Net Zero Industry Act

Industrie­politik unter neuen Vor­zeichen

Ukraine-Krieg und geopolitische Spannungen zwischen Ost und West haben in Europa dazu geführt, dass die von vielen Unternehmen gewünschte aktive Industriepolitik zu neuen Ehren kommt. Kritische Infrastruktur steht im Fokus.

Industrie­politik unter neuen Vor­zeichen

Am kommenden Dienstag wird das nächste Kapital der Industriepolitik „Made in Brussels“ geschrieben: Die EU-Kommission will dann ihren „Net Zero Industry Act“ vorstellen, der beim Aufbau grüner Schlüsselindus­trien in Europa helfen soll. Kern der Vorstoßes der Behörde ist – so zeigen es vorab bekannt gewordene Entwürfe –, Produktionskapazitätsziele für grüne Technologien wie Batteriezellen, Elektrolyseure und Fotovoltaik vorzugeben.

Dies soll eine – weitere – Antwort auf den Inflation Reduction Act der USA sein, an dem sich die EU zur Zeit abarbeitet. Es ist zugleich ein Vorstoß zu einer Industriepolitik, bei der Europa in den Augen vieler Unternehmen bisher nicht unbedingt auf dem richtigen Weg war. Diese Debatte war bereits Anfang 2019 immer wieder hochgekocht, nachdem die EU-Wettbewerbskommissarin die Fusion von Siemens und Alstom untersagt hatte und damit insbesondere bei den Freunden von EU-Champions in der Industrie für Empörung sorgte.

Als die neue EU-Kommission unter der Führung von Ursula von der Leyen ein Jahr später ihren Green Deal lostrat, war zumindest klar, dass Industriepolitik in der EU eine Stoßrichtung hat. Der grünen Transformation der Wirtschaft sollte politisch der Weg geebnet werden: Die Beihilferegeln wurden im Bereich von Klima, Umwelt und Energie gelockert, wichtige Vorhaben von gemeinsamem europäischen Interesse (sogenannte IPCEIs) für Batterien und Wasserstoff aufgesetzt. Und eine wichtige Branche wie die Halbleiterindustrie erhielt mit dem Chips Act ein eigenes Förderprogramm. Ohnehin ist ja seit den ersten Auszahlungen aus dem 750 Mrd. Euro schweren Corona-Wiederaufbaufonds viel europäisches Geld im Markt, das die europäische Wirtschaft insbesondere beim grünen Umbau und der Digitalisierung einen Push geben sollte.

Der russische Einmarsch in der Ukraine vor einem Jahr hat die Politik in Brüssel und Berlin aber noch einmal aufgeschreckt. Es wurde erkannt, dass die globale wirtschaftliche Verflechtung und Arbeitsteilung Abhängigkeiten mit sich gebracht hat, die Europa erpressbar machen. Daraus resultierte auch ein erhöhtes Risikobewusstsein, was insbesondere den Schutz und die Kon­trolle kritischer Infrastruktur für Energieversorgung oder Telekommunikation angeht.

So zieht Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) alle Register, um die Energiewende zu beschleunigen, die kritische Energieinfrastruktur zu schützen und zugleich die für die Versorgungssicherheit systemrelevanten Unternehmen zu stützen. Seine grüne Industriepolitik beginnt bei beschleunigten Genehmigungsverfahren, beinhaltet neue Instrumente wie die Einführung „grüner Leitmärkte“ und endet bei Verstaatlichungen. Der ins Wanken geratene Gasimporteur Uniper ist hierfür das prominenteste Beispiel. Die Übernahme des größten deutschen Übertragungsnetzbetreibers auf dem Strommarkt, Tennet TSO, könnte folgen. Gerade auf die Netzbetreiber kommen im Zuge der Energiewende in den nächsten Jahren gewaltige Investitionen zu. Nicht alle scheinen hier mitziehen zu wollen oder zu können – was wiederum die öffentliche Hand auf den Plan ruft.

