LEITARTIKEL

Auf Schrumpfkurs

Morgen ist es so weit. Am Samstag ist es auf den Tag ein Jahr her, dass der Immobilienunternehmer und Reality-TV-Star Donald Trump als 45. Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt wurde. Man reibt sich müde und verwundert die Augen. Das soll...

Auf Schrumpfkurs

Morgen ist es so weit. Am Samstag ist es auf den Tag ein Jahr her, dass der Immobilienunternehmer und Reality-TV-Star Donald Trump als 45. Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt wurde. Man reibt sich müde und verwundert die Augen. Das soll tatsächlich nur ein Jahr gewesen sein? Doch der Kalender lässt keine Zweifel zu. Am 20. Januar 2017 wurde Trump in Washington vor der bisher größten Menschenmenge angelobt, die je einer solchen Zeremonie beigewohnt hat. So weit die Tatsachen und die “alternativen Fakten”.Zwölf Monate nach der Vereidigung wird in der Hauptstadt gerade darüber gestritten, ob der US-Präsident die Heimat von Migranten bei einem Treffen mit Kongressabgeordneten wirklich als “Dreckslöcher” oder doch eher als “Dreckshütten” bezeichnet hat. Trumps ehemaliger Chefberater, Steve Bannon, soll Sonderermittler Robert Mueller gerade die Kooperation in den Ermittlungen zu möglichen Verstrickungen von Trumps Wahlkampfteam in die von Russland versuchte Einflussnahme auf die Präsidentschaftswahl zugesagt haben. Derweil endet heute um Mitternacht die Frist für eine Erhöhung der Ausgabenobergrenze für den US-Bundeshaushalt, mit der ein drohender Stillstand staatlicher Behörden noch verhindert werden könnte. Dazu sind ein Kompromiss im Kongress und die Unterschrift des Präsidenten notwendig, die in den vergangenen Tagen in greifbarer Nähe schienen, bevor Trump wieder ausscherte.Es ist mit anderen Worten eine ganz normale Woche in der Präsidentschaft von Donald Trump. Dazu gehört auch, dass man den vor wenigen Tagen erschienenen Insiderbericht über das Weiße Haus mit dem Titel “Feuer und Zorn” schon fast wieder vergessen hat. Wird Trump in dem Buch des Journalisten Michael Wolff unter anderem die kognitive Eignung für das höchste Amt im Staat abgesprochen, übertönen Kritiker des Präsidenten seit den kolportierten Äußerungen über “Dreckslöcher” (oder doch “Dreckshütten”?) Wolffs Diagnose mit dem Vorwurf, dass Trump ein Rassist sei. In US-Medien wird zum wiederholten Mal genüsslich die Geschichte eines US-Pornostars ausgerollt, für dessen Stillschweigen über kolportierte Begegnungen mit Trump Geld geflossen sein soll. Make America Great Again.Ob Trump die tägliche Lawine der Entrüstung über sein Amtsverständnis aus Kalkül lostritt oder nur, weil er nicht anders kann, sei einmal dahingestellt. Dass etwa die von ihm ausgelösten Stürme in den sozialen Medien regelmäßig vor dem Start der Morgensendungen im US-Fernsehen losbrechen, dürfte jedenfalls nicht allein seniler Bettflucht geschuldet sein. Nach einem Jahr im Oval Office tritt außerdem immer deutlicher zutage, dass die kaum nachlassende Hysterie über diesen unerhörten Präsidenten dem konservativen Lager durchaus in die Karten spielt. Denn während die Opposition auch ein Jahr nach der Angelobung immer noch die meiste Energie darauf verwendet, von Trump ein präsidiales Auftreten einzufordern und auf seine vorzeitige Entfernung aus dem Amt hinzuarbeiten, bauen die Republikaner das Land um. “138 Dinge, die Trump getan hat, während Du nicht hingeschaut hast”, listet das Nachrichtenportal “Politico” auf. Und es werden täglich mehr.Es stimmt schon, Trump hat den Amtssitz des US-Präsidenten in seinem ersten Jahr auf eine Größe geschrumpft, die er mit blankem politischen Opportunismus, dem als Loyalität getarnten Nepotismus seines Clans und mit seinem fast grotesken Narzissmus locker ausfüllen kann. Das Land ist nicht auf dem Weg zu neuer Größe, sondern huldigt unter diesem Präsidenten trotzig einem ängstlichen Provinzialismus, der dabei immer auf ganz dicke Hose macht. “Mein Knopf für die Atomraketen ist größer als Deiner”, ließ Trump vor wenigen Tagen den nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un wissen, den er auch “Little Rocket Man” ruft. Außenpolitik als Duell zweier Comic-Figuren.Diejenigen unter den politischen Gegnern und liberalen Medien, die nicht viel mehr tun als den Präsidenten als dementen oder wenigstens korrupten Rassisten zu denunzieren, haben sich in Jahr eins dieser Präsidentschaft allerdings ebenfalls auf Kleinstformat geschrumpft. Wer etwa fordert, man möge Trump wegen seiner per Ferndiagnose vermuteten psychischen Instabilität aus dem Amt entfernen, sägt genauso gedankenlos wie der Präsident selbst an den Grundfesten der Demokratie. Trumps Leibarzt im Weißen Haus hat ihm gerade eine robuste körperliche Konstitution bescheinigt, die einer zweiten Amtszeit nicht im Wege stünde.——–Von Stefan ParaviciniIm ersten Jahr als 45. US-Präsident hat Donald Trump das Amt auf seine eigenen Maße geschrumpft. Seine Amtszeit könnte dennoch über 2020 hinausgehen.——-