Kopflos in San Francisco
Es ist nicht die erste Twitter-Botschaft, bei der sich der Leser fragt, ob Elon Musk eigentlich einen gezwitschert hat. Der umtriebige Milliardär, der den Kurznachrichtendienst mit seiner Übernahme in einen persönlichen Spielplatz verwandelt hat, beherrscht wie kaum ein anderer Manager den breiten Spagat zwischen einsamen Ratschlüssen und „basisdemokratischer“ Abstimmung. Nach dem Going Private des Unternehmens, bei dem Musk den finanziellen Kraftakt des Börsenabschieds in bester Private-Equity-Manier dem Unternehmen selbst aufgebürdet, mit seiner Unternehmensführung das Geschäftsmodell top-down gedreht und reihenweise gewichtige Werbekunden verprellt hat, lud er nun die weltweite Nutzergemeinde selbst dazu ein, den Stab über ihn zu brechen.
Es ist nicht Musks erste Umfrage auf Twitter. Im vergangenen Jahr ließ er sich mit einer entsprechenden Abstimmung verpflichten, ein Zehntel seiner Tesla-Aktien zu verkaufen. Im November sollten die Nutzer darüber entscheiden, ob der Account des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump wieder freigeschaltet werden sollte – woraufhin Twitter ihn entsperrte.
Während es der Tesla-Board vermutlich vorgezogen hätte, bei Musks Verkaufsplänen ebenfalls zu Wort zu kommen, mangelt es bei Twitter für ein Urteil über seine kurzfristigen Verdienste offenbar an Alternativen; denn im Zuge der Privatisierung hatte der neue CEO den Rest des Boards im Handstreich gefeuert. Allerdings hätte es vermutlich nicht geschadet, sich für den Fall seiner „Abwahl“, die die Nutzer nun mehrheitlich befürworten, zu beratschlagen, wer an seiner Stelle die in San Francisco ansässige Firma führen soll.
Musk hat sich wie bei früheren Abstimmungseinfällen verpflichtet, das Votum anzunehmen, zugleich aber eingeräumt, derzeit keinen Nachfolger „erkennen“ zu können. Die Kopflosigkeit an der Twitter-Spitze wäre weitaus leichter zu tolerieren, wenn es sich nicht um eines der global einflussreichsten sozialen Netzwerke handeln würde, bei dem die Gefahren der medialen Machtfülle jederzeit sichtbar werden – der Sturm aufs Kapitol in Washington nach der gescheiterten Wiederwahlkampagne von Donald Trump war das bisher erschreckendste Beispiel.
Wenig beruhigend ist in diesem Zusammenhang auch, dass Alleinherrscher Musk sich für die Finanzierung des Twitter-Deals stark auf Investoren aus nichtdemokratischen Ländern wie Katar oder den arabischen Emiraten gestützt hat, deren Einfluss auf die Plattform damit nicht ausgeschlossen werden kann. Zudem ist Musk dem Vernehmen nach schon auf der Suche nach weiteren Geldgebern. Twitter ist offenbar instabil an Kopf und Gliedern.