STREIT ÜBER TARGET2-SALDEN

913 270 212 439,49 Euro

Target2-Forderungen der Bundesbank trotz Rückgangs weiter auf hohem Niveau - Streit über Gründe und Risiken für Deutschland

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Die Target2-Forderungen der Bundesbank sind im Juli deutlich gesunken – von zuvor 976,3 Mrd. Euro auf 913,3 Mrd. Euro. Sie verharren damit aber weiter auf sehr hohem Niveau. Das dürfte auch den Streit über die Gründe für die Target-Salden und die finanziellen Risiken für Deutschland am Leben halten.Von Mark Schrörs, FrankfurtEZB-Präsident Mario Draghi ist in der Öffentlichkeit eigentlich stets sehr kontrolliert, beherrscht. Ab und zu aber brechen sich auch bei ihm Emotionen Bahn – vor allem dann, wenn er sich oder die Europäische Zentralbank (EZB) ungerechtfertigt an den Pranger gestellt fühlt. Unvergessen ist seine Kritik von Ende 2013, die Deutschen, Hauptkritiker seiner ultralockeren Geldpolitik, hätten eine “perverse Angst, dass sich die Dinge zum Schlechten entwickeln”. Ende Juli war wieder ein solcher Moment: Nach der Zinssitzung des EZB-Rats wurde Draghi auf die steigenden Target2-Salden im Euroraum angesprochen und auf mögliche finanzielle Risiken für Deutschland. Zunächst erklärte er noch ruhig Target2 und die Rolle der EZB-Anleihekäufe für den Anstieg. Dann aber platzte es aus ihm heraus: “Die Leute, die es begrenzen, besichern, limitieren wollen – die Wahrheit ist, dass sie den Euro nicht mögen.” “Selbstbedienungsladen”Draghis Ausbruch war der vorläufige Höhepunkt in einer sich erneut zuspitzenden Debatte über Target2 in Deutschland. Hintergrund ist der zuletzt wieder deutliche Anstieg der deutschen Target2-Forderungen, die zuletzt gar an der 1 000-Mrd.-Euro-Marke gekratzt haben, bevor sie im Juli spürbar zurückgingen, wie die Bundesbank gestern mitteilte. Zugleich waren die Verbindlichkeiten Italiens Ende Juni auf ein Rekordhoch geklettert (siehe Grafik).Die Kritiker wie allen voran Ex-Ifo-Chef Hans-Werner Sinn (“Die Target-Falle”) oder auch dessen Nachfolger Clemens Fuest schlagen Alarm. Sinn wertet die Target2-Salden als “Überziehungskredite” und sieht Deutschland als einen “Selbstbedienungsladen” für die finanzschwachen Euro-Länder, die dank Target2 weiter über ihre Verhältnisse lebten. Fuest sieht die jüngste Target2-Entwicklung als “Alarmsignal” für eine drohende neue Kapitalflucht aus Italien.Die EZB hält, unterstützt von der Bundesbank, dagegen: Die Target2-Salden seien nur Verrechnungssalden und der jüngste Anstieg seit Anfang 2015 primär eine quasi mechanische Folge der Wertpapierkäufe (Quantitative Easing, QE) des Eurosystems. Wenn etwa die italienische Zentralbank eine italienische Staatsanleihe von einer Bank mit Sitz in London erwerbe, die an das Target2-System über die Bundesbank angeschlossen ist, führe das zu einer Target2-Verbindlichkeit der Banca d’Italia und zu einer Target2-Forderung der Bundesbank. Entsprechend gehen EZB und Bundesbank davon aus, dass mit dem avisierten QE-Ende Ende 2018 und einer späteren Bilanzreduzierung auch die Target-Salden sinken.Tatsächlich spricht vieles dafür, dass die QE-Käufe zuletzt der dominierende Treiber waren – zumindest direkt. Dass sich die so geschaffene Liquidität später nicht wieder besser über den Euroraum verteilt, dürfte aber auch daran liegen, dass die Unsicherheit über die Zukunft von Ländern wie Griechenland oder Italien weiter groß ist. Der Target2-Experte Frank Westermann von der Universität Osnabrück