DIE KONJUNKTUR IN EUROLAND - IM INTERVIEW: CLAUS MICHELSEN

"Auftriebskräfte der Binnenwirtschaft intakt"

Der DIW-Konjunkturchef blickt positiv in die Zukunft

"Auftriebskräfte der Binnenwirtschaft intakt"

– Herr Michelsen, die Wirtschaft der Eurozone ist im ersten Quartal überraschend stark gewachsen, obwohl Stimmungsindikatoren und harte Daten wie die Auftragseingänge eher negative Signale gesendet haben – wie erklären Sie sich das?Die europäische Wirtschaft ist teilweise durch Sondereffekte gebremst worden, die im ersten Quartal wegfielen. Nicht nur in Deutschland gab es Probleme mit der Zulassung von Kraftfahrzeugen – dies hat auch andere Standorte betroffen. Diese Effekte fielen weg. Zudem sind die Auftriebskräfte der Binnenwirtschaft weiterhin in Takt: Die Arbeitsmärkte und der private Konsum entwickeln sich insgesamt weiter gut.- Erwarten Sie kurz- bis mittelfristig eher eine Rezession oder eine Erholung?Wir schauen eher positiv in die Zukunft. Die Signale deuten zwar auf eine Verlangsamung hin – ein schwerer Einbruch steht aber weder für die internationale noch für die deutsche Konjunktur im Raum. Dafür spricht, dass die chinesische Regierung finanzpolitisch gegensteuert und auch in den anderen Absatzmärkten die Indikatoren nicht auf eine Rezession hindeuten.- Welche Länder sind im gemeinsamen Währungsraum die Sorgenkinder, wer die Wachstumsträger?Im Euroraum sind vor allem Italien und Deutschland die Sorgenkinder. Italien ist im ersten Quartal zwar wieder zum Wachstum zurückgekehrt, doch der Ausblick ist noch eher trüb. Deutschland wird mit seiner Exportorientierung vor allem durch die weniger dynamische Nachfrage aus dem Ausland getroffen. Positiv hingegen sticht Spanien hervor, das seine positive Entwicklung fortsetzen konnte.- Sollte die Bundesregierung mehr Geld ausgeben und das Ziel des ausgeglichenen Haushalts (“schwarze Null”) aufgeben, um die Wirtschaft zu stützen und einen stärkeren Abschwung zu verhindern? Was könnte Berlin sonst tun?Die Politik der schwarzen Null ist für sich genommen keine sinnvolle Wirtschaftspolitik, denn dies würde bedeuten, dass auch die automatischen Stabilisatoren nicht voll wirken dürften. Dies ist kontraproduktiv und verstärkt den Abschwung. Insofern sollte ein ausgeglichener Haushalt als Selbstzweck aufgegeben werden. Darüber hinausgehende Konjunkturprogramme halte ich derzeit für nicht notwendig. Grundsätzlich ist eine Diskussion über eine langfristig orientierte Wachstumspolitik notwendig – dabei kann auch die Schuldenbremse zur Disposition gestellt werden.- Der Arbeitsmarkt ist ja ein nachlaufender Indikator, der nur sehr langsam auf konjunkturelle Abkühlungen reagiert. Doch trotz der seit längerem anhaltend geringeren Wachstumsdynamik sinken die Arbeitslosenzahlen stetig, sowohl in der Eurozone als auch in Deutschland. Wann und in welchem Umfang erwarten Sie hier sichtbare Spuren?Für den Arbeitsmarkt erwarten wir eine Verlangsamung im Beschäftigungsaufbau, sowohl in Deutschland als auch im Euroraum. Dies liegt an der schwächeren Konjunktur und den größeren Knappheiten an Fachkräften. Dass dennoch Beschäftigung aufgebaut wird, liegt auch daran, dass vor allem die Dienstleister ihre Aktivität ausweiten. Diese Beschäftigungen sind nicht so konjunkturreagibel. Zudem steht der demografische Wandel vor der Tür. Unternehmen versuchen bereits jetzt Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu halten, die später schwer zu finden sein werden.- Gibt es Entwicklungen in Bereichen der Arbeitsmarktstatistik, die Sie besonders aufmerksam verfolgen?Wir schauen natürlich auf die einzelnen Sektoren – die positiven Beispiele habe ich genannt. Etwas mehr Kopfzerbrechen bereitet die Entwicklung in der Industrie. Hier verlangsamt sich der Jobaufbau deutlich. Auch die Leiharbeit ist in den letzten Monaten deutlich zurückgegangen. Dies kann aber auch auf gesetzliche Veränderungen zurückgeführt werden.- Der robuste deutsche Arbeitsmarkt sorgt für eine stabile Binnenkonjunktur. Die Dienstleister kompensieren die Schwäche der exportlastigen Industrie. Sehen Sie einen Strukturwandel und wird dieser nachhaltig sein?Dieser Strukturwandel hält ja schon eine ganze Weile und wird sich unserer Einschätzung nach fortsetzen. Dies hängt mit der zunehmenden Bedeutung digitaler Dienste zusammen, aber auch mit der Notwendigkeit, mehr in der Pflege und im Gesundheitswesen zu leisten. Hier macht sich die Demografie bemerkbar.- Was müsste passieren, damit die Industrie wieder in Schwung kommt?Damit die Industrie wieder Fahrt aufnimmt, muss die Nachfrage aus dem Ausland anziehen und auch die Automobilindustrie ihre Schwäche überwinden. Dies ist der Schlüsselsektor, in dem im letzten Jahr einiges schiefgelaufen ist. Letztlich hängt es auch davon ab, ob sich die vielen wirtschaftspolitischen Unsicherheiten ausräumen lassen. Dies gilt für die Handelskonflikte mit den USA aber auch für die Probleme in der EU.- Mit zunehmendem Fachkräftemangel sollte der Lohndruck steigen und in Folge auf die Inflation wirken – bislang ist davon aber noch nicht viel zu spüren. Genügt das als Argument für die Europäische Zentralbank, an ihrem vorsichtigen geldpolitischen Kurs festzuhalten?Das Mandat der EZB ist die Geldwertstabilität zu gewährleisten. Dieses Ziel muss sie verfolgen und glaubhaft dafür eintreten, dass ihr Inflationsziel erfüllt wird. Insofern genügt die schwache Inflation – vor allem die geringe Teuerung ohne Energie- und Nahrungsmittelpreise – als Argument für eine weiterhin expansive Ausrichtung. Auch die Konjunktur legt keinen strafferen Kurs nahe – im Gegenteil.- Sollte die EZB ihre Geldpolitik sogar erneut deutlich lockern, um Schlimmeres zu verhüten? Was kann die EZB aus Ihrer Sicht noch tun?Die Geldpolitik ist bereits sehr expansiv und sollte sich primär an der Geldwertstabilität orientieren. Zumindest gibt es keinen Anlass, restriktiver zu werden und Zinsen anzuheben.—-Die Fragen stellte Alexandra Baude.