Alexander Bissels

Nachteile beim Entgelt können an anderer Stelle ausgeglichen werden

Leiharbeitnehmer müssen grundsätzlich das gleiche Geld verdienen wie vergleichbare Stammbeschäftigte im Betrieb des Entleihers. Was das bedeutet und welche Auswirkungen ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs dazu hat, erläutert Dr. Alexander Bissels von CMS Deutschland

Nachteile beim Entgelt können an anderer Stelle ausgeglichen werden

Helmut Kipp

Herr Bissels, in der Arbeitnehmerüberlassung spielt der Equal-Pay-Grundsatz eine große Rolle. Demnach müssen Leiharbeitnehmer grundsätzlich das gleiche Geld verdienen wie vergleichbare Stammbeschäftigte im Betrieb des Entleihers. Nun hat sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit dieser Regel befasst. Mit welchem Ergebnis?

Am 15. Dezember 2022 hat der EuGH die vom BAG, also dem Bundesarbeitsgericht, vorlegten Fragen zur Auslegung der Leiharbeitsrichtlinie beantwortet. Dabei hat der Gerichtshof festgestellt, dass durch Tarifverträge vom Gleichstellungsgrundsatz grundsätzlich abgewichen werden kann. Dessen Abbedingung kann für den Leiharbeitnehmer insbesondere hinsichtlich des Entgelts einen Nachteil darstellen. Dieser muss durch einen geeigneten Vorteil an anderer Stelle – zur Wahrung des Gesamtschutzes – ausgeglichen werden.

Welche Ausgleichsvorteile kommen in Frage?

Eine beim Leiharbeitnehmer bestehende Entgeltdifferenz kann durch eine Besserstellung in Bezug auf andere wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen ausgeglichen werden, zum Beispiel durch einen höheren Urlaubsanspruch als bei vergleichbaren Stammbeschäftigten.

Sind solche Ausgleichsvorteile in den Tarifverträgen vorgesehen?

In den in der Praxis verbreiteten Tarifwerken der Zeitarbeit (BAP/DGB und iGZ/DGB) sind keine (ausdrücklich als solche bezeichneten) Ausgleichsvorteile vorgesehen. Dies ist aber auch nicht erforderlich; sie müssen lediglich in den Tarifverträgen angelegt und grundsätzlich geeignet sein, um einen Nachteil abmildern zu können. Ein solcher Ausgleichsvorteil kann nach Ansicht des EuGH das vom Verleiher gezahlte Entgelt in der Zeit zwischen den Überlassungen – sei es aufgrund eines unbefristeten oder befristeten Arbeitsvertrags – darstellen. Dies sehen die gesetzlichen und tariflichen Regelungen vor. Dieser Umstand spricht dafür, dass der Gesamtschutz zumindest in unbefristeten Arbeitsverhältnissen durch die Tarifverträge gewahrt wird.

Müssen die Leiharbeitsfirmen mit Nachzahlungen rechnen?

Dieses Risiko ist nicht ausgeschlossen. Die Frage, ob eine hinreichende Kompensation für die Entgeltdifferenz durch Ausgleichsvorteile erfolgt, muss immer im konkreten Einzelfall geprüft werden. Dabei wird beurteilt, ob die gewährten Ausgleichsvorteile – im Sinne der Gewährung eines Gesamtschutzes – die Ungleichbehandlung neutralisieren können. Erst wenn dies nicht der Fall ist, kann überhaupt ein Anspruch auf Nachzahlung entstehen. Dieser wird in der Regel durch auf das Arbeitsverhältnis anwendbare Ausschlussfristen auf die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses begrenzt sein. Dies gilt jedoch nicht hinsichtlich der auf die Entgeltdifferenz nachzuzahlenden Sozialversicherungsbeiträge.

Besteht die Gefahr, dass die aktuellen Tarifverträge in der Zeitarbeit unwirksam werden?

Der EuGH verlangt, dass Tarifverträge, die nachteilige Abweichungen vom Gleichstellungsgrundsatz für Leiharbeitnehmer zulassen, einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle unterliegen müssen. Konkrete Vorgaben für die Prüfungstiefe macht der EuGH nicht, sodass es am BAG liegen wird, diese zu definieren.

Welche Folgen hat das Urteil für die Zeitarbeitsbranche?

Die Entscheidung des EuGH hat keine unmittelbaren Auswirkungen, sondern muss durch das BAG noch umgesetzt werden. Letztlich wird in dem Urteil aus Luxemburg zunächst nur das abstrakte Prüfprogramm festgelegt; es belässt dem BAG große Spielräume bei der Auslegung deutschen Rechts. Insbesondere mit Blick auf die Ausgleichsvorteile gibt der EuGH einen deutlichen Fingerzeig: Diese dürften sich schon daraus ergeben, dass einsatzfreie Zeiten vergütet werden. Vor diesem Hintergrund kann die noch anstehende Entscheidung aus Erfurt mit einer gewissen Gelassenheit abgewartet werden. Mit einem Urteil ist wahrscheinlich Mitte 2023 zu rechnen. Von einem Flächenbrand, der die gesamte Zeitarbeitsbranche erfassen wird, kann – zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt – keine Rede sein.

Dr. Alexander Bissels ist Partner und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der internationalen Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland.

Die Fragen stellte .

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