Compliance

Anlagerichtlinien für EZB-Notenbanker erweitern

Compliance-Vorfälle bei hochrangigen Fed-Mitgliedern werfen Fragen auf. Auch beim bevorstehenden „Tapering“ der Anleihekäufe sind Interessenkonflikte möglich. Striktere Regeln würden Vertrauen in die EZB fördern.

Anlagerichtlinien für EZB-Notenbanker erweitern

Vier Mitglieder der amerikanischen Notenbank Federal Reserve (Fed), darunter Präsident Jerome Powell und Vizepräsident Richard Clarida, sind wegen fragwürdiger Finanztransaktionen im Umfeld wichtiger geldpolitischer Entscheidungen während der Pandemie 2020 ins Schlaglicht der Kritik gerückt. Zwar verstießen sie offensichtlich nicht gegen geltende Ethik-Regeln. Dennoch gaben sie Anlass, die Anlagerichtlinien für Mitglieder des Gouverneursrats, die Präsidenten der regionalen Zentralbanken und eine unspezifische Gruppe leitender Angestellte umfassend zu überarbeiten. Zukünftig ist diesen Personen der Kauf einzelner Aktien, Anleihen oder Derivate untersagt. Damit wird ihr Anlagespektrum auf Fonds und weitere, breit anlegende Anlageformen beschränkt. Außerdem sind beabsichtigte Transaktionen generell 45 Tage im Voraus zwecks Genehmigung anzukündigen. Dabei ist eine Mindesthaltedauer von einem Jahr einzuhalten. In Zeiten erhöhter Finanzmarktanspannungen soll ihnen der Handel grundsätzlich nicht erlaubt sein. In Zukunft müssen auch die Präsidenten der regionalen Fed-Filialen ihre Finanztransaktionen innerhalb von 30 Tagen offenlegen, wie es bislang nur für die Mitglieder des Gouverneursrats und leitende Angestellte galt. Diese präventiven Maßnahmen sollen das Ausnutzen von Informationsvorteilen aufgrund ihres Amtes weitgehend unmöglich machen, Transparenz schaffen und damit vertrauensfördernd wirken.

Regeln bei der Fed strenger

Die Compliance-Regeln für Investments von EZB-Ratsmitgliedern sind in vielen Bereichen erheblich weicher gefasst. So umfassen die Selbstangaben zu den Vermögensverhältnissen im Rahmen der sog. Interessenerklärungen lediglich die Art der Investments (ggf. mit Wertpapierkennnummer), die an einem bestimmten Zeitpunkt zum Ende eines jeden Jahres gehalten werden. Diese sind dem Ethikausschuss zur Prüfung vorzulegen und werden veröffentlicht. Demgegenüber werden im Jahresbericht des U.S. Office of Government Ethics jährlich stich-tagsbezogen alle Vermögensanlagen mit ihrem Anlagewert (Angaben in Intervallen) und den daraus geflossenen Einkommen erfasst. So ist Fed-Präsident Powell seit längerer Zeit in Kommunalobligationen in Höhe von 1,165 bis zu 5,4 Mill. Dollar engagiert. Indem die Fed am 9. April 2020 beschloss, erstmalig kurzlaufende Kommunalanleihen bis zu einer halben Bill. Dollar anzukaufen, profitierte er durch Kursanstiege.

Zusätzlich werden alle im Jahresverlauf vorgenommenen Käufe und Verkäufe wertmäßig (in Intervallen) und datumsgenau aufgeführt. Letztere Informationen sind wichtig, um etwaige zeitliche Zusammenhänge der Transaktionen mit geldpolitischen und marktrelevanten Entscheidungen der Zentralbanker nachvollziehen zu können. Insiderwissen über marktsensible Informationen, die im Fall der Veröffentlichung geeignet sind, die Preise von Vermögenswerten oder die Preise an den Finanzmärkten erheblich zu beeinflussen, könnten in diesem Fall zu privaten Vorteilen ausgenutzt werden. So verkaufte Powell am 1. Oktober 2020 Aktien im Wert von 1 bis 5 Mill. Dollar seines Vanguard Total Stock Market Index Fund – rechtzeitig vor dem Kursrückgang etwa des Dow Jones um 6% im Oktober. An diesem Tag stand er gemäß Sitzungsprotokollen viermal mit Finanzminister Steven Mnuchin in Kontakt. Möglicherweise ging es dabei auch um die ablehnende Haltung der Trump-Regierung zu einem neuen Konjunkturpaket.

Als Soll-Vorgabe des freiwilligen Verhaltensleitfadens hätte ein Verkauf lediglich nicht zwischen dem 5. und 16. September vorgenommen werden dürfen (Blackout-Periode). Zwar erfolgte das Geschäft nach der Sitzung des Offenmarktausschusses am 15. und 16. September, jedoch bevor das Protokoll dieser Sitzung am 7. Oktober veröffentlicht wurde. Ebenjenes Protokoll benannte mehrere Abwärtsrisiken als mögliche Bedrohung für die wirtschaftliche Erholung. Zudem warnte Powell in einer Rede am 6. Oktober, also nach seinem Aktienverkauf, dass ein Ausbleiben von konjunkturellen Hilfen „tragische“ wirtschaftliche Folgen haben könnte.