spricht statt von einer Flucht in Sicherheit (“flight to safety”) von einem Verbleib in Sicherheit (“stay in safety”).Noch umstrittener als die Erklärung für den jüngsten Anstieg der Target2-Salden ist allerdings die Einschätzung der potenziellen finanziellen Risiken für Deutschland mit seinen hohen Forderungen. Sinn spricht von einer “gewaltigen Umschuldungsaktion unter erzwungener Beteiligung der Bundesbank” und warnt vor möglicherweise hohen Belastungen für den Bundeshaushalt. Nicht zuletzt deshalb hat das Thema längst auch den politischen Betrieb in Berlin erreicht.Aber auch da hält die EZB dagegen – wiederum mit Rückendeckung der Bundesbank. “Solange das Eurosystem unverändert fortbesteht, sind die Target2-Salden nicht risikobehaftet”, schrieb Bundesbankvorstand Johannes Beermann jüngst in einem Gastbeitrag für die “Welt”. Spekulationen über den Austritt eines Landes seien “rein hypothetisch”. “Die Bundesbank geht vom Fortbestand des Eurosystems in seiner jetzigen Form aus”, so Beermann.Tatsächlich aber haben neben führenden Euro-Politikern auch Notenbanker selbst dazu beigetragen, dass die “Irreversibilität” des Euro keineswegs mehr in Stein gemeißelt scheint – zumindest nicht für alle Länder. 2015 etwa sprach der damalige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) öffentlich über ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro (“Grexit”). Im Januar 2017 schließlich ließ EZB-Chef Draghi selbst mit Aussagen über einen möglichen Euro-Austritt aufhorchen. In einem Brief stellte er klar, dass in dem Fall alle Target2-Forderungen und -Verbindlichkeiten “vollständig ausgeglichen” werden müssten. Weitere Brisanz hat dieses Szenario durch die neue, antieuropäische Regierung in Rom erhalten. Führende Vertreter liebäugeln mit einem Euro-Austritt – und haben zugleich klargemacht, dass sie die Target2-Verbindlichkeiten dann nicht wirklich zurückzahlen wollen. Laut Experten gibt es keinen verbindlichen Rechtstext, aus dem hervorgeht, dass Target2-Verbindlichkeiten fällig gestellt werden können. Ganz zu schweigen von der Frage, ob ein Land das überhaupt leisten könnte.In ihrem Geschäftsbericht 2011 hatte die Bundesbank geschrieben, dass bei einem Euro-Austritt eines Landes die Target2-Forderungen der EZB gegenüber der nationalen Zentralbank des Landes zunächst in unveränderter Höhe fortbestünden. Wenn die ausscheidende Zentralbank ihre Verbindlichkeit trotz etwaigen Verlustausgleichs innerhalb des Eurosystems und vorhandener Sicherheiten nicht tilgen könne, “müsste für die verbliebene Differenz eine Regelung gefunden werden”, so die Bundesbank: “Erst wenn man eine Restforderung für uneinbringlich hielte, entstünde bei der EZB durch deren Abschreibung ein bilanzwirksamer Verlust.” Über einen Ausgleich entschieden dann die nationalen Zentralbanken als Kapitaleigner der EZB.In jedem Fall ist für das potenzielle Verlustrisiko der Bundesbank und Deutschlands nicht die Höhe der Target2-Forderungen der Bundesbank von aktuell rund 913,3 Mrd. Euro entscheidend. Maßgeblich ist die Verbindlichkeit des ausscheidenden Landes. Bei einer möglichen Verlustbeteiligung wäre dann der Anteil Deutschlands am EZB-Kapitalschlüssel entscheidend. Dieser liegt bei 25,6 %. Anders wäre die Situation aber bei einem kompletten Zusammenbruch der Währungsunion. Dann könnte tatsächlich der komplette Forderungsbestand schlagend werden. Der starke politische Wille für den Erhalt des Euro lässt das aber wenig wahrscheinlich erscheinen.