Europawahl 2024Deutsche Wahlergebnisse

Ampel nach Wahlschlappe unter Beschuss

Die drei Ampel-Parteien haben bei der Europawahl ein Viertel ihrer bisherigen EU-Parlamentssitze verloren. Besonders die Grünen büßten an Wählergunst ein. Aus der Union und der AfD kamen Forderungen nach Neuwahlen. Zu den Wahlsiegern gehörte auch das Bündnis Sahra Wagenknecht, das gleich sechs Mandate errang.

Ampel nach Wahlschlappe unter Beschuss

Nach den desaströsen Ergebnissen der Ampel bei den Europawahlen hat sich die Opposition am Montag auf die Bundesregierung eingeschossen. Rufe nach Neuwahlen im Bund kamen auf. CSU-Chef Markus Söder sprach von einer „Abwahl der Ampel“ und einem klaren Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Olaf Scholz. AfD-Chefin Alice Weidel sagte, Scholz solle dem Beispiel von Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron folgen und den Weg für vorgezogene Neuwahlen frei machen. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz kritisierte, die Ampel arbeite bereits seit Monaten ohne Zustimmung der Mehrheit der Bevölkerung. Der Bundeskanzler müsse nun „Konsequenzen ziehen“.

Die Bundesregierung will allerdings von Neuwahlen – entsprechende Forderungen aus der Union waren schon am Wahlabend aufgekommen – nichts wissen. „Es hat sich zu keinem Zeitpunkt auch nur für eine Sekunde die Idee Bahn gebrochen, dass man in Deutschland jetzt Neuwahlen ansetzen könnte“, stellte Regierungssprecher Steffen Hebestreit klar.

Ein „politisches Erdbeben“

Bei der Europawahl am Sonntag hatten die drei Ampel-Parteien elf ihrer bisherigen 42 Sitze im Europäischen Parlament verloren. Die SPD, die nur noch 13,9 (2019: 15,8)% der Stimmen erhielt, muss zwei Mandate abgeben. Die Grünen, deren Ergebnis auf 11,9 (20,5)% einbrach, büßten sogar neun Mandate ein. Die FDP konnte mit recht stabilen 5,2 (5,4)% ihre fünf Sitze halten.

Nach dem vorläufigen amtlichen Ergebnis war die Union mit 30,0 (28,9)% die klare Gewinnerin der Wahl, auch wenn sie mit diesem Ergebnis noch längst nicht wieder an die Ergebnisse der Europawahlen bis 2014 anknüpfen konnten. Zu den Wahlsiegern gehörte auch die AfD, die ihren Stimmenanteil trotz der jüngsten Skandale auf 15,9 (11,0)% ausbauen und damit vier zusätzliche Sitze im nächsten EU-Parlament erringen konnte. CDU-Chef Merz analysierte am Montag, die AfD profitiere am stärksten von der Politik der Ampel in Berlin. Die AfD konnte bei den jungen Wählern (16 bis 24 Jahre) stark gewinnen. Die Partei schaffte es zudem, in nahezu allen ostdeutschen Wahlbezirken zur stärksten Partei zu werden – mit Zustimmungswerten von bis zu 40%.

Parteihochburgen: Partei mit höchstem Stimmenanteil in den Kreisen und kreisfreien Städten (picture alliance/dpa/dpa Grafik | dpa-infografik GmbH, Grafik: J. Reschke, Redaktion: J. Schneider)

Für das Centrum für Europäische Politik (CEP) ist das deutsche Ergebnis bei der Europawahl zwar nicht überraschend, gleicht in seiner Deutlichkeit aber „einem politischen Erdbeben“. Auch die Freiburger Denkfabrik begründet den Ausgang der Wahl im Wesentlichen mit der Unzufriedenheit der Menschen mit der heimischen Politik, befürchtet dennoch, dass es auch heftige Auswirkungen auf Europa haben könnte. „In Reaktion auf das Ergebnis könnte die deutsche Politik zukünftig noch stärker nach innen ausgerichtet und noch weniger europäisch abgestimmt sein als bislang ohnehin schon“, heißt es in der CEP-Analyse.

Führende Ampel-Politiker hielten sich am Montag zu konkreten Erkenntnissen aus der Wahl eher bedeckt. Kanzler Scholz trat nicht vor die Presse. Der SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert sagte, die SPD habe mit Frieden und Gerechtigkeit auf die richtigen Themen gesetzt, sei damit aber nicht durchgedrungen. FDP-Chef Christian Lindner sprach sogar von einer Stärkung seiner Partei.

