Japans Chipindustrie versucht die Wiedergeburt
Alle Hoffnung von Japans Halbleiterindustrie ruht auf „Rapidus“, dem lateinischen Wort für „äußerst schnell“. Das neue Joint Venture will Prozessoren mit 2-Nanometer-Knoten schon ab 2027 in Japan produzieren. Die Marktführer TSMC, Samsung Electronics und Intel planen solche Highend-Chips nur zwei Jahre früher zu fertigen. Ein Erfolg von Rapidus würde Japan also helfen, in die Spitzengruppe der Halbleiterbranche zurückzukehren.
Zusammen mit dem Mikroelektronikzentrum IMEC in Belgien entwickelt man die Lithografieverfahren, um die winzigen Leiterbahnen in die Wafer zu ätzen, die Blaupause für die Prozessoren liefert IBM. Das meiste Startkapital kommt vom Staat – 5 Bill. Yen (36 Mrd. Euro) auf Zehnjahressicht. Am Firmenkapital beteiligt sind acht namhafte Unternehmen: die Chiphersteller Denso (Powerchips), Kioxia (Nand-Speicherchips) und Sony (CMOS-Bildsensoren), der Elektronikriese NEC, die Mobilfunkbetreiber NTT und Softbank, der weltgrößte Autobauer Toyota und die MUFG Bank als Co-Kreditgeber.
„Wir haben Rapidus so genannt, weil wir in allem rapide sein wollen – vom Chipdesign für Kunden über Waferverarbeitung bis zum Verpacken“, erklärte Präsident Atsuyoshi Koike vergangene Woche auf der Industriemesse Semicon. Zugleich räumte der frühere Chef einer Chipfabrik von Western Digital in Japan ein: „Es wird nicht leicht werden, unseren Rückstand von 10 bis 20 Jahren aufzuholen.“ Der Chairman von Rapidus, Tetsuro Higashi, drückte sich zuvor noch klarer aus und sprach von der „letzten Chance“ für Japan, bei Prozessoren wieder global wettbewerbsfähig zu werden. Mit ausreichend Staatshilfe könnte es Japan nach Ansicht von Regierungsberater Hideki Wakabayashi gelingen, seinen Anteil am weltweiten Halbleitergeschäft bis 2030 auf 20% zu verdoppeln. Für dieses Ziel verzichtet die Regierung auf nationale Alleingänge und sucht sich ausländische Partner sowohl für Forschung und Entwicklung als auch für die Produktion.
Auf die Rapidus-Chefs Higashi und Koike wartet eine Herkules-Aufgabe: Denn der japanische Weltmarktanteil schnurrte von über 50% am Ende der 1980er Jahre auf 9% im Vorjahr zusammen. Kleinere Knoten als 40 Nm schafft die einheimische Industrie nicht, während 5 und 7 Nm den Topstandard setzen. TSMC und Samsung fertigen bereits 3 Nm-Chips. Daher spielt Japan bei Prozessoren und Logikchips mit nur 6% Anteil auf dem Weltmarkt keine Rolle. Eine nationale Stärke sind mit 35% Anteil Maschinen für die Halbleiterproduktion. Die fünf der zehn größten Hersteller kommen aus Japan, darunter Tokyo Electron für die Beschichtung und Reinigung von Wafern. Bei der zweiten Domäne, der Spezialchemie und anderen Materialien, kommt die Inselnation sogar auf 50%. Bekannte Namen sind Shin Etsu Chemical und Showa Denko.
Währenddessen ist die japanische Industrie bei Dram-Speichern seit dem Zusammenbruch von Elpida Memory vor 10 Jahren ganz aus dem Rennen. Ein weiteres Manko sind Power-Chips für eine effiziente Stromnutzung. Die fünf größten Hersteller Mitsubishi Electric, Fuji Electric, Toshiba, Renesas Electronics und Rohm kommen zusammen nur auf den gleichen Umsatz wie Branchenführer Infineon aus Deutschland. Renesas verteidigt Japans Stellung bei den für Automobile wichtigen Mikrokontrollern mit einem Weltmarktanteil von einem Viertel. Noch besser sieht es bei Nand-Speicherchips aus: Die Toshiba-Tochter Kioxia und ihr US-Partner Western Digital liegen mit knapp einem Drittel des Weltmarktes direkt hinter Samsung. Bei Bildsensoren sorgt Sony mit knapp 50% Anteil für eine seltene Sektorführung.
