Deutsche Industrie

Bestellmisere der deutschen Industrie endet

Die deutsche Industrie hat im August mehr als doppelt so viele Aufträge eingesammelt wie erwartet. Der Abwärtstrend der Neubestellungen könnte damit beendet sein, die Konjunktursorgen aber sind damit noch nicht aus der Welt.

Bestellmisere der deutschen Industrie endet

Bestellmisere der deutschen Industrie endet

Unerwartet kräftiges Orderplus – Großaufträge spielen diesmal keine Rolle – Nachfrage aus dem In- und Ausland gleich stark

ba Frankfurt

Die Auftragsmisere der deutschen Industrie scheint im August – zumindest vorerst – ein Ende gefunden zu haben. Nach dem kräftigen Einbruch im Juli sammelte das verarbeitende Gewerbe mehr Neubestellungen ein als erwartet. Ökonomen werten dies zwar als erfreuliches Zeichen, aus dem Schneider ist der Sektor damit allerdings noch lange nicht. Und so nehmen auch die Sorgen um die deutsche Konjunktur nicht ab: Eine Sommerrezession wird immer wahrscheinlicher.

Eine Frage des Vergleichs

Laut dem Statistischen Bundesamt (Destatis) lagen die Auftragseingänge im August um 3,9% über dem Niveau des Vormonats. Ökonomen hatten mit einem nicht einmal halb so kräftigen Zuwachs gerechnet und im Schnitt ein Plus von 1,5% auf der Rechnung. Zudem war der von Sondereffekten gezeichnete Einbruch im Juli doch nicht ganz so heftig wie mit –11,7% zunächst gemeldet: Die Wiesbadener Statistiker notieren nun ein Minus von 11,3%.

In den vergangenen Monaten hatten vor allem die volatilen Großaufträge für heftige Ausschläge gesorgt. Im August war dies nicht der Fall: Bleibt diese Größe unberücksichtigt, ergab sich ein Bestellplus von ebenfalls 3,9%. Im aussagekräftigeren Zweimonatsvergleich entwickelten sich die Aufträge im August mit einem deutlichen Rückgang von 6,2% jedoch weiterhin verhalten, mahnte das Bundeswirtschaftsministerium. Für den weniger schwankungsanfälligen Dreimonatsvergleich wiederum ergibt sich Destatis zufolge bereits ein Plus von 4,9% im Vergleich zu den vorherigen drei Monaten.

"Talsohle erreicht"

Ökonomen werten den deutlichen Anstieg im August als Zeichen, dass die seit Anfang 2022 währende Talfahrt der Industrieaufträge nun erst einmal gestoppt ist. Sie bleiben aber vorsichtig in ihrer Bewertung: "Dass die Auftragseingänge im August ein positives Vorzeichen ausweisen, ist in Anbetracht des deutlichen Absturzes im Vormonat keine Überraschung", mahnt etwa Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank. Allerdings habe es aus dem globalen verarbeitenden Gewerbe in den vergangenen Wochen Anzeichen einer Stabilisierung gegeben, die nun auch auf die deutsche Industrie abzufärben schienen. "Dies nährt die Hoffnung, dass es nach einer Phase der Bodenbildung zumindest wieder etwas nach oben geht.", sagte Gitzel. Das Wirtschaftsministerium sieht die Talsohle der Industriekonjunktur im dritten Quartal erreicht: "Zum Jahreswechsel 2023/24 dürfte dann eine schrittweise konjunkturelle Erholung einsetzen."

"Das schwache außenwirtschaftliche Umfeld und die hohe Unsicherheit hierzulande mahnen aber noch zur Vorsicht", betont Bastian Hepperle, Senior Economist der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank. Im August nahmen die Bestellungen aus dem In- und Ausland mit 4,0% bzw. 3,9% annähernd gleichermaßen zu.

Produktion dürfte sinken

Commerzbank-Ökonom Ralph Solveen mahnt zudem, dass die Unternehmen laut Ifo-Umfrage ihre während der Corona-Pandemie angesammelten Auftragsbestände inzwischen weitgehend abgearbeitet haben. "Darum dürften sie in den kommenden Monaten ihre Produktion nach und nach an das niedrigere Niveau der Auftragseingänge anpassen, also herunterfahren." Ökonomen erwarten, dass die Produktion im August nach einem Rückgang um 0,8% im Juli erneut gedrosselt worden ist. Kaum Hoffnung verheißen auch die realen Industrieumsätze, die im August nur leicht um 0,4% zugelegt haben. Am Montag legt Destatis die Daten zur Produktion im verarbeitenden Gewerbe vor. Insbesondere die Baubranche dürfte im Fokus stehen, die wegen der Folgen der Zinswende rekordhohe Stornierungen zu verkraften hat.

Die Erholung bei den Neubestellungen wurde vor allem von den Bereichen EDV und optische Geräte ( 37,9%), elektrischer Ausrüstungen ( 8,7%) sowie pharmazeutischer ( 4,0%) und chemischer Erzeugnisse ( 1,7%) getragen. Allerdings verzeichnet die gewichtigen Sektoren wie Kfz und Kfz-Teile (-0,7%) und Metallerzeugung (-2,0%) Orderrückgänge wohingegen die Nachfrage im Maschinenbau stagnierte.

Kommentar zum Thema

Die deutsche Industrie hat im August mehr als doppelt so viele Aufträge eingesammelt wie erwartet. Ökonomen werten dies zwar als mögliches Zeichen, dass der Abwärtstrend der Neubestellungen nun beendet ist, raten aber weiter zur Vorsicht: Das verarbeitende Gewerbe bleibt das Sorgenkind der deutschen Wirtschaft.

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