Anleiheverkauf à la Nordkorea

Von Martin Fritz, Tokio Börsen-Zeitung, 3.6.2020 Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Geschäftsmann in Nordkorea. Mit Beziehungen und Bestechungen haben Sie sich Zugang zu Waren verschafft, für die andere Nordkoreaner sogar mit Devisen - Dollar oder...

Anleiheverkauf à la Nordkorea

Von Martin Fritz, Tokio Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Geschäftsmann in Nordkorea. Mit Beziehungen und Bestechungen haben Sie sich Zugang zu Waren verschafft, für die andere Nordkoreaner sogar mit Devisen – Dollar oder Yuan – bezahlen. Oder Sie leiten ein auf dem Papier staatliches Unternehmen und stellen in (erlaubter) Eigenregie Produkte her, die auf privaten Märkten stark nachgefragt werden. In beiden Fällen kommen Sie zu sehr viel (verstecktem) Geld. Doch nun hören Sie von Ihrer totalitären Regierung, Sie müssten eine staatliche Dollar-Anleihe zeichnen, um weiter Rohstoffe und Waren einkaufen zu können. Wie reagieren Sie?Als “guter” Nordkoreaner machen Sie angesichts des totalen staatlichen Machtanspruchs gute Miene zum bösen Spiel und kaufen das Papier. Schließlich ist es nicht das erste Mal, dass der aktuelle Kim-Herrscher, gerade heißt er Kim Jong-un, den Bürgern ihre Devisen abnimmt. Diesmal erhalten sie zumindest einen Schuldschein.Oder Sie schätzen die Lage falsch ein. Wie der Geschäftsmann Lee, der sich laut dem südkoreanischen Webportal “Daily North Korea” weigerte, die Anleihe zu zeichnen. Herr Lee kontrollierte einige Bergbaugruben und kritisierte, dass der Staat ihn bei seinen Geschäften gar nicht unterstützt habe. Warum sollte er ihm nun aushelfen? Einige Tage später verhaftete ihn der Staatssicherheitsdienst und statuierte an ihm ein Exempel. Ohne jedes Verfahren starb Herr Lee vor den Augen anderer Privatunternehmer bei einer Exekution, seine Gruben und Lastwagen wurden konfisziert.Nun verstehen Sie vielleicht, wie die nordkoreanische Diktatur ihre erste Staatsanleihe seit 17 Jahren an ihre vermögenden Bürger, die “donju”, verkauft. Wer auf Erpressung setzt, braucht natürlich kein unabhängiges Rating, vermutlich erfahren die Zeichner weder das Volumen, die Laufzeit noch den Zinssatz. Dieser Wahnsinn hat Methode: Die Höhe des Staatshaushaltes veröffentlicht das nordkoreanische Regime seit 1981 nicht mehr, nur prozentuale Veränderungen. Konjunkturdaten hält man seit 1965 geheim. Nordkorea wird extra nicht Mitglied von internationalen Finanzorganisationen wie der Weltbank, damit es keine ökonomischen Daten veröffentlichen muss.Bis zu 60 % des diesjährigen Staatshaushaltes werden mit der Anleihe laut “Daily NK” finanziert. Das heißt im Klartext: Diktator Kim Jong-un braucht dringend Geld und nutzt dafür die Kommandowirtschaft. Die UN-Sanktionen und die Corona-Pandemie haben seine traditionellen Devisenquellen über den illegalen Außenhandel trockengelegt. Die “königliche Wirtschaft”, so der Ausdruck eines hochrangigen Flüchtlings, läuft anscheinend auch nicht gut: Im “Raum 39” werden illegale Aktionen wie Drogenverkäufe, Cyberangriffe auf Notenbanken und Bitcoin-Diebeszüge ausgeheckt. Geschenke erhalten die MachtHerrscher Kim Jong-un (ver)braucht jedenfalls unvorstellbar viele Devisen. So muss er die Nomenklatura seiner Arbeiterpartei sowie die zahlreichen Armeegeneräle als die Hauptpfeiler seiner Macht mit teuren Geschenken wie Computern, Smartphones und Spielekonsolen bei Laune halten. Auch das heimlich weiter vorangetriebene Atom- und Raketenprogramm verschlingt Unsummen, nach US-Schätzungen 600 Mill. Dollar im Jahr. Dazu kommen teure Prestigeprojekte wie Wohnhochhäuser für Wissenschaftler und Touristenresorts. Und da sind die Kosten für den Kim-Kult: Im superharten Winter werden Hunderte Treibhäuser mit kostbarem Brennstoff geheizt, damit die Staatsmedien im Februar das Aufblühen der Kimjongilia-Begonien feiern können. Für all diesen ökonomischen Unsinn müssen nun die Neureichen blechen.——Wer Schuldpapiere per Erpressung verkauft, braucht weder Rating noch Zinsen.——