ARBEITSMARKT

Anspruch und Wirklichkeit

Kein Rekord scheint derzeit am deutschen Arbeitsmarkt lange Bestand zu haben: Monatlich berichtet die Bundesagentur für Arbeit über rekordniedrige Arbeitslosenzahlen sowie rekordhohe Beschäftigung und Arbeitskräftenachfrage. Doch die Lage könnte...

Anspruch und Wirklichkeit

Kein Rekord scheint derzeit am deutschen Arbeitsmarkt lange Bestand zu haben: Monatlich berichtet die Bundesagentur für Arbeit über rekordniedrige Arbeitslosenzahlen sowie rekordhohe Beschäftigung und Arbeitskräftenachfrage. Doch die Lage könnte sogar noch besser sein, denn im ersten Quartal gab es bundesweit 1 190 000 offene Stellen – wen wundert es, auch dies ein neuer Rekord.Wurden lange Zeit diejenigen mit einem Augenrollen bedacht, die vom Fachkräftemangel sprachen, lässt sich nun mit Blick auf die neueste Stellenerhebung nicht mehr leugnen, dass es in einzelnen Berufsfeldern Engpässe gibt. Gesucht werden Bewerber von Betrieben aller Größenklassen. Die stärkste Arbeitskräftenachfrage kommt aus dem Bereich der unternehmensnahen und sonstigen Dienstleistungen und der Industrie. Und ungeachtet der Klage, zu viele Abiturienten würden studieren, steigt der Bedarf an Akademikern – aber auch der an ungelernten Kräften.Warum aber sind nun diese Stellen unbesetzt? Gründe dafür lassen sich viele finden, mit einiger Anstrengung aller Beteiligten aber auch mögliche Lösungsansätze. So klagen Lehrlinge, dass nicht immer der Traumberuf gelernt werden kann oder die Lehrstellen zu schlecht bezahlt sind, wenn es dafür raus aus dem “Hotel Mama” gehen muss. Und Arbeitnehmer stöhnen, dass die Kinderbetreuung nicht zu den Arbeitszeiten passt, überhaupt die (Kern-)Arbeitszeiten zu unflexibel sind, die Teilzeitstelle partout nicht zur Vollzeitstelle werden soll, Sabbatical oder Pflegeauszeit nicht finanzierbar und Homeoffice oder Jobsharingmöglichkeiten zu rar sind. Doch alle (potenziell) Beschäftigten sollten sich mit Blick auf ihre Rente genau überlegen, wo sie ihre roten Linien ziehen und ob ihre Ansprüche nicht vielleicht doch zu hoch sind.Unternehmen wiederum meckern, dass Qualifikation und Stellenprofil oft nicht übereinstimmen, Schulabgänger nicht ausbildungsreif sind und die Mobilität der Arbeitnehmer zu gering ist. Aber auch die Arbeitgeber müssen ihre Anforderungsprofile überdenken – die Zeiten sind vorbei, als in Stellenannoncen unverfroren die Eier legende Wollmilchsau gesucht werden konnte. Zudem schadet es nicht, die gebotenen Konditionen nachzujustieren. Die Tarifpartner tun gut daran, bei künftigen Verhandlungsrunden nicht nur schon beschäftigte Arbeitnehmer im Blick zu haben, sondern auch den potenziellen Nachwuchs.Aber auch die Politiker sind gefordert: Statt Klientelpolitik zu betreiben und großzügig Wahlgeschenke auf Kosten späterer Generationen zu verteilen, sollten sie Aus-, Fort- und Weiterbildung fördern – vor allem in Zeiten der zunehmenden Digitalisierung ein absolutes Muss.