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Bernanke, Draghi und der Truthahn

Von Grit Beecken, Frankfurt Börsen-Zeitung, 31.12.2013 In seinem Buch "Der Schwarze Schwan" berichtet Nassim Nicholas Taleb vom Leben eines Truthahns, der auf einem Bauernhof gefangen gehalten wird. Im dunklen Stall bangt das Tier um sein Leben -...

Bernanke, Draghi und der Truthahn

Von Grit Beecken, FrankfurtIn seinem Buch “Der Schwarze Schwan” berichtet Nassim Nicholas Taleb vom Leben eines Truthahns, der auf einem Bauernhof gefangen gehalten wird. Im dunklen Stall bangt das Tier um sein Leben – daran kann auch die Futterschale, die der Bauer ihm hinstellt, nichts ändern. Aus Angst vor einer Vergiftung lässt der Truthahn das Essen schlicht links liegen. Nachdem er aber mehrere Tage lang gehungert hat, gewinnt sein Magen. Der Truthahn isst, und schließlich hat er sich an sein Futter gewöhnt. “Der Bauer ist doch ein netter Mann”, denkt sich der Hühnervogel, “er kommt jeden Tag und versorgt mich mit bestem Futter.” Der Truthahn lässt es sich fortan gut gehen – er wird fett und träge. Eines Morgens kommt der Bauer dann mit dem Messer anstatt der Futterschale, und der Truthahn lässt für ein Thanksgiving-Dinner sein Leben.Die Anlageexperten von Sentix sehen in Talebs Geschichte eine gute Beschreibung dessen, was derzeit an den Finanzmärkten geschieht. “2007 sind die Anleger gehörig verschreckt worden”, sagt Patrick Hussy. “Über Nacht sind alte Gewissheiten abhandengekommen, neue Risiken entstanden, Geschäftsmodelle entfallen und Reserven geschmolzen.” Seitdem stülpen sich seiner Ansicht nach immer umfassendere Krisen (Subprime, Konjunktur, Banken- und Staatsschuldenkrise) wie bei einer Matrjoschka übereinander.”Der um sich greifende Vertrauensverlust rief nicht nur bei vielen Anlegern die Sorge um die Stabilität des gesamten Systems hervor”, so Hussy. Vielmehr traten auch die Notenbanken auf den Plan und kamen ihrem Auftrag in vorher nicht gekannter Weise nach. Und die Anleger haben sich nach Auffassung der Sentix-Analysten an deren liquiditätsstiftende Maßnahmen gewöhnt wie Talebs Truthahn an sein Futter – nachdem sie diese erst argwöhnisch betrachtet hatten. Schließlich führt ein hohes Maß an Liquidität gemeinhin zu Inflation.”Doch wie in unserer Geschichte bekommt der arme Kerl irgendwann Hunger”, sagt Hussy. Nur seien es bei Investoren statt Körnern Dinge wie “notwendige Zielrenditen” oder “zu erwirtschaftende Garantiezinsen”, die angestrebt werden. Also habe der Investor zu essen begonnen – ablesbar sei dies etwa an den Rekordständen an den Aktienmärkten, dem Boom am Markt für Hochzinsanleihen. “Die größten Ängste sind geschwunden, der Investor hat sich in der Krise eingelebt und gewöhnt sich zunehmend an die großzügigen Gaben des Wirtes”, sagt Hussy. Und je schneller und besser sich der Akteur auf diese neue Welt einstelle, desto schneller setze er “Speck” an.Genau das will Mario Draghi, Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), erreichen: “Primäres Ziel der Notenbank ist es, dafür zu sorgen, dass privates Geld wieder in Banken investiert wird”, sagte er. Auch sein US-Pendant Ben Bernanke, scheidender Präsident der Federal Reserve (Fed), lockt die Anleger in Assets aller Arten. Nach Ansicht von Hussy dürfte Draghis Vorhaben im aktuellen Kapitalmarktumfeld nur eine Frage der Zeit sein, dafür sorge schon der sehr hohe Zinsabstand zwischen kurzfristigen und langfristigen Anlagen. In Europa refinanzieren sich die Kreditinstitute nahe 0 % und legen in den Staatsanleihen ihrer Heimat zu 1,5 % bis 6 % an. “Geht man davon aus, dass rund 25 % der Bilanzsumme einer Bank auf diese Weise geparkt werden, so gewinnt eine spanische Bank bis zu einen Prozentpunkt an Kernkapitalquote pro Jahr hinzu, sofern die Erträge nicht ausgeschüttet, sondern angesammelt werden”, rechnet Hussy vor. Das lockt Anleger in die Finanzbranche.Die Investoren gewöhnen sich derzeit mehr und mehr an die üppige Versorgung, die sie von den Notenbanken bekommen. “So steht ein wichtiger Punkt in der Entwicklungsgeschichte noch aus”, prophezeit Hussy. “In unserer Truthahn-Parabel gibt sich der Vogel irgendwann ganz der Situation hin und lernt die Abläufe lieben.” Es sei daher zu erwarten, dass die Anleger die noch verbleibende Skepsis gegenüber den unorthodoxen Notenbank-Maßnahmen vollständig ablegen – bis sie dann irgendwann überrascht werden, wenn diese enden. “Wir befinden uns noch nicht im Endstadium unserer Geschichte”, mahnt Hussy. ——–Die Anleger gewöhnen sich an die Geldflut der Notenbanken. Das ist ziemlich riskant.——-