Bercow ruft zur Mäßigung auf
hip London – Speaker John Bercow hat nach der hitzigen Unterhausdebatte vom Mittwoch zur Mäßigung aufgerufen und vor einer “toxischen” Kultur gewarnt. Labour-Abgeordnete forderten Premierminister Boris Johnson auf, keine “gewalttätige” und “aufrührerische” Sprache zu verwenden. Dabei schallte ihm am Vortag von den Oppositionsbänken unter anderem entgegen, er gehöre ins Gefängnis. “Das Unterhaus hat sich selbst keinen Gefallen getan”, sagte Bercow. Die Atmosphäre sei “schlimmer gewesen als alles, was ich in 22 Jahren im Unterhaus erlebt habe”. Johnson kündigte an, er werde sich nicht den Mund verbieten lassen. Er werde das Gesetz, das ihn dazu zwingen soll, in Brüssel eine Verlängerung der am 31. Oktober auslaufenden EU-Austrittsfrist zu beantragen, auch weiterhin als “Kapitulationsakt” bezeichnen. Er hatte Abgeordneten vorgeworfen, den Brexit zu “sabotieren”. Der ehemalige Generalstaatsanwalt Dominic Grieve nannte Johnson einen “pathologischen Lügner”, Er denke, dass der ehemalige Londoner Bürgermeister “keinerlei moralischen Kompass besitzt”.Die vergiftete Debatte setzt sich landesweit in Form von Online-Drohungen gegen Brexit-Gegner und -Befürworter fort. Gestern wurde ein Mann vor dem Wahlkreisbüro der Labour-Abgeordneten Jess Phillips in Birmingham festgenommen, der die Verbleibs-Befürworterin als “Faschistin” beschimpfte.Während der alljährlich im Herbst stattfindenden Parteitage würde das Parlament in einem normalen Jahr vermutlich gar nicht tagen. Nachdem die Konferenzen von Liberaldemokraten und Labour noch während der von Johnson verordneten Zwangspause stattgefunden hatten, wollte die Regierung eine Sitzungspause für den Parteitag der Tories beantragen, der am Sonntag in Manchester beginnt. Das Unterhaus lehnte dies gestern mit 306 zu 289 Stimmen ab, bevor eine Debatte über “Prinzipien der Demokratie und die Rechte der Wählerschaft” begann. Das Abstimmungsergebnis ist Beobachtern zufolge ein guter Indikator für die derzeitigen Machtverhältnisse. Prominente Ex-Tories wie Kenneth Clarke und Amber Rudd stimmten mit der Opposition. “Keinerlei Vertrauen”Die Vorgänge im Parlament haben sich auf seinen Ruf ausgewirkt. Einer Umfrage der konservativen Denkfabrik CPS (Centre for Policy Studies) zufolge ist der Anteil derjenigen, die ihren Unterhausabgeordneten “keinerlei Vertrauen” entgegenbringen würden, wenn sie sich mit ihnen wegen eines Problems ins Benehmen setzen müssten, seit dem vergangenen Jahr von 40 % auf 54 % gestiegen. Unter denjenigen, die beim EU-Referendum für den Brexit gestimmt haben, stieg er gar von 43 % auf 69 % – für Robert Colvile, den Chef der Denkfabrik, ein “alarmierendes Zeichen” dafür, wie der Glaube an die Demokratie nachlässt. Wie eine Umfrage im Auftrag der “Daily Mail” ergab, gehen 52 % der Wähler davon aus, dass das “Establishment” dem Brexit Einhalt gebieten wolle. Eine Mehrheit von 55 % sprach sich für baldige Neuwahlen aus. Die parlamentarische Opposition will sie erst ermöglichen, wenn sie einen ungeregelten Brexit für nicht länger möglich hält. Dabei sprachen sich in der Umfrage lediglich 28 % der Labour-Wähler gegen Neuwahlen aus. Knapp die Hälfte (49 %) aller Wähler war dafür, die EU ohne jeden Deal zu verlassen, sollte der Premierminister keine Übereinkunft mit Brüssel erzielen. Die Mehrheit (52 %) war der Meinung, dass es nicht zur Lösung der Brexit-Krise beiträgt, dass das Parlament nun wieder zusammengetreten ist. Immerhin 41% waren der Ansicht, dass es durch die Entscheidung des Supreme Court, die Zwangspause zu beenden. weniger wahrscheinlich geworden ist, dass Großbritannien einen guten Deal erzielen wird.In der Umfrage lagen die Tories mit 27 % drei Prozentpunkte vor Labour. Es folgten die Liberaldemokraten (22 %) und die Brexit Party (16 %). Boris Johnson ziehen 41 % als Premierminister vor. Immerhin 21 % sprachen sich für Jo Swinson aus, die Parteichefin der Liberaldemokraten. Labour-Chef Jeremy Corbyn wurde von 18 % genannt.