Ein zweiter Fall betrifft Portfolio-Restrukturierungen des Fed-Vizepräsidenten Richard Clarida, der am 27. Februar 2020, einen Tag bevor Powell mögliche Interventionen der Fed signalisierte, eine Umschichtung von Anleihefonds in Aktienfonds/ETFs im Umfang von 1 bis 5 Mill. Dollar vornahm – nach eigenen Angaben langfristig geplant. Zwar fiel der Dow Jones weiterhin, doch wurde das Kaufniveau bereits Mitte Mai wieder erreicht, ehe die Kurse wieder stiegen. Es war also eine profitable Entscheidung.

Nur durch verlaufsbezogene Datumsangaben konnten diese zumindest hinterfragenswürdigen Transaktionen erkannt werden. Da diese Angaben öffentlich zugänglich sind, waren es vornehmlich das „Wall Street Journal“ und die Nachrichtenagentur Bloomberg, die die Diskussion hierüber in Gang brachten. Bei der EZB würden solche Transaktionen hingegen nicht öffentlich auffallen. Entsprechend den nur rudimentären Angaben, die von EZB-Ratsmitgliedern gefordert werden, wäre es hier theoretisch denkbar gewesen, dass ein Mitglied kurz vor Beschluss des Pandemie-Notfallankaufprogramms PEPP am 24. März 2020 Einzelaktien oder einen Aktienfonds auf den Dax erworben hat. Dieser stand am 18. März mit 8441 Punkten auf einem Tiefpunkt. Bereits ein knappes halbes Jahr später wurden die 13000 Punkte überwunden. Ein Verkauf hätte einen erheblichen (Insider-)Gewinn ermöglicht, ohne dass dies in der Selbstauskunft am Jahresende zutage getreten wäre.

Die Compliance-Regeln der EZB sind zentral im „Ethik-Rahmen“ (2020) und im „Verhaltenskodex für hochrangige Funktionsträger“ (2019) abgelegt. Darüber hinaus gibt es zusätzliche Vorgaben durch die nationalen Notenbanken. Verboten sind nur Anlagen in Aktien, Anleihen und hieraus abgeleitete Investments von finanziellen Kapitalgesellschaften (Banken und Versicherungen) mit Geschäftsort in der EU. Kurzfristige Transaktionen mit An- und Verkäufen des gleichen Wertpapiers im Vormonat sind zu genehmigen. Allerdings kann diese Beschränkung durch eine Stop-Loss-Order umgangen werden. Genehmigungspflichtig sind auch Geschäfte mit Staatsanleihen von Euro-Mitgliedstaaten.

Nicht erfasst werden bislang die neuerdings im Rahmen des EU-Wiederaufbaufonds NGEU und der Arbeitsmarkthilfe Sure von der EU emittierten Anleihen. Genehmigungsfrei sind alle weiteren Fonds. Darüber sind die gesamten Beschränkungen aufgehoben, wenn einer Vermögensverwaltung eine vollständige Verfügungsvollmacht erteilt wird. Generell sind private Finanzgeschäfte von mehr als 10000 Euro in einem Kalendermonat innerhalb von 30 Kalendertagen der Stabsstelle für Compliance und Governance anzuzeigen.

Zusätzliche Vorgaben

Um auch nur den Anschein von persönlichen Insidervorteilen und interessengeleiteten geldpolitischen Entscheidungen zu vermeiden, sollte die EZB Ihre Compliance-Vorgaben erweitern. Neben wertmäßigen Bestandsauskünften sind insbesondere Angaben zu den jährlichen Transaktionen nach Art, Wert und Datum zu ergänzen. Sperrfristen, wie sie die Bundesbank für einen Zeitraum von 7 Tagen vor und am Sitzungstag des EZB-Rates angibt, wären sinnvoll. Auch sollte der Ethik-Ausschuss den Handel in Zeiten von Kapitalmarktanspannungen und in der Erwartung von besonderen Beschlüssen, wie das anstehende „Tapering“ der Anleihekäufe, über eine längere Zeitspanne ganz verbieten können.

Vertrauen ist geldpolitisch ein sehr knappes Gut, wie der deutsche Soziologe Georg Simmel vor über hundert Jahren festhielt: „Geld ist die vielleicht konzentrierteste und zugespitzteste Form und Äußerung des Vertrauens in die gesellschaftlich-staatliche Ordnung.“ Das weiß auch die EZB-Präsidentin Lagarde, da sie die ethischen Standards als Grundlage für die Glaubwürdigkeit der EZB ausgemacht hat. Da der EZB-Rat seine Leitlinie zum Ethik-Rahmen mindestens alle drei Jahre zu überprüfen hat, sollte er diese Gelegenheit zur entsprechenden Anpassung nutzen.

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