Bailey vertagt Negativzinsen

Bank of England erwartet, dass wirtschaftliche Erholung längere Zeit in Anspruch nehmen wird

Bailey vertagt Negativzinsen

Die britische Wirtschaft wird nach den Schätzungen der Bank of England erst Ende 2021 das Niveau des Schlussquartals von 2019 wieder erreichen. Negativzinsen hält Gouverneur Andrew Bailey derzeit aber nicht für angesagt. Offenbar war der Einbruch im ersten Halbjahr nicht so stark wie befürchtet.hip London – Die Bank of England geht davon aus, dass die Erholung von den Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie länger dauern wird als ursprünglich angenommen. Dafür dürfte der wirtschaftliche Einbruch im laufenden Jahr nicht ganz so heftig ausfallen wie von den Notenbankökonomen befürchtet. Andrew Bailey, der Gouverneur der Bank of England, benutzte den Rugby-Begriff “Hard Yards”, um die großen Mühen zu beschreiben, die das Land vor sich hat. “Und offen gesagt: Wir sind zum Handeln bereit, wenn das nötig sein sollte”, betonte er. Negativzinsen hält er derzeit aber nicht für angesagt. Man habe dieses Instrument im Werkzeugkasten. “Es gibt im Moment aber keine Pläne, es aus dem Werkzeugkasten herauszuholen und einzusetzen”, sagte Bailey dem US-Sender CNBC.Im gestern vorgelegten Inflationsbericht beschäftigt sich ein Erklärkasten mit dem Thema. “Die Einführung negativer Leitzinsen könnte zum derzeitigen Zeitpunkt weniger effizient dafür sein, die Konjunktur anzuregen, als zu einer Zeit, in der sich die Bankbilanzen verbessern”, heißt es dort. Man werde das Thema weiter prüfen.Es gibt mehrere Gründe, warum die Zentralbank die Nulllinie nur ungern unterschreiten würde. Britische Banken finanzieren sich heute in weit höherem Maße über Einlagen als vor der Finanzkrise. Die von ihnen vergebenen Darlehen sind dagegen oft vertraglich an die Bank Rate gebunden. Die Nettozinsmarge steht entsprechend unter Druck. Sinkt die Rentabilität, geht auch die Bereitschaft zur Kreditvergabe zurück. Ziel der Geldpolitik in der Krise ist dagegen, Unternehmen den Zugang zu Fremdkapital zu gewährleisten. Zudem gibt es in Großbritannien anders als in der Eurozone kein mehrstufiges System für die Verzinsung von gehaltenen Reserveguthaben. Fällt die Bank Rate unter null, müssten die Banken deshalb auch für die Mindestreserven “Strafzinsen” entrichten. Flacherer AbschwungWie dem Protokoll der jüngsten Sitzung des geldpolitischen Komitees (Monetary Policy Committee, MPC) zu entnehmen ist, stimmten die Mitglieder einstimmig dafür, den Leitzins auf dem historischen Tief von 0,1 % zu belassen. Sie wollten auch den Berg der seit der Finanzkrise zur Ankurbelung der Konjunktur zusammengekauften Anleihen nicht über 745 Mrd. Pfund hinaus ausweiten. Statt um 14 % wird die britische Wirtschaft den neuesten Prognosen der Zentralbanker zufolge 2020 wohl nur um 9,5 % schrumpfen. Das wäre nicht mehr der schlimmste Abschwung in mehr als 300 Jahren. Allerdings muss man bis 1921 zurückgehen, um eine vergleichbare Abwärtsbewegung zu finden. Für das erste Halbjahr haben die Ökonomen der Notenbank eine Schrumpfung von 20 % angesetzt.Die Arbeitslosenquote werde im Schlussquartal mit 7,5 % ihren Höhepunkt erreichen. Zuvor war sie bei um die 10 % erwartet worden. Es geht aber immer noch um 2,5 Millionen Menschen – so viele wie zuletzt 2013. Die Notenbanker fürchten zudem, dass Unternehmen mit Blick auf die Pandemie und das Auslaufen der Brexit-Übergangsfrist zum Jahresende vor Neueinstellungen zurückschrecken dürften. Erst Ende 2022 soll die Arbeitslosenquote wieder bei 4,5 % liegen. Angesichts der “ungewöhnlichen Ungewissheit” seien die Prognosen mit Abwärtsrisiken behaftet. Immerhin spricht die Bank of England schon wieder von Prognosen, nicht mehr nur von einem “Szenario”.Das Pfund legte nach Bekanntwerden der Zinsentscheidung gegen Dollar und Euro zu. Die Volkswirte der HSBC werteten die neuen Prognosen als Anzeichen dafür, dass es die Notenbank mit einer weiteren Lockerung der Geldpolitik nicht eilig hat, solange sich keine wesentlichen Risiken herausbilden. Sollte sich der Optimismus der Bank als unbegründet erweisen, erscheine die Senkung des Leitzinses unter die Nulllinie möglich. “Eine solche Entscheidung wäre vielleicht keine große Überraschung für den Markt, wo man seit einiger Zeit eine Senkung unter null eingepreist hat”, schrieben die Ökonomen der Großbank. “Es könnte aber eine Überraschung für die Öffentlichkeit sein – und für viele wäre es keine angenehme.”