GASTBEITRAG

2013 bis 2030: Mögliche Euro-Abwicklung berührt Wachstumsprognosen kaum

Börsen-Zeitung, 13.12.2012 In den Handelsräumen der Banken heißt es derzeit wieder "Bücher zu!". Mit dem Weihnachtsfest steht auch das Fixed-Income-Geschäft 2012 vor dem Jahresabschluss. Ein guter Moment, um auf die kommenden wirtschaftlichen...

2013 bis 2030: Mögliche Euro-Abwicklung berührt Wachstumsprognosen kaum

In den Handelsräumen der Banken heißt es derzeit wieder “Bücher zu!”. Mit dem Weihnachtsfest steht auch das Fixed-Income-Geschäft 2012 vor dem Jahresabschluss. Ein guter Moment, um auf die kommenden wirtschaftlichen Entwicklungen zu blicken. Schaut man auf das nächste Jahr, werden 2013 die Unsicherheiten fortbestehen, die bereits 2012 das Parkett bewegten: Die Ungewissheit über den Euro wird anhalten, die Krise der EU noch immer das politische Tagesgeschehen beherrschen und die langfristige Lösung des Schuldenproblems außer Sicht bleiben. Im Schatten des sich abschwächenden Weltwirtschaftswachstums wird weiterhin von der europäischen Rezession zu lesen sein. Kann in diesem Augenblick, in dem die fiskalische und die makroökonomische Krise zu einem politischen Dilemma führen, eine langfristige Prognose mehr Klarheit schaffen? Jetzt die Weichen stellenUm langfristig wettbewerbsfähig zu sein, muss Europa jetzt die Weichen stellen: Wenn man den aktuellen Prognosen der OECD und ähnlichen Ausblicken internationaler Bankhäuser auf das Jahr 2030 glaubt, verliert in der langen Sicht zumindest die Unsicherheit über die Zukunft des Euro an Relevanz. Der scheinbar unlösbare Konflikt – der Gordische Knoten der beiden miteinander zusammenhängenden Krisen – neutralisiert sich im makroökonomischen Weitblick. In der langen Frist gelten noch immer fundamentale Wirkungszusammenhänge: Nur durch das Wiedererlangen der Wettbewerbsfähigkeit wird an die “alte” Wachstumsdynamik in Europa angeknüpft werden können.Im Kern gehen die Vorhersagen davon aus, dass die Produktivität der europäischen Volkwirtschaften von der Flexibilität ihrer Faktormärkte, einem hohen Beschäftigungs- und Bildungsniveau und einer gelösten Energiefrage abhängig ist. Europas langfristige Wettbewerbsfähigkeit und seine wirtschaftliche Zukunft werden also – immer noch – in den nationalen Wirtschaftsordnungen entschieden.Ob es dann einen gemeinsamen Währungsraum in Europa gibt oder eine monetäre Fragmentierung stattgefunden hat, ist für die langfristige Wettbewerbsfähigkeit Europas (fast) unerheblich: Der Wachstumstrend der einzelnen Staaten bleibt in den Prognosen von einer potenziellen Abwicklung der Eurozone unberührt.Die lange Sicht täuscht jedoch nicht darüber hinweg, dass eine wirksame politische Reaktion auf die Schuldenkrise die notwendige Voraussetzung dafür ist, nicht mehr als zehn Jahre in der Peripherie zu verlieren: So lange wird es dauern, bis auch das schwächste Sorgenkind in der Eurozone wieder auf einen Wachstumspfad gelangt. Die Verwerfungen eines möglichen Auseinanderbrechens der Eurozone wären zwar vorübergehend, würden jedoch den Wachstumstrend nach hinten verschieben. Wichtige Zeit ginge also verloren.Ob man jenseits der Krise allerdings überhaupt auf einen langfristigen Wachstumspfad gelangt, hängt maßgeblich davon ab, wie die Politik jetzt agiert: Geht sie angemessen auf die langfristig wahrscheinlichen