650 Mrd. Dollar gegen die Schuldenmisere
rec Frankfurt
Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat nach monatelangen Verhandlungen unter seinen größten Anteilseignern Finanzhilfen in nie da gewesener Höhe beschlossen. Das IWF-Direktorium stimmte in der Nacht zu Dienstag einer Erhöhung der sogenannten Sonderziehungsrechte um umgerechnet 650 Mrd. Dollar zu. Dabei handelt es sich um eine hoch liquide Spezialwährung, die Schwellen- und Entwicklungsländer vor Zahlungsschwierigkeiten bewahren soll. Es ist die größte Aufstockung in der Geschichte des IWF und die erste seit 2009, als der Währungsfonds im Zuge der Weltfinanzkrise im Auftrag seiner Mitgliedstaaten 250 Mrd. Dollar zur Verfügung stellte.
Finanzexperten begrüßten die Einigung, der zähe Verhandlungen im Kreise von Finanzministern, Notenbankchefs und IWF-Delegierten der größten Volkswirtschaften vorausgegangen waren. Es machte sich aber trotz der Rekorderhöhung Skepsis breit, ob die Schlagkraft der über den IWF ausgereichten Mittel ausreichen wird, um Schuldenkrisen infolge der Pandemie zu verhindern. Die Bundesregierung hatte sich bereits im vergangenen Jahr für die Aufstockung starkgemacht. Die USA als wichtigster Anteilseigner des IWF bremsten lange, was vor allem auf die Konfrontation mit China in Weltpolitik und Weltwirtschaft zurückzuführen ist. Schließlich willigte die neue US-Regierung um Präsident Joe Biden ein. Von oppositionellen Republikanern kam Kritik.
Tatsächlich ist China in absoluten Zahlen der größte Nutznießer: Berechnungen des Analysehauses Capital Economics zufolge dürften Pekings Bruttowährungsreserven um 41 Mrd. Dollar steigen, gefolgt von anderen großen Schwellenländern wie Indien, Russland und Brasilien (siehe Grafik). In Relation zu den jeweiligen Währungsreserven und zur Wirtschaftskraft profitieren aber vor allem Länder, die an den weltweiten Kapitalmärkten angesichts hoher Risikoaufschläge besonders stark unter Druck stehen. Das gilt allen voran für Sambia, dessen Währungsreserven sich durch die neuen IWF-Hilfen mehr als verdoppeln. Ein weiteres halbes Dutzend Länder, darunter das hoch verschuldete und in schwierigen internationalen Umschuldungsverhandlungen steckende Argentinien, können ihre Puffer zweistellig, zwischen 11 und 14%, ausbauen.
Von den 650 Mrd. Dollar gehen laut IWF 275 Mrd. Dollar direkt an Schwellen- und Entwicklungsländer, das sind 42%. Der überwiegende Teil steht den hoch entwickelten Volkswirtschaften zu. So sind nach Berechnungen des US-Finanzministeriums, über die die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtete, lediglich 33 Mrd. Dollar für Länder in Afrika vorgesehen, die durch die Pandemie überwiegend besonders heftig und aufgrund äußerst schleppender Impfkampagnen noch für längere Zeit getroffen sind. Hintergrund ist, dass die Sonderziehungsrechte strikt nach dem Anteil der jeweiligen Länder am IWF-Kapitel vergeben werden. Frankreich und andere Industrieländer haben zugesagt oder zumindest angedeutet, Teile ihrer Sonderziehungsrechte an Schwellen- und Entwicklungsländer abtreten zu wollen. Das können sie auf unterschiedlichen Wegen tun. IWF-Chefin Kristalina Georgiewa zufolge sollen die Modalitäten dafür bis Ende des Jahres stehen.
Rolf Langhammer vom Institut für Weltwirtschaft (IfW) sieht das Weltfinanzsystem nach wie vor in einer kritischen Situation. „Die Allokation neuer Sonderziehungsrechte hilft ein wenig, löst aber nicht das grundsätzliche Problem: Die Pandemie trifft die ärmsten Länder am heftigsten, was globale Ungleichgewichte verschärft.“ Im Zuge der Coronakrise hatte der IWF wiederholt Finanzhilfen für Entwicklungsländer vorübergehend erhöht und temporäre Schuldenmoratorien beschlossen. Diskussionen über weitere Erleichterungen bis hin zu Schuldenerlassen seien „auch mit den zusätzlichen 650 Mrd. Dollar nicht vom Tisch“. Für William Jackson, Chefvolkswirt für Schwellenländer bei Capital Economics, ist die Einigung „positiv, aber keine Lösung für die Schuldenmisere“.