernahme von Unternehmen aus dem Hochtechnologiebereich insbesondere von Interessenten chinesischer Provenienz. Bei Objekten aus Schlüsselsektoren wie der Halbleiterindustrie hält Vater Staat seine schützende Hand vor Begehrlichkeiten aus Ostasien.
Angesichts zunehmender Spannungen zwischen dem Westen und dem Regime in Peking handelt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck im Rahmen der Geopolitik logisch, wenn er Avancen – teils staatsnaher – chinesischer Konzerne einen Riegel vorschiebt. Das zeigt das jüngste Beispiel des Chipfertigers Elmos, das verdeutlichte die Causa des Waferherstellers Siltronic zu Jahresanfang.
Das Handeln des Grünen-Spitzenpolitikers ist ein Baustein in einer Welt, die infolge des Ukraine-Kriegs aus den Fugen geraten ist. Das Riesenreich in Asien wird in Westeuropa mittlerweile mehr als Gegner denn als Partner wahrgenommen. Das gilt umso mehr für die USA. Pekings Machtstreben unter der Regentschaft Xi Jinpings ist eine Gefahr für die vom Westen bisher dominierte Weltordnung. Der Kampf um die Vorherrschaft der Systeme – vor allem zwischen China und den USA –beschränkt sich nicht nur auf das Militär und die Gesellschaftsform als Ganzes, sondern äußert sich auch in der Wirtschaft. Der Aufstieg der „Volksrepublik“ zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt macht den Amerikanern ihren bisherigen Spitzenplatz als größte Industrienation streitig.
Militärische Macht nutzt aber nichts, wenn diese nicht mit wirtschaftlich fundierter Stärke untermauert ist. Letzteres veranschaulicht das Beispiel Russlands. Der Goliath des slawischen Ostens unter Putins Ägide verfügt nicht über die Schlagkraft, den Nachbarn Ukraine militärisch niederzuringen. Der gescheiterte Vernichtungskrieg des Kreml ist der Anfang vom Ende eines Mannes, der aufgrund seines verbrecherischen Vorgehens sich selbst auf internationaler Ebene ins Abseits katapultiert hat. Putins zerbröselnde Autorität dürfte für den Präsidenten in Peking eine Warnung sein in Bezug auf eine „Lösung“ für den Dauerkonflikt mit der aus Sicht der Kommunisten abtrünnigen Inselrepublik Taiwan. Bei letzterem Thema ist das Motiv Pekings, sich den kleinen Nachbarn einzuverleiben, auch wirtschaftlicher Natur.
Das Land, welches früher Formosa genannt wurde, ist der Dreh- und Angelpunkt der globalen Chipindustrie. Der nationale Champion TSMC beliefert die Halbleiterunternehmen des Westens mit Vorprodukten und ist als deren Auftragsfertiger tätig. Bekäme Peking Zugriff auf das Know-how von TSMC, hätte das Regime auf einen Schlag einen gewaltigen Sprung gemacht auf dem Feld der Technologie der Zukunft. Denn im digitalen Zeitalter ist nicht mehr das Öl das Schmiermittel der Wirtschaft, sondern die kleinen elektronischen Bauelemente, die als Hochleistungssteuerungsinstrumente in einer Vielzahl von Anwendungen zum Einsatz kommen. Diese Schlüsselbranche befindet sich im Fadenkreuz der Geopolitik. Unter Xi hat China bislang keinen Durchbruch geschafft, auf dem Gebiet der Mikrochips dem Westen ernsthaft Paroli bieten zu können.
Für die großen Branchenplayer in Westeuropa – Infineon, STMicroelectronics und NXP – ist China zwar auf der einen Seite nach wie vor der Wachstumsmotor im operativen Geschäft, aber angesichts eines Anteils von teils zwei Fünfteln am Konzernumsatz – wie im Fall des nationalen Champions aus Deutschland – auf der anderen Seite ein Klumpenrisiko, welches Sprengkraft für deren Geschäftsmodelle birgt. Dem Trio, welches großteils die heimische Autoindustrie beliefert, geht es ebenso wie seinen eben genannten Hauptabnehmern: Sie sind stark abhängig vom Wohl und Wehe in China.
Die Furcht in Brüssel, dass die europäische Chipindustrie im Kräftemessen zwischen den beiden Machtblöcken USA und China zerrieben werden könnte, ist allerdings übertrieben. Infineon, STMicroelectronics und NXP sind dank ihrer großen Erfolge im hochprofitablen Leistungschipsegment robust genug, um sich aus eigener Kraft zu behaupten. Die Subventionierung von Chipstandort-Clustern im Rahmen einer EU-Industriepolitik sollte aber nicht wie derzeit an einem unrealistischen Quantitätsziel ansetzen, sondern an der Qualität der Produkte. Dieser Weg trüge mehr zur Stärkung der europäischen Halbleiterbranche im globalen Wettbewerb bei.