weltwirtschaftlichen Entwicklungen ein? Nimmt sie jetzt die notwendigen Strukturreformen in Angriff?Die Risiken für 2030 stehen bereits in den Büchern der Händler. Eine alternde Bevölkerung, ein Viertel weniger Schulabgänger, globale Sparquoten im Seitwärtstrend und eine geringere Wachstumsdynamik der Weltwirtschaft sind bereits jetzt absehbar. Vor diesem weltwirtschaftlichen Hintergrund, der von internationalen Organisationen wie dem Internationalen Währungsfonds und den Vereinten Nationen statistisch belegt wird, zeichnet sich die Wachstumsumwelt von 2030 für die EU ab. Druck aus Rest der Welt steigtObschon von Wachstumsprognosen internationaler Finanzinstitute keine allgemeingültigen politischen Handlungsempfehlungen abzuleiten sind, liefern ihre Analysen eine plausible Annäherung an die Bereiche, in denen Reformen und Investitionsprojekte für die europäische Wettbewerbsfähigkeit zuträglich sind.Zugleich wird in den langfristigen weltwirtschaftlichen Szenarien auch die Frage beantwortet, welche Schlüsselfaktoren auf dem Weg zur europäischen Wettbewerbsfähigkeit richtungsweisend sind: Demografie, Energie, Bildung, Offenheit und Flexibilität des wirtschaftlichen und politischen Systems und die Qualität öffentlicher Institutionen. Die Ausgestaltung dieser Bereiche ist für die Wettbewerbsfähigkeit des Europas von morgen essenziell. Geordnete Währungs- und Haushaltsverhältnisse sind allenfalls notwendige Bedingungen, was bei der aktuellen Debatte gänzlich aus dem Blick zu geraten scheint.Das europäische Ausland wird bis 2030 den Druck erhöhen. Eine langfristige Perspektive auf die europäische Wettbewerbsfähigkeit lässt auch keinen Zweifel daran, dass die Wettbewerbsposition Europas auf dem Weltmarkt nicht nur durch wirtschaftliche Schwächen ihrer Peripherie und eine zögerliche Reform der Währungsunion gefährdet ist, sondern – mehr noch – durch die globalen Machtverschiebungen. Bis 2030 werden sich neue Zentren der Weltwirtschaft bilden, und Europa wird tendenziell an Bedeutung verlieren. Noch ist Europa der größte Binnenmarkt – doch was geschieht, wenn die asiatisch-pazifische Wirtschaftsgemeinschaft APEC an ihrem Vorhaben festhält und einen transpazifischen Freihandelsraum einrichtet? Wie soll Europas Politik darauf reagieren?Ein unheilvoller Weg wiese zurück in das 20. Jahrhundert. Protektionismus und Kapitalverkehrskontrollen als Antworten führten in die Renationalisierung Europas und schadeten der Mehrheit der Europäerinnen und Europäer, die vom globalen Güter- und Geldmarkt profitieren. Der Ruf nach einem Wirtschaftsmodell autokratischer Prägung ist hier jedoch genauso deplatziert und gefährlich, wie er es in den dreißiger Jahren in Europa war. Entschlossenheit ist nötigDamit bleibt Europa allein der Weg nach vorn übrig: Das schließt eine weitere Annäherung an die aufstrebenden Wirtschaftsnationen in Form strategischer Partnerschaften und die Finanzmarktintegration mit den sich öffnenden Kapitalmärkten genauso ein wie ein attraktives Standortmodell.Von der europäischen Politik ist deshalb Entschlossenheit gefragt, die weltwirtschaftlichen Herausforderungen von 2030 zu antizipieren und sich ihren Weitblick über der – notwendigen – akuten Krisenbewältigung, die 2013 selbstverständlich weiterhin große Aufmerksamkeit bündeln wird, nicht verstellen zu lassen,