Der vor wenigen Tagen erschienene neue Beteiligungsbericht des Bundes zeigt 117 unmittelbare Beteiligungen an Unternehmen und Sondervermögen sowie 389 mittelbare Beteiligungen, bei denen der Anteil mindestens 25% sowie 50000 Euro am Nennkapital beträgt. Die meisten unmittelbaren Beteiligungen hält der Bund demnach im Bereich der Wirtschaftsförderung (38), gefolgt von Einstufungen in Infrastruktur (32), Wissenschaft (20) und Verteidigung (11).

Bundesfinanzminister Christian Lindner stellt im Vorwort des neuen Beteiligungsberichts aber noch einmal ganz klar, dass der Staat grundsätzlich nicht der bessere Unternehmer sei und der Bund nur dort eine Beteiligung eingehe, „wo ein wichtiges Bundesinteresse besteht beziehungsweise zentrale Themen unseres Landes zu erfüllen sind“. Der FDP-Chef verweist in diesem Zusammenhang auch darauf, dass die EU-Auflagen für Uniper vorsehen, dass die Beteiligung bis 2028 wieder auf maximal 25% plus eine Aktie reduziert werde. Als Vorbild könnte die vorübergehende Beteiligung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) an der Lufthansa in der Coronakrise dienen, die im September 2022 wieder vollständig abgestoßen wurde.

Lindner würde auch gerne noch weitere nichtstrategische Bundesbeteiligungen wieder loswerden und sondiert aktuell die Möglichkeit, sie als Sacheinlagen in die geplante neue Aktienrente einzubringen, um dort zum schnelleren Kapitalaufbau beizutragen. Spekuliert wurde im Februar bereits darüber, dass der Bund seine Beteiligung an der Deutschen Post hier einbringen könnte. Die über die KfW gehaltene Beteiligung liegt bei etwas über 20 %, die an der Börse derzeit einen Wert von rund 10 Mrd. Euro hätten. Noch deutlich lukrativer wäre ein Anteilsverkauf der Deutschen Telekom. Der Bund hält direkt 13,8 %, die KfW 16,6 % der T-Aktien. Eine Privatisierung war schon wiederholt angedacht worden, um Haushaltslöcher zu stopfen und auch einen Interessenkonflikt des Staates als Aktionär, der zugleich hoheitliche Befugnisse hat, aufzulösen.

Allerdings war von einem Abbau der Telekom-Beteiligung zuletzt 2014 die Rede. Und schon damals kam mit der größte Widerstand aus der Telekom selbst. Es ist kein Geheimnis, dass Konzernchef Tim Höttges ein staatlicher Ankeraktionär willkommen ist. Auch wenn die T-Aktie ihren Wert in den vergangenen drei Jahren fast verdoppelt hat, ist eine Marktkapitalisierung von 107 Mrd. Euro – gemessen an internationalen Schwergewichten der Branche – kein unverdaulicher Klops. Ein Schutzschild scheint geboten, umso mehr, als die Telekom das Rückgrat der kritischen Telekommunikations­infra­struktur darstellt. Die ist dieser Tage erneut auf den Radarschirm gerückt. Angesichts von Ukraine-Krieg und wachsenden geopolitischen Spannungen zwischen West und Ost schaut die Regierung mit Argwohn auf die Beteiligung chinesischer Telekomausrüster am hiesigen Netzausbau, insbesondere bei 5G.

Noch ist allerdings unklar, wie genau der Staat insbesondere bei kritischer Infrastruktur seine Rolle neu definieren will. Eine Kombination aus – signifikanten – Minderheitsbeteiligungen und regulatorischen Auflagen sowie Sicherheitsvorschriften gilt als konventionelles Instrumentarium, stößt aber vonseiten der Wirtschaft auch auf Kritik. Komplett staatseigene Betriebe wie die Deutsche Bahn sind kein Aushängeschild der Unternehmensführung, gerade auch was Sicherheit, Effizienz und Fortschrittlichkeit betrifft. Dabei sind diese Kriterien aus Sicht der Wirtschaft auch ohnehin nicht die, auf die es für eine neue Industriepolitik ankommt. Ihr geht es vor allem um Standortattraktivität für Schlüsselindustrien, bei der vor Überregulierung eher gewarnt wird.

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