Für den Bedeutungsverlust identifizierte das Industrieministerium METI eine Reihe von Ursachen: den Handelsstreit mit den USA um Speicherchips in 1980er Jahren, das Beharren vieler Hersteller auf Eigenständigkeit und eine daraus resultierende Fragmentierung, ungenügende Investitionen, unzureichende Staatshilfe, Mangel an Ingenieuren sowie die Unfähigkeit, die vertikal integrierte Produktion auf ein horizontales Modell umzustellen. Auf der Basis dieser Analyse zieht die Regierung nun Konsequenzen: Sie hat Halbleiter soeben als strategisch wichtig eingestuft und subventioniert die Ansiedlung neuer Fabriken. Die ersten Nutznießer sind Rapidus sowie ein Joint Venture von TSMC, Sony und Denso, das im „Silicon Island“ Kyushu bis 2024 ein Chipwerk baut. In Kyushu gibt es das besonders reine Wasser, das die Waferbearbeitung verlangt, im Überfluss.
Als zweite Lehre aus der Vergangenheit streckt Japan die Fühler nach ausländischen Partnern aus. „Wir müssen einsehen, dass Japan fortschrittliche Halbleiter nicht alleine entwickeln kann“, erklärte Premier Fumio Kishida zum Auftakt der Fachmesse Semicon. „Wir müssen globale Partnerschaften stärken und ein Gastgeber für die Massenproduktion von Chips der nächsten Generation sein.“ Bei der Sanierung der Branche kooperiert Japan daher mit ausländischen Unternehmen wie IBM und wirbt im Ausland um Ingenieure und Fachkräfte. Parallel forschen japanische Wissenschaftler in zwei neuen Zentren gemeinsam mit den USA bzw. TSMC. Auch die Zusammenarbeit mit den Mikroelektronikern im belgischen IMEC bei den Lithografie-Verfahren fällt in diese Kategorie.
Trotz der gut durchdachten Strategie bestehen Zweifel, ob sie ausreichend Früchte tragen kann – zum Beispiel bei C.C. Wei, seit 2018 CEO von TSMC. „Es ist sicher nicht unmöglich, in die Industrie hineinzuspringen, die anderen in der Kurve zu überholen und nach vorne zu sprinten, aber es ist sicher eine sehr schwierige Aufgabe“, sagte Wei am vergangenen Wochenende in Taiwan. „Ich verstehe, dass Japan 2-Nm-Chips bauen will, aber darf ich nach 3-, 4-, 5-, 7-, 8-, 9-, 10-Nm-Chips fragen? Das erfordert einen großen Aufwand.“ Wei warnte davor, dass jedes Land eigene Halbleiterwerke bauen wolle. Wenn es so einfach wäre, dann würde es sie doch schon überall geben. Das Ökosystem der heutigen Chipindustrie sei durch die akkumulierten Anstrengungen von vielen Zulieferern und anderen Playern über mehrere Jahrzehnte entstanden.
Nach seinen Angaben baut TSMC derzeit nur deswegen auf der japanischen Hauptinsel Kyushu zusammen mit Sony und Denso eine Fabrik, weil deren Chips an Sony gehen, das wiederum ein zentraler Zulieferer des größten TSMC-Kunden Apple ist. Die Taiwanesen produzieren exklusiv die Prozessoren für die leistungsfähigsten iPhones, iPads und Macs. Sony wiederum beliefert Apple mit CMOS-Bildsensoren, die ebenfalls in Kyushu hergestellt werden. Das künftige TMSC-Werk, das 2025 in Volllast geht, liefert Logikchips für die Sony-Sensoren, damit die Bilddaten dort direkt verarbeitet werden können. Sony kontrollierte 2021 laut Marktforscher Omdia 44% des CMOS-Marktes. Mit Hilfe von TSMC wollen die Japaner diesen Anteil bis 2025 auf 60% steigern. „Die Bedürfnisse der Kunden entscheiden darüber, in welches Land wir gehen, nicht die finanziellen Anreize oder der Wunsch von Regierungen“, unterstrich CEO Wei.
Vor diesem Hintergrund dürften Japan mehr Ansiedlungen schwerfallen, eben weil es an Abnehmern für diese Chips im eigenen Land fehlt. Darüber hinaus besitzt die Inselnation aus fiskalischen und demografischen Gründen nicht genug Mittel, um den Subventionswettlauf mit den USA und Europa zu gewinnen. Am Ende könnte die Wiedergeburt der japanischen Halbleiterindustrie an den jüngsten US-Sanktionen gegen China scheitern. Japan sieht sich gerade gezwungen, sich den Washingtoner Exportkontrollen für die modernsten Maschinen und Materialien im Halbleitersektor anzuschließen. Als Konsequenz würde ein wichtiger Großabnehmer für eine erstarkte Chipindustrie in Japan ausfallen.
Von Martin Fritz, Tokio