Appell für nachhaltige Finanzpolitik

Frühjahrsgutachten zeigt höhere BIP-Prognose - "Luft wird dünner" - EZB-Zinswende erst Ende 2019

Appell für nachhaltige Finanzpolitik

Die für die Gemeinschaftsdiagnose vereinten Wirtschaftsforschungsinstitute mahnen die schwarz-rote Koalition, die prozyklisch ausgeweiteten Staatsausgaben zu bremsen und stattdessen eine nachhaltige Finanzpolitik zu betreiben – auch wenn die Finanzüberschüsse anhalten werden und Spielräume geben.ge Berlin – Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute hierzulande mahnen die große Koalition zu einer nachhaltigeren Finanzpolitik und einer Mäßigung bei den Staatsausgaben. “Eine Finanzpolitik nach kurzfristiger Kassenlage sollte vermieden werden”, heißt es im gestern veröffentlichten Frühjahrsgutachten für die Bundesregierung. “Gerade wenn Kassen voll sind, sollte die Finanzpolitik die Konsequenzen für die gesamtwirtschaftliche Stabilität und die Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen im Blick haben”, betonte Timo Wollmershäuser, Leiter der Konjunkturforschung des federführenden Ifo-Instituts: “Die im Koalitionsvertrag vereinbarten Leistungsausweitungen und Leistungsversprechen in der gesetzlichen Rentenversicherung laufen dem Nachhaltigkeitsgedanken zuwider.”Trotz der Abgabenentlastungen und Ausgabensteigerungen der neuen schwarz-roten Bundesregierung dürfte der Finanzierungsüberschuss des Staates dank des anhaltenden Booms nahezu stabil bleiben. Grundlage dafür sind leicht angehobene Konjunkturprognosen.Demnach sollte das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) im laufenden Jahr um 2,2 % zulegen statt der noch im Herbst erwarteten 2,0 %. Für 2019 wird die Prognose von 1,8 auf 2,0 % hochgesetzt. “Der Boom, in dem sich die deutsche Wirtschaft befindet, hält an”, sagte Wollmershäuser. “Allerdings wird die Luft dünner”, da die noch verfügbaren gesamtwirtschaftlichen Kapazitäten knapper würden, weshalb die Konjunktur etwas an Schwung verliere. Gleichwohl gehen die Gutachter davon aus, dass die staatlichen Einnahmen dank der guten Konjunktur 2018 und 2019 um je 3,5 % zulegen. Anleihekäufe nur noch 2018Trotz der brummenden Konjunktur, die auch mittelfristig bis zum Jahr 2022 mit einem nominalen jährlichen BIP-Wachstum von 3,3 % kaum unter dem Wert der vergangenen fünf Jahre (bei allerdings geringeren Inflationsraten) liegen sollte, erwarten die Forscher, dass die Zinswende noch bis Ende des Jahrzehnts auf sich warten lässt. “Zwar wird die Europäische Zentralbank (EZB) ihr Anleihekaufprogramm in diesem Jahr beenden, die Leitzinsen werden aber wohl erst gegen Ende des kommenden Jahres angehoben”, heißt es in der Gemeinschaftsdiagnose weiter. Getragen wird der anhaltende Aufschwung von weiter flotten Exporten dank einer guten Weltkonjunktur und einer durch die hohe Beschäftigung schwungvollen Binnenwirtschaft. Zusätzlich dürfte die neue Regierung mit ihren vereinbarten Ausgabenausweitungen (u. a. bei Investitionen) und Abgabenentlastungen die Nachfrage stimulieren. Diesen Impuls in einer Zeit, in der die hiesige Wirtschaft ohnehin hoch ausgelastet ist und gemäß aktueller Schätzung “über Potenzial” produziere, sehen die Forscher skeptisch und appellieren an die Politik, die Konsequenzen für die gesamtwirtschaftliche Stabilität im Blick zu behalten. Gleichzeitig mahnen sie die Koalition, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Dazu gehörten das Ausweiten der Erwerbsbeteiligung durch eine verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Integration von Langzeitarbeitslosen und die Verbesserung der Anreize zur Teilnahme am Arbeitsleben durch eine Senkung der Abgabenlast.Beteiligt an der Gemeinschaftsdiagnose sind das Münchner Ifo-Institut, das Berliner DIW, RWI in Essen, das Kieler IfW und das IWH Halle.