Wahlsieger: CDU-Chef Friedrich Merz und Ursula von der Leyen, Spitzenkandidatin der CDU sowie Präsidentin der Europäischen Kommission. (Foto: picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow)

Zweifel an der Ampel und Kanzler Scholz wollte er nicht aufkommen lassen: „Wir haben ein gemeinsames Regierungsprogramm, einen Koalitionsvertrag, an dem wir gemeinsam arbeiten. Und solange sich alle zu der Arbeitsgrundlage bekennen, gibt es ja keinen Grund, Vertrauen infrage zu stellen“, sagte er. Ähnlich äußerte sich auch der Grünen-Co-Vorsitzende Omid Nouripour: „Es braucht keine Vertrauensfrage.“

Fokus auf den Haushalt 2025

Die nächste Bewährungsprobe für die drei Ampel-Parteien steht allerdings unmittelbar bevor: Regierungssprecher Hebestreit bekräftigte, dass es bis zum 3. Juli eine Einigung auf den Haushalt 2025 geben soll und dieser an dem Tag im Kabinett verabschiedet werde. Kühnert stellte aber bereits klar: Einen Sparhaushalt auf Kosten des sozialen Zusammenhaltes werde es mit der SPD nicht geben. Lindner pochte dagegen erneut auf das Einhalten der Schuldenbremse sowie den Verzicht auf Steuererhöhungen.

Zu den Wahlsiegern der Europawahl gehörte auch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), das nur wenige Monate nach seiner Gründung aus dem Stand 6,2% der Stimmen gewann und damit gleich sechs Abgeordnete ins neue EU-Parlament entsenden kann. Parteigründerin und Namensgeberin Wagenknecht kündigte am Montag in Berlin ehrgeizige Ziele für die in diesem und im nächsten Jahr noch anstehenden Wahlen an.

Sahra Wagenknecht will bei künftigen Wahlen noch mehr

Bei den Landtagswahlen im Herbst in Ostdeutschland solle es jeweils zweistellige Ergebnisse geben, sagte die frühere Linken-Politikerin. Dabei wolle das BSW keine Koalition eingehen, die für ein Weiterso stünde, stellte sie klar. Nach der nächsten Bundestagswahl wolle ihre Partei auch hier Fraktionsstärke erreichen. Auch Wagenknecht würde die Ampel-Regierung in Berlin lieber heute als morgen beendet sehen.

Da es bei der Europawahl – vermutlich zum vorerst letzten Mal – keine Sperrklausel gab, erhielten auch acht Parteien insgesamt 15 Mandate, die weniger als 5% der Stimmen erhielten. Je drei Abgeordnete schicken künftig die Linken, die Freien Wähler und Volt nach Brüssel und Straßburg. Die europafreundliche Volt-Partei übersprang in einigen größeren Städten sogar die 5%-Hürde und gehörte insbesondere bei den 16- bis 24-Jährigen mit einem Anteil von 9% zu den beliebtesten Parteien.

Die Satirepartei „Die Partei“ (2 Mandate), die Tierschutzpartei (1), die ÖDP (1) und die Familienpartei (1) konnten ihre bisherigen Sitze im EU-Parlament verteidigen. Neu dabei ist jetzt auch die Partei des Fortschritts mit einem Abgeordneten. Der PdF reichten knapp 228.000 Stimmen beziehungsweise ein Anteil von 0,6% für ein Mandat aus. Dafür verlor die Piraten-Partei mit 0,5% ihren bisherigen Sitz im Parlament.

Hohe Wahlbeteiligung

Die Wahlbeteiligung stieg weiter an und erreichte 64,8 (2019: 61,4)%. Lediglich bei der ersten direkten Wahl zum Europäischen Parlament 1979 war die Beteiligung in Deutschland mit 65,7% noch etwas höher gewesen. Zwischen 1999 und 2014 war das Interesse besonders gering gewesen. In der Zeit hatte die Beteiligung an den Europawahlen regelmäßig unter der 50%-Marke gelegen.

Ampel nach Wahlschlappe unter Beschuss

Bundesregierung will von Neuwahlen nichts wissen – AfD im Osten deutlich stärkste Kraft – Wagenknechts erster Coup – 15 Mandate für Kleinparteien

ahe Berlin

Die drei Ampel-Parteien haben bei der Europawahl ein Viertel ihrer bisherigen EU-Parlamentssitze verloren. Besonders die Grünen büßten an Wählergunst ein. Aus der Union und der AfD kamen Forderungen nach Neuwahlen. Zu den Wahlsiegern gehörte auch das Bündnis Sahra Wagenknecht, das gleich sechs Mandate errang.

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