Norwegen leistet, Deutschland zahlt
Die Deutschen lieben Norwegen. Unberührte Natur, Rentiere, Fjorde, Lachs und Wikinger. Nicht ohne Grund stellen deutsche Urlauber traditionell die größte ausländische Touristengruppe in Norwegen. Künftig werden noch etliche Polittouristen hinzukommen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck war Anfang Januar bestimmt nicht das letzte Regierungsmitglied, das in diesem Jahr dem Land der Trolle die Aufwartung macht. Denn Norwegen hat nicht nur Russland als größten Energielieferanten Deutschlands abgelöst, sondern soll nach dem Wunsch der Bundesregierung und deutscher Unternehmen auch Deutschlands CO2-Problem lösen helfen. Norwegen werde zentraler Partner bei der Dekarbonisierung der deutschen Wirtschaft, sind sich beide Regierungen einig. Wobei diese Partnerschaft im Wesentlichen dadurch gekennzeichnet ist, dass Norwegen leistet und Deutschland zahlt: für Erdöl, für Erdgas und LNG, für blauen und grünen Wasserstoff sowie für die Einlagerung von CO2.
Die Industrie hat sich schnell darauf eingestellt, dass der deutsche Michel auch bei der Energiewende das Sankt-Florian-Prinzip bevorzugt. Anstatt die heimischen Gasreserven in Niedersachsen anzuzapfen, holt man es lieber aus allen Teilen der Welt zu hohen (Transport-)Kosten zu den Verbrauchern nach Deutschland. Anstatt CO2 in Deutschland abzuscheiden und mittels CCS-Technologie (Carbon Capture and Storage) hier unter der Erde zu speichern, bringt man es über noch zu bauende Pipelines lieber außer Landes, nach Norwegen oder in die Niederlande.
Wie schwierig es ist, die Deutschen vom bereits beim Atomausstieg gepflegten Nimby-Denken (Not in my Backyard) zu entwöhnen, wird demnächst die Wende bei der CCS-Technik zeigen. Denn in diesem Jahr will die Bundesregierung per Gesetz den Weg für CCS auch in Deutschland ebnen. Hierzulande ist die Speicherung von Kohlendioxid unter der Erde, obwohl von der Wissenschaft für sicher und unbedenklich erachtet, bisher nur befristet für Versuchszwecke möglich. Ohne Rückgriff auf diese Technik aber werden Stahlwerke, Chemieproduktionen oder Zementfabriken das Ziel vollständiger Treibhausgas-Neutralität nicht erreichen können.
Dass die Dekarbonisierung Deutschlands auch die Deindustrialisierung zur Folge hätte, will aber selbst ein grüner Wirtschafts- und Klimaminister nicht, zumal der Standort Deutschland schon aus anderen Gründen wie beispielsweise zu hoher Steuerbelastung und lähmender Bürokratie drastisch an internationaler Wettbewerbsfähigkeit verliert, wie das jüngste Standortranking des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) belegt. Für die meisten Klimaaktivisten ist Deindustrialisierung freilich kein Schreckensbegriff, sondern Verheißung. Deshalb dürfte der Widerstand diverser Bürgerinitiativen gegen die Reform des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes kaum weniger heftig ausfallen als gegen den Braunkohleabbau in Lützerath trotz der damit verbundenen Zusicherung des vorgezogenen Ausstiegs von RWE aus der Kohleverstromung bis 2030.
Die Industrie dagegen will und muss die Chance der Energiewende nutzen, zumal nach den schweren Verlusten aufgrund von Russland-Engagements. So setzt jetzt Wintershall Dea, die zusammen mit ihrer Mutter BASF nach dem Rückzug aus Russland gerade einen Abschreibungsbedarf von 7,3 Mrd. Euro vermeldete, voll auf die Norwegenkarte. Die Öl- und Gasexploration auf dem norwegischen Kontinentalschelf wird stark ausgebaut, der CCS- und Wasserstoffmarkt soll gemeinsam mit dem Staatskonzern Equinor erschlossen werden. Wintershall hat im Oktober eine erste Speicherlizenz für CO2 in der norwegischen Nordsee 120 Kilometer westlich von Bergen verkündet, während RWE mit Equinor Wasserstoffkraftwerke bauen will und eine Pipeline zur Versorgung Deutschlands mit norwegischem Wasserstoff plant.
Plötzlich findet zusammen, was zuvor scheinbar nicht zusammenpasste. Erst im Mai 2020 hatte der norwegische Staatsfonds Norges, der die Gewinne aus dem Öl- und Gasgeschäft weltweit anlegt, neben anderen Energietiteln auch seine RWE-Aktien im Wert von 3 Mrd. Euro abgestoßen. Zwar war RWE damals noch Europas größter CO2-Emittent, aber bereits mitten in der Transformation und unterwegs in Richtung erneuerbarer Energien. Wie auch immer: Norges, mit einem verwalteten Vermögen von 1,3 Bill. Dollar einer der größten Staatsfonds der Welt, ist durch die Karbonisierung reich geworden und will nun mit der Dekarbonisierung noch reicher werden. Wo bisher und auch heute noch viel Geld damit verdient wird, Öl und Gas aus dem Boden zu holen, wird künftig Geld damit verdient, einen Teil dieses Stoffs, nämlich CO2, zurückzunehmen und wieder in den Boden zu pressen. Kreislaufwirtschaft aus dem Bilderbuch.
Staatsfonds macht Druck
Die Klima-Devise von Norges Bank Investment Management (NBIM) lautet mittlerweile „netto null“, wie deren CEO Nicolai Tangen dieser Tage beim Weltwirtschaftsforum in Davos bekräftigt hat. Die mehr als 9 000 Unternehmen, an denen Norges beteiligt ist, dürfen sich auf wachsenden Druck zur Erfüllung von Klimazielen wie auch ESG-Kriterien gefasst machen. ESG, so Tangen, „is not politics, it is common sense“.
Dabei sollten sich die Norweger auch mal an die eigene Nase fassen. Denn die aktuelle Verteilung der Investments auf die vier selbst gewählten Anlagebereiche Aktien (68,5%), Renten (28,3%), Immobilien (3,0%) und Infrastruktur für erneuerbare Energie (0,1%) mag vielleicht die Rendite optimieren, aber nicht die Glaubwürdigkeit in Sachen Klimaschutz. Wenn Norges ihre Milliarden künftig noch stärker in die Infrastruktur für erneuerbare Energie steckt, werden die Deutschen das skandinavische Land bald auch für seinen nachhaltigen Kapitalismus schätzen.
c.doering@boersen-zeitung.de