Juve-Verwaltungsrat tritt komplett zurück
Von Gerhard Bläske, Mailand
Es ist ein Erdbeben, das Italiens Fußball-Rekordmeister Juventus Turin erschüttert. Völlig überraschend ist am Montagabend der komplette Verwaltungsrat unter Führung des Fiat-Miterben Andrea Agnelli zurückgetreten. Gleich am Dienstag schlug die Holding Exor der Familie Elkann-Agnelli, die 63 % der Anteile des börsennotierten Vereins hält, der Hauptversammlung am 18. Januar den Steuerexperten und Wirtschaftsprüfer Gianluca Ferrero als Nachfolger Agnellis vor. An der Börse kamen die Neuigkeiten nicht gut an. Die Aktie gab am Dienstag leicht nach. Binnen zwölf Monaten hat sie 40 % verloren.
Hintergrund des kollektiven Rücktritts waren die Ende Oktober abgeschlossenen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Turin wegen mutmaßlicher Bilanzfälschung, der Verbreitung von Falschinformationen sowie Unregelmäßigkeiten bei diversen Spielertransfers in den Jahren 2019 bis 2021. Bei Durchsuchungen in diversen Büros war Ende Oktober umfangreiches Material sichergestellt worden. Dabei geht es wohl auch um die Verpflichtung von Superstar Cristiano Ronaldo, der 2018 von Real Madrid geholt wurde und für Agnelli den Anfang vom Ende einläutete.
Der bisherige Präsident, der in einem dreiseitigen Brief die „Verdienste“ seiner mehr als 12-jährigen Amtszeit bei dem Club aufzählte, darunter neun Meisterschaften in Serie, war bei vielen Fans unbeliebt, weil er einer der stärksten Befürworter einer europäischen Superliga war, die aber nicht zustande kam. In den Skandal um künstlich aufgeblähte Spielertransfers sind auch diverse andere Clubs in Europa verwickelt, darunter der SSC Neapel, Manchester City, der FC Barcelona und der FC Basel − aber in geringerem Maße. Bei „Juve“ droht 16 Personen ein Strafprozess, darunter neben Agnelli auch seinem Vize Pavel Nedved und dem Geschäftsführer Maurizio Arrivabene.
Ferrero übernimmt ein schwieriges Amt. Die letzte Meisterschaft liegt über zwei Jahre zurück. In der Champions League kam der Club nicht ins Achtelfinale, in der Meisterschaft liegt er abgeschlagen auf Rang drei. Und für das Geschäftsjahr 2021/22 (30.6.) vermeldete Juve einen Rekordverlust von 254 (i.V. 210) Mill. Euro. Ferrero verfüge über die nötige Erfahrung und Kompetenz für sein Amt, habe aber auch eine echte Passion für den Club und sei deshalb bestens geeignet für den Job, versichert Exor. Die restlichen Kandidaten für den Verwaltungsrat sollen rechtzeitig vor der Hauptversammlung vorgeschlagen werden.
Ausschlaggebend für den überraschenden Kollektivrücktritt, der die Titelseiten der italienischen Zeitungen schmückt, waren offenbar auch die Beurteilungen der Finanzmarktaufsicht Consob und von Deloitte & Touche. Neuer starker Mann bei dem Verein ist der Ex-Fiat-Manager Maurizio Scanavino. Der neue Generaldirektor ist ein Vertrauter von John Elkann, Exor-Chef sowie Ferrari- und Stellantis-Präsident.