Börsennotierung

Linde sagt Frankfurt goodbye

Das Schwergewicht Linde kündigt seinen Rückzug aus dem Dax an. Künftig ist der Konzern nur an der New Yorker Börse notiert. Union Investment interpretiert die Stärke von Linde zugleich als Schwäche der anderen im Dax.

Linde sagt Frankfurt goodbye

jh München

Nach der Ankündigung, sich von der Frankfurter Börse zurückzuziehen, ist die Aktie des Dax-Schwergewichts Linde am Dienstag unter Druck geraten. Der Kurs des amerikanisch-deutschen Industriegasekonzerns verlor im Xetra-Handel 3,5% auf 286,65 Euro. Investoren, die den Dax abbilden und keine Anteile von US-amerikanischen Un­ternehmen halten, verkaufen nun Linde-Aktien, wie Analysten vermuten. Die Branchenbeobachter von Credit Suisse rechnen allerdings nur mit einem vorübergehenden Verkaufsdruck.

Linde überraschte am Montagabend mit der Ankündigung, den Aktionären eine Reorganisation vorzuschlagen, die zum Delisting von der Frankfurter Börse führen würde. Der Konzern wäre dann nur noch in New York notiert. In der Mitteilung kommentiert der Vorstandsvorsitzende Sanjiv Lamba die Entscheidung mit den Worten: „Die Struktur der doppelten Börsennotierung hat uns zwar von Anfang an gute Dienste geleistet, doch hat sie die Bewertung unserer Aktien wegen der Beschränkungen in Europa und zusätzlicher Komplexität erschwert.“

In einer Präsentation auf der Internetseite weist Linde auf die Kappungsgrenze von 10% für Dax-Werte hin. Linde liegt aktuell bei 11% – mit einer Marktkapitalisierung von knapp 148 Mrd. Euro am Montag. Im vergangenen Jahr sei die Grenze an 59% der Handelstage übertroffen worden, vor zwei Jahren sogar an 66%. Indexfonds, die den Dax abbilden, müssen dann Linde-Aktien verkaufen, was den Kurs belastet. Amerikanische Investoren hätten dafür kein Verständnis, sagte ein Sprecher von Linde. Im S&P-500-Index gibt es keine Kappungsgrenze. Das Gewicht von Linde liegt dort unter 1%.

„Zu anstrengend“

Zudem ist das doppelte Listing mit höheren Kosten und mehr Aufwand verbunden: wegen der zwei Rechnungslegungsstandards US-GAAP und IFRS sowie der Aufsichtsbehörden SEC und BaFin. New York ist seit dem Zusammenschluss vor vier Jahren von Linde AG und Praxair zur Linde plc der Börsenplatz mit dem deutlich höheren Handelsvolumen: Dort wurden in den zwölf Monaten bis August dieses Jahres im Tagesdurchschnitt 2,33 Millionen Aktien gehandelt, in Frankfurt 890000. Der deutsche Anteil macht also etwas mehr als ein Viertel des gesamten Volumens aus.

Die Begründung von Linde für den Rückzug von der Frankfurter Börse überzeugt Daniela Bergdolt, Vizepräsidentin der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), dennoch nicht: „Das spielt Linde in die Hände“, sagte sie der Börsen-Zeitung mit Blick auf die Kappungsgrenze im Dax als Argument. „Deutsche Aktionäre und Vorschriften findet das Management zu anstrengend.“

Von der Entscheidung zeigt sich Bergdolt nicht überrascht: „Das war zu erwarten und ist der Schlusspunkt einer langen Entwicklung.“ Der Zusammenschluss von Praxair und Linde war aus ihrer Sicht von Anfang an keine Fusion unter Gleichen, sondern eine Übernahme des deutschen Konzerns. „Erklärungen, stolz auf die Geschichte des Unternehmens Linde zu sein, waren nie glaubwürdig“, sagt sie. Vorstandschef Lamba beteuert dagegen in der Unternehmensmitteilung, auf die reiche Geschichte und die starke Präsenz auf der ganzen Welt sehr stolz zu sein, einschließlich der Tradition in Deutschland, „das weiterhin ein wichtiger Markt für uns sein wird“.

Ein Weckruf für die anderen

Die Fondsgesellschaft Union Investment interpretiert die Stärke von Linde im Dax zugleich als Schwäche der anderen Mitglieder. „Der Grund für das Delisting ist, dass die anderen Dax-Unternehmen nicht mehr mit Linde mithalten können“, meint Fondsmanager Arne Rautenberg. Linde sei nach dem Zusammenschluss mit Praxair zu erfolgreich für den Dax geworden, Aktienkurs und Bewertung seien weit enteilt. „Der Shareholder Value steht hier offensichtlich viel stärker im Fokus als bei den anderen Dax-Unternehmen.“ Diese sollten nach Rautenbergs Ansicht den Rückzug von Linde als Weckruf verstehen, da sie „am globalen Kapitalmarkt ins Hintertreffen geraten“.

Über den Abschied von der Frankfurter Börse sollen die Linde-Aktionäre Anfang 2023 abstimmen. Der Konzern rechnet damit, dass die Transaktion Anfang März abgeschlossen ist. Die Aktionäre erhalten dann Aktien einer neuen Holdinggesellschaft. Wie die Linde plc soll diese ihren Sitz in Irland und den Verwaltungssitz in England haben.

Die Geschäftszahlen zum dritten Quartal will Linde an diesem Donnerstag veröffentlichen. Air Liquide, der größte Konkurrent des Weltmarktführers für Industriegase, berichtete am Dienstag von einem starken Umsatzanstieg von Juli bis September: Der Erlös nahm um gut 41% auf 8,25 Mrd. Euro zu. Der französische Konzern profitierte von einer hohen Nachfrage und erhöhten Preisen. Um Währungs- und Energiepreiseffekte bereinigt legte der Umsatz um 8,3% zu.

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