Auf in den "Monat der Wahrheit"

Trügerische Erholung in den großen Euro-Ländern - Aussichten eingetrübt - Arbeitslosenquote stagniert

Auf in den "Monat der Wahrheit"

Die Wirtschaft im Euroraum und in dessen größter Volkswirtschaft hat sich im dritten Quartal kräftig erholt. Die konjunkturellen Aussichten haben sich allerdings längst wieder eingetrübt, und Teil-Lockdowns in sämtlichen Ländern wegen der rasant steigenden Infektionszahlen werden für Bremsspuren sorgen.Von Alexandra Baude, FrankfurtNach dem heftigen Einbruch infolge der ersten Corona-Infektionswelle haben sich die größten Volkswirtschaften der Eurozone und damit die Wirtschaft im gemeinsamen Währungsgebiet insgesamt über den Sommer kräftig erholt – und dies zumeist deutlicher als von Ökonomen erwartet. Allerdings mahnen sie vor allzu großer Euphorie: Die erneuten Lockdowns infolge der rasant steigenden Neuinfektionszahlen werden deutliche Spuren hinterlassen und treffen teils auf eine ohnehin geschwächte Wirtschaft. Auch die jüngsten Konjunkturindikatoren zeigen deutlich, dass das Rekordtempo aus dem dritten Quartal nicht gehalten werden kann. Dass die Wirtschaft des Euroraums – aber auch von dessen größten Volkswirtschaften – im Schlussabschnitt des laufenden Jahres erneut schrumpft, ist ein immer wahrscheinlicher werdendes Szenario, und die Aussichten für Anfang 2021 trüben sich ebenfalls ein.”Wir stehen aktuell an einem Scheideweg”, sagte denn auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) am Freitag bei der Vorstellung der Herbstprognose der Bundesregierung. Die zweite Welle müsse gebrochen werden, weshalb die Regierung zusammen mit den Bundesländern diese Woche neuerliche Beschränkungen des öffentlichen Lebens beschlossen habe, erklärte Altmaier. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) sieht mit dem anstehenden Teil-Lockdown im November den “Monat der Wahrheit” auf Deutschland zukommen: “Wir werden alles tun, um die Infektionsdynamik zu brechen, um Leben zu schützen und unsere Wirtschaft.” Sämtliche Prognosen sind derzeit wegen der Unsicherheit über den Verlauf des Infektionsgeschehens, etwaiger weiterer Schutzmaßnahmen, des immer wahrscheinlicher werdenden No-Deal-Brexit und der Folgen der bevorstehenden US-Präsidentschaftswahl mit einem großen Fragezeichen versehen. “Polster und Puffer”Aktuell erwartet die Bundesregierung für das laufende Jahr ein Schrumpfen des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 5,5 %. Die Aufwärtsrevision – zuvor stand in der Prognose ein Minus von 5,8 % – beruht auf dem mit + 8,2 % im Quartalsvergleich besser als erwartet ausgefallenem dritten Quartal, betonte Altmaier. Für das kommende Jahr sagte Altmaier ein BIP-Plus von 4,4 % und für 2022 dann von 2,5 % voraus. Diese Werte bilden die Grundlage für die anstehende Steuerschätzung, die vom 10. bis 12. November läuft.Als “Polster und Puffer” bezeichnete Altmaier das Ergebnis des dritten Quartals, das den erwarteten Wertschöpfungsverlust durch den Teil-Lockdown im November mehr als ausgleiche. Diesen bezifferte der Wirtschaftsminister auf 8 Mrd. Euro. Für das vierte Quartal hatte die Bundesregierung bislang ein BIP-Plus von 1,1 % auf dem Zettel, hat diese Prognose aber auf + 0,4 % nach unten geschraubt. Ökonomen geben sich für das kommende Quartal nicht mehr ganz so zuversichtlich: “Für mich wäre es ein Erfolg, wenn wir einen erneuten größeren Rückgang des BIP im Winterhalbjahr verhindern können, im günstigsten Fall flacht das Wirtschaftswachstum nur deutlich ab”, sagte etwa KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib. Dabei setzt sie darauf, “dass die Erholung in der Industrie stark genug bleibt, um die unvermeidlichen Rückschläge im Dienstleistungssektor auszugleichen”.Im Gegensatz zum Frühjahr bleiben weite Teile der Wirtschaft offen, wodurch der Rückschlag “klar geringer” ausfallen werde als im zweiten Quartal, erwartet Jörg Zeuner, Chefvolkswirt von Union Investment. Die direkt betroffenen Branchen stünden nur für rund 3 % der Wertschöpfung. Investitionen und Konsumfreude – zwei Posten, die laut Destatis neben stark gestiegenen Exporten im dritten Quartal für positive Impulse sorgten – würden vorerst weiter unter Druck stehen, solange der Erfolg der diesen Montag in Kraft tretenden Maßnahmen nicht klar sei.”Wie gewonnen, so zerronnen”, fasste Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank, das steigende Risiko einer neuerlichen Rezession zusammen. Resultiere zum Jahresauftakt die nach Scholz` Worten feststehende Rückkehr zum regulären Mehrwertsteuersatz in einem geringeren privaten Konsum, sei auch im ersten Quartal 2021 ein negatives Vorzeichen beim BIP nicht auszuschließen – und damit die technische Definition einer Rezession erfüllt. Ein Hoffnungsschimmer für ihn bleibe derweil die deutsche Innovationskraft.Auch im Euroraum insgesamt hat die Wirtschaft im dritten Quartal ordentlich zugelegt: Im gemeinsamen Währungsraum waren es laut Eurostat 12,7 % im Quartalsvergleich. Die nationalen Statistikämter meldeten für Frankreich (+ 18,2 %), Italien (+ 16,1 %) und Spanien (+ 16,7 %) deutlich zweistellige Zuwachsraten (siehe Grafik). In diesen Ländern war das BIP im Frühjahr allerdings erheblich stärker eingebrochen als hierzulande. Gerade in den südlichen Ländern droht das Virus außer Kontrolle zu geraten, wie Gitzel mahnt. Zudem sei weiter mit einem fortgesetzten Beschäftigungsabbau zu rechnen, warnt Alexander Krüger, Chefvolkswirt vom Bankhaus Lampe. Im September stagnierte laut Eurostat die Arbeitslosenquote im Euroraum bei 8,3 %, 13,6 Millionen Menschen waren arbeitslos gemeldet. Im Juni lag die Quote noch bei 7,9 %, im Juli bei 8,1 %. Damit ist zumindest der steigende Trend vorläufig gestoppt. Bei der Jugendarbeitslosigkeit hingegen ist die Arbeitslosenquote von 18,3 % im August auf 17,6 % zurückgegangen.