IM INTERVIEW: KLAUS WIENER, GESAMTVERBAND DER DEUTSCHEN VERSICHERUNGSWIRTSCHAFT

"Altersvorsorge leidet unter Zinstief"

Steuerüberschüsse zurück an die Bürger geben oder private Rentenprodukte direkt fördern

"Altersvorsorge leidet unter Zinstief"

Dreht die Politik an der gesetzlichen Rente, wirkt sich dies auf die private Altersvorsorge aus. Klaus Wiener, Chefvolkswirt des Versicherungsverbandes GDV, plädiert angesichts gut gefüllter Staatskassen und niedriger Zinsen für mehr finanziellen Spielraum für die Bürger.- Herr Wiener, das Bundeskabinett hat ein Rentenpaket beschlossen mit jetzt verbesserten Leistungen für Mütter und Erwerbsgeminderte sowie Erleichterungen für Geringverdiener. Das kostet in den nächsten Jahren viel Geld. Rentenexperten sind besorgt, dass der Bundeshaushalt dies nicht stemmen kann. Sind auch Sie besorgt?Die tatsächlichen Gesamtkosten des Pakets werden sich erst über die Zeit zeigen. Dass es mehr kostet, ist sicher. Die Frage ist, wie geht man mit dem knappen Gut zusätzlichen Geldes um? Im Moment erleben wir, dass der Staat aufgrund der guten wirtschaftlichen Entwicklung, aber auch aufgrund der extrem niedrigen Zinsen hohe Überschüsse generiert. Mit Blick auf die private Altersvorsorge könnte man den privaten Haushalten mehr finanziellen Spielraum geben, um vorzusorgen.- Wird nicht ausreichend vorgesorgt?Die stark gefallenen Zinsen erfordern höhere Sparbeiträge, um gegebene Sparziele zu erreichen. Da könnte der Staat in der sehr auskömmlichen Finanzsituation den privaten Haushalten neuen finanziellen Spielraum eröffnen, anstatt mehr Ansprüche zu schaffen. Dies könnte durch stärkere finanzielle Förderung geschehen. Auch die Senkung von Steuern wäre ein interessanter und gangbarer Weg.- Der Wirtschaftsflügel der CDU/CSU fordert eine zusätzliche Steuerentlastung von 10 Mrd. Euro? Ist dies ausreichend?Der Betrag von 10 Mrd. Euro wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Angesichts der Steuermehreinnahmen, die seit Jahren in die Tasche des Fiskus fließen, würde ich das allerdings als unambitioniert bezeichnen. Der Überschuss des öffentlichen Gesamthaushalts lag im ersten Halbjahr bei 48 Mrd. Euro. Seit einigen Jahren nimmt der Staat mehr ein, als die Steuerschätzer voraussagen. Die Steuereinnahmen sprudeln wie nie zuvor. Obwohl der Staat in den vergangenen Jahren seine Ausgaben deutlich ausgeweitet hat, gibt es Haushaltsüberschüsse. Deshalb wäre es sinnvoll, den Steuerzahlern von den zusätzlich generierten Einnahmen etwas mehr zu belassen.- Wäre es für die Versicherungsbranche attraktiver, den Bürgern mehr verfügbares Einkommen zu geben, das sie unter Umständen konsumieren, oder direkt eine stärkere Förderung der Altersvorsorge ?Ich kann mir beides gut vorstellen – ein stärkeres Fördern der privaten Altersvorsorge oder mehr Spielraum für eigene Entscheidungen. Der Königsweg liegt wohl in der Mitte.- Ist die kapitalgedeckte Vorsorge angesichts der niedrigen Zinsen noch attraktiv?In der aktuellen Situation wird sehr stark auf das Umlageverfahren geschaut. Es profitiert von einer demografischen Rendite. Die Babyboomer arbeiten alle noch. Das wird in den nächsten Jahren dramatisch umschlagen. Die private Vorsorge leidet in der Tat darunter, dass die Zinsen niedrig sind. Dies wird auf Dauer nicht so bleiben. Wir brauchen eine gute Mischung aus Umlageverfahren und aus kapitalgedeckter Altersvorsorge.- Sehen Sie Reformbedarf im Umlageverfahren nach den neuen Leistungszusagen, damit die Finanzierung gewährleistet ist? Wo müsste gedreht werden?Mögliche Stellschrauben sind Beitragshöhe, Leistungsniveau und Lebensarbeitszeit. Die doppelte Haltelinie verspricht Stabilität von Beitragsniveau und Leistungen. Wenn man diese als Grundlage nimmt, bleibt nur die längere Arbeitszeit. Dies dürfte im Lichte der vor uns liegenden Entwicklung noch einmal politisch zu bewerten sein. Im Moment hat man sich darauf verständigt, aber nichts ist in Stein gemeißelt. In fünf oder zehn Jahren kommt man vielleicht zu anderen politischen Einschätzungen.- Wie steht die Versicherungsbranche zu Überlegungen, ein standardisiertes Altersvorsorgeprodukt einzuführen? Hessens Finanzminister Thomas Schäfer (CDU) hatte die Deutschlandrente propagiert. Laut Koalitionsvertrag will die Regierung mit der Assekuranz über ein “attraktives standardisiertes Riester-Produkt” einen “Dialog anstoßen”.Wir setzen auf Anbietervielfalt und Wettbewerb. Das entspricht dem marktwirtschaftlichen Gedanken. Wie sind überzeugt, dass sich das beste Produkt im Wettbewerb herauskristallisiert. Ein standardisiertes Produkt birgt die Gefahr, dass es dem unterschiedlichen Bedarf der Menschen nicht gerecht wird. Ein Produkt, das im Wettbewerb entsteht, kann besser passen. Dies setzt voraus, dass der einzelne sich damit beschäftigt und die für ihn beste Lösung findet. Ich bin davon überzeugt, dass im Ringen um ein gutes Resultat die marktwirtschaftliche Lösung immer die bessere ist.—-Das Interview führte Angela